# taz.de -- Die Kunst der Woche: Im Rausch der Lektüre

> Kameelah Janan Rasheed erklärt die Galerie zum begehbaren Textfeld. Ein
> lustvoller, bilgewordener Ausdruck der Reflexion, der uns bis ans Meer
> führt.
Die Kunst von Kameelah Janan Rasheed ist ein raumgewordener Traum aus Copy
Art. Eine absolute Lust für's Auge, das sich allein beim Blick durch die
Glasfenster in der Schriftkunst verliert will, die hier am Werk ist. Für
„that is complete. and knowledge is another“, ihre dritte Einzelausstellung
in der Galerie [1][NOME], hat Janan Rasheed die Galerie in einen
installativen Denk- und Bewegungsort aus Schwarz-Weiß-Abhebungen überführt.

Das räumliche Komponieren beginnt bereits bei der Aufteilung der Wände,
Winkel und Nischen, durch die der Ausstellungsraum zu einer feinen Balance
aus Cocoons und Freiflächen findet. Und die Idee, die sich im Titel
andeutet, Vollständigkeit könne es erstens geben und zweitens sei diese der
Schlüssel zum Wissen – sie wird hier weder verworfen noch umklammert. Eher
zeigt sich, dass Reflektion unendliche Pfade einschlagen und mögliche
Verknüpfungen eingehen kann. Rasheed hat keine Angst vor dieser unendlichen
Fülle, sie taucht in sie ein.

Hinter Plexiglas und auf Papier kopierte und in Pigmentdrucke und
Wandbilder übersetzte Archivmaterialien ergänzen sich mit per Hand
hinzugefügten Notizen und Zeichnungen. Es sind Hervorhebungen, die Fragen
von Zugehörigkeit und Erkennbarkeit stellen, und nach einem Recht auf
Undurchsichtigkeit fragen, das Politiken des Zeigens in Zweifel zieht.

Dabei untersucht die Künstlerin auch die Sprache selbst immer wieder in
ihrer Handlungsmacht: „Can A Sentence Have Desires?“, fragt sie. Auf einem
Siebdruck hat Janan Rasheed die subtilen Parameter einer Art Labyrinth
festgehalten („Supple Perimeters II“, 2023 ). Vielleicht bewegt sie sich am
liebsten im Sinne der „Apophenia“, wie sie in der Arbeit „Call and Response
I“, ebenfalls von 2023, als Notiz auftaucht, jener Fähigkeit, in zufälligen
Elementen Muster und Beziehungen zu erkennn. Ein Sehen von Verbindungen
also, das in der Psychologie als „grundlos“ pathologisiert wird, hier aber
im Remix aus mathematischen Formeln, Gebetselementen und kosmologischen
Fragen tiefe Zusammenhänge aufdeckt.

Selbst zum Orakel geworden, schreibt Janan Rasheed mit ihrem Werk an der
Tradition Schwarzer experimenteller Poesie fort, sie dekonstruiert Sprache,
pflegt sie und fügt sie neu zusammen. Racheed kombiniert dabei die Elemente
so, dass sich die Dimensionen verschieben. Was einmal ein Blatt im DIN
A4-Format war, nimmt nun eine ganze Wand ein. Textstellen aus Büchern
destillieren sich zu zwei Wörtern, die in Schreibmaschinenschrift auf
kleinen Flächen die Kante hoch laufen, an der sich zwei Wände treffen. Von
Weitem ein Muster aus schwarzen Rechtecken, lässt das nähere Hinsehen die
Zitate und Gedanken auf den minimalen Texträgern erkennen: „Your sentence
is sweating“.

In einer Raumnische, die mit ihrem mattem, dunklen Grund für einen Moment
alles in Ruhe versetzt, flackern zwei Videomonitore, dazwischen erscheint
auf einem Print ein Gesicht, das sich in Wellenbewegungen verzieht und
vervielfacht. In weiteren Collagen und Drucken bilden sich abstrahierte
Formationen, die an Felsformationen und Meeresgischt erinnern. So auch in
der 34-teiligen Serie „Spirit 1-34“ von 2021, die Außenwand der Nische
schon fast schützend zu säumen scheint.

In ihrem Universum aus Lektüre und Notiz, in dem samtige Druckerschwärze
auf flüssiges Rauschen trifft, führt Rasheed uns zur Erotik der Reflektion
zurück. Die unaufhaltsamen Kräfte, die längst in uns ruhen, hier finden wir
wieder zu ihnen.

11 Jul 2024

## LINKS
[1] https://nomegallery.com/exhibitions/that-is-complete-and-knowledge-is-another/
## AUTOREN
Noemi Molitor
## TAGS
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