# taz.de -- Jüdische Biografie in der DDR: Der gescheiterte jüdische Kommunist

> Leo Zuckermann wollte in der DDR eine individuelle Entschädigung für
> Jüdinnen und Juden durchsetzen. Philipp Graf erinnert an seine
> Geschichte.
Man muss Leo Zuckermann nicht kennen. Der Mann ist vor fast 40 Jahren
verstorben. Zu seinen besten Zeiten fungierte er als Staatssekretär von
DDR-Präsident Wilhelm Pieck. Selbstverständlich war Zuckermann
SED-Mitglied. Der Historiker Philipp Graf hat sich Zuckermann dennoch
genauer angeschaut, und dazu hatte er allen Grund. Denn der so angepasste
Kommunist war einer der ranghöchsten, wenn nicht der höchste
DDR-Funktionär, der jemals in den Westen flüchtete. Das geschah am 15.
Dezember 1952.

Damals verdächtigte Stalin jüdische Ärzte, ihn ermorden zu wollen. Mit dem
[1][tschechoslowakischen] Slánský-Prozess manifestierte sich eine besonders
perfide Ausprägung des Antisemitismus, bei dem Juden als angebliche
Verräter des Sozialismus am Pranger standen.

So wurde auch der Jude Leo Zuckermann von seiner Vergangenheit eingeholt.
In den 1920er Jahren hatte er als junger Mann mit Familie wie Religion
gebrochen, so wie viele intellektuelle Kinder aus jüdischen Familien, und
wurde zum überzeugten KP-Mitglied, das schon bald Leitungsfunktionen
erklomm und im französischen Exil zum Spezialisten für Flüchtlingsfragen in
der Partei wurde.

Philipp Graf zeichnet in seiner Studie die Lebensstationen Zuckermanns
nach. Sein Übertritt vom Judentum zum Kommunismus deutet er auch als einen
Wechsel der Identität – weg von der einen jüdischen hin zu einer anderen
kommunistischen Solidargruppe, der Zuckermann fortan bedingungslos die
Treue hielt – bis zu seiner Flucht 1952.

Und doch konnte und wollte Zuckermann seine Herkunft – und seine
Menschlichkeit – nicht verleugnen. Er musste es auch nicht, denn nach
seiner Flucht von Frankreich nach Mexiko mit einer Gruppe deutscher
Kommunisten 1941 entstand dort eine von den fernen Direktiven aus Moskau
abgekoppelte deutsche KP-Exilvertretung, mit Paul Merker an der Spitze und
[2][Anna Seghers] und Egon Erwin Kisch unter den Mitgliedern. Merker und
der Jurist Zuckermann entwickelten angesichts der Nachrichten über den
Holocaust erste Überlegungen für eine Wiedergutmachung.

## Notwendigkeit des Staats Israel

Die Juden seien einzig aufgrund ihrer Zugehörigkeit verfolgt und ermordet
worden, schrieb Zuckermann, der Holocaust habe unter den Überlebenden ein
„jüdisches Volk“ geformt und den Staat Israel zu einer Notwendigkeit
gemacht. Solche These waren in der kommunistischen Welt schon sehr
originell, schließlich würden sich alle religiösen Gegensätze im
Sozialismus von selbst lösen. Bald sollten sie gefährlich werden.

Es blieb nicht bei theoretischen Überlegungen. Nach seiner Rückkehr in die
sowjetische Zone des besetzten Deutschlands 1947 beharrte Zuckermann, nun
führender SED-Funktionär, auf dem Thema einer individuellen
Wiedergutmachung für Jüdinnen und Juden. 1948 gelang es ihm, ein
entsprechendes Gesetz zu initiieren, das den Ländern – die DDR war noch
nicht gegründet – die Verantwortung zuwies. Doch dann wurde der
Gesetzentwurf so überarbeitet, dass von seiner ursprünglichen Intention
nichts übrig blieb.

Zuckermann quittierte diese Entwicklung, ohne aufzumucken. Auch er wird
mitbekommen haben, wie sich die Stimmung in der UdSSR gegen die Juden
wendete, denen man „Kosmopolitismus“ vorwarf. Direkter trafen ihn
Verdächtigungen gegen alle „West-Emigranten“, denen verräterische
Verbindungen zum Klassenfeind oder gar Spionage unterstellt wurden. Juden
unter den SED-Mitgliedern begannen zunehmend Argwohn zu erregen. 1950
bestellte ihn die Parteikontrollkommission mehrfach ein.

## Flucht in den Westen

Und was tat Leo Zuckermann? Er trat aus der Jüdischen Gemeinde aus. Und
hoffte so, seine Position zu retten. Was genau seine Flucht auslöste,
konnte auch der akribisch die Quellen analysierende Philipp Graf nicht
herausfinden. So endete der Versuch, in der DDR für mehr Gerechtigkeit für
Jüdinnen und Juden zu sorgen, mit der Emigration des Initiators.

Und doch gibt es da ein kleines, von Graf entdecktes Nachspiel. Es war
1981, da besuchte Erich Honecker Mexiko. Leo Zuckermann war 1952 nicht
lange in Westberlin geblieben. Er kehrte in das Land seines Exils zurück
und wurde dort Buchhändler. Auf einem Empfang in der DDR-Botschaft
begegnete er dem SED-Chef. Honecker reichte Zuckermann die Hand, nannte ihn
beim Vornamen und wechselte einige Worte.

Philipp Graf ist mit „Zweierlei Zugehörigkeit“ ein großartiges Buch über
einen mehrfach Gescheiterten gelungen.

9 Aug 2024

## LINKS
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[2] /Frankfurter-Fachzeitschrift-Exil/!5981464
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
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