# taz.de -- Grosz, Brecht und Piscator in Berlin: Sein Herz ist eine Schreibmaschine

> George Grosz, Bertolt Brecht und Erwin Piscator arbeiteten in den 1920ern
> zusammen fürs Theater. Eine Ausstellung im Kleinen Grosz Museum erzählt
> davon.
„Gefährte glücklicher Zeiten! Seit einigen Monaten haust Dein Freund in
einem strohgedeckten Hause auf einer Insel mit einem alten Radiokasten: Wie
so manchen Andern hat auch ihn der Zorn des Volkes hinweggespült. Vorüber
sind die Zeiten der Asphaltliteratur“, schreibt [1][Bertolt Brecht] im Mai
1934 aus Dänemark an seinen guten Freund George Grosz.

Der revanchiert sich mit einer Postkarte aus Downtown Manhattan. 1927 hatte
Grosz, der unerbittliche Gesellschaftssezierer, den coolen Literaturstar
ironisch-liebevoll in einer Karikatur verewigt: Brechts Herz ist eine
Schreibmaschine, aus der Blitze fahren, und an der Angel, die er auswirft,
hängen als Köder Hammer und Sichel.

[2][Das Kleine Grosz Museum in Schöneberg] zeigt Postkarte und Zeichnung in
der Ausstellung „Was sind das für Zeiten? Grosz, Brecht & Piscator“. Im
Fokus steht die Zusammenarbeit der drei bei der Inszenierung [3][„Die
Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“] an der Piscator-Bühne am
Nollendorfplatz.

1927/28 hatte George Grosz dafür hunderte Zeichnungen angefertigt, die sich
an der Bühnenrückwand zeichentrickhaft zusammensetzten. In der Ausstellung
wird das Verfahren am „Paragraphenbaum“ demonstriert. Dadurch, dass sich
das Bild schrittweise „weiterentwickelt“, gelingt es, politische
Entwicklungen in eine bildliche Metapher zu überführen. Konkret wird hier
die Rolle der Justiz während des Ersten Weltkriegs exemplarisch vorgeführt.

Jaroslav Hašeks Schelmenroman 

In der Ausstellung ist die „Paragraphenbaum-Skizze“ mit einer
Drei-Phasen-Einteilung zu sehen – und Grosz’ Kommentar: „Freiheit ist ein
bürgerlicher Vorteil.“ Brecht machte sich zusammen mit Piscators engem
Mitarbeiter Felix Gasbarra und Leo Lania an die Dramatisierung von Jaroslav
Hašeks Schelmenroman, in dem Schwejk, ein junger Mann, der zum Kriegsdienst
eingezogen werden soll, das System aber mit seinen eigenen Waffen schlägt.

Extrem innovativ sind die Bühnenmittel, die in der Inszenierung zum Einsatz
kommen: Film, Grosz’ Bildentwicklungen und zwei Laufbänder, die Figurinen
und SchauspielerInnen von der Seitenbühne auf die Bühne transportieren.
Eine Konstruktionszeichnung von Piscators technischem Mitarbeiter Julius
Richter, die sich der Regisseur Ulrich Rasche als bekennender Laufband-Fan
bestimmt schon auf Zimmerhöhe vergrößert hat, liegt neben einem
Szenen-Foto, in dem der österreichische Schauspielstar Max Pallenberg als
Schwejk seinem Offizier, einer menschengroßen Karikatur, entgegenkommt.
Dass Menschen und Puppen mechanisch bewegt werden, vermittelt das Foto gut,
weil es wie ein Stillleben wirkt.

Tout Berlin ist Ende Januar 1928 bei der Premiere, alle Folgevorstellungen
sind ausverkauft. Max Pallenberg geht als genialer Schwejk-Darsteller in
die Theatergeschichte ein. Erwin Piscator errichtet sich mit dieser
Inszenierung langfristig ein Denkmal als Revolutionär für Bühnenbild und
Bühnentechnik.

Entlarvende Zeichnungen 

Grosz’ Zeichnungen entlarven das kriegstreiberische, menschenverachtende
System, das den Ersten Weltkrieg möglich machte, in seiner Essenz. Sie
benennen Justiz und Militär als Hauptstützen der Kriegsmaschinerie. Wieland
Herzfelde gibt im Malik-Verlag die Mappe „Hintergrund – 17 Zeichnungen von
George Grosz zur Aufführung des ‚Schwejk‘ in der Piscator-Bühne“ heraus.

Zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg führt eine Zeichnung, die den
Pazifisten Jesus gekreuzigt mit Gasmaske und Soldatenstiefeln zeigt, zum
breit rezipierten „Gotteslästerungsprozess“. Als Konsequenz muss die
Zeichnung, Blatt 10 der Mappe, eingestampft werden. Grosz hatte einige
Exemplare beiseitegeschafft, und so steht man 2024 vor „Maul halten und
weiter dienen“ und anderen Zeichnungen aus der Mappe mit der Erkenntnis,
dass Grosz’ Stil und seine Botschaft eine frappierend zeitlos-aktuelle
Dringlichkeit auszeichnet.

Grosz’ Schwägerin Lotte Schmalhausen fotografiert Grosz 1928, als der
Prozess läuft, auf dem Dach des Hauses Savigny-Platz 5. Grosz ist 35, über
Augen und Nase haben sich tiefe Falten eingegraben. Müde sitzt er auf der
Backsteinmauer, nur die Punkte auf der Krawatte scheinen zu tanzen. Brecht
schreibt sechs Jahre später an ihn: „Vorläufig halten uns die
Emigrantenzeitungen aufrecht. Wir sehen aus ihnen mit Freude, dass unsere
Landsleute ohne uns nicht glücklich sind, Die Kultur soll (dort) sehr
nachgelassen haben. Daraus schöpfen wir die Hoffnung, dass man uns bald
wieder holen wird.“

1947 fordert er George Grosz auf, zusammen „etwas für das alte Kulturland
zu tun“. Grosz lehnt dankend ab. 1959 kehrt er doch nach (West)Berlin
zurück, fällt die Treppe runter und stirbt.

1 Sep 2024

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## AUTOREN
Katja Kollmann
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