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Um sich erholen zu können, muss man erst mal aktiv werden. So deutet es der
Name der Aktionsgruppe Retreat, kurz AGR, die Lukas Fritze, Vince Paul
Golly und Sophia Muriel gegründet haben, an. Da haben sie natürlich nicht
unrecht, denn die Frage von Rückzugsort und Rückzugshierarchien, die sie
nun für ein dreitägiges Festival angekündigt haben, ruft gleich mehrere
Assoziationen hervor: Wer kann es sich auf dem neoliberalen Arbeitsmarkt
überhaupt leisten, eine Pause zu machen? Wer wird sofort gefeuert oder
verliert die Papiere, wer muss trotz Unterbezahlung immer weiter klotzen?
Und ist nicht ein Rückzugsort gerade dann überlebenswichtig, wenn sich der
öffentliche Raum und die politische Ordnung non-stop bedrohlich auf das
Leben auswirken? Verdrängen aus der Öffentlichkeit steht währenddessen ganz
oben auf der neofaschistischen Agenda.
All diese Gedanken können sich ob des Themas „Retreat“ einstellen. Ein
individualistischer Wellnessimpuls steht jedenfalls nicht hinter dem
Festival, das vom 24.–26. Mai in der Nähe des S+U-Bhf Gesundbrunnen auf
einer leeren Ladenfläche stattfindet. Neben Kaffeeklatsch, diversen von
KSBM Records kuratierten DJ-Sets, Live-Painting von Bhima Griem und
weiteren Performances steht eine Gruppenausstellung mit 24 künstlerischen
Positionen im Zentrum des Festivals.
Die Betrachtungsweisen in der Ausstellung versprechen, vielfältig zu
werden: Da ist die Zigarette an Monja Gentschows gemaltem Pool, daneben
die Sonnenbrille, nur ist das obligatorische Buch durch eine Zeitschrift
ersetzt, die per Überschrift gerade mal einen „Kurzurlaub“ zulässt. Mag
sein, dass auch die Freizeit eine Erfindung des Kapitalismus ist, aber
Rückzug ist nicht immer gleich Eskapismus – und selbst wenn, muss das so
schlimm sein?
Julia Eichler, [1][die bei ihren Skulpturen] oft architektonische Elemente
wie Abdrucke von Mauerwerk einsetzt, bringt verlassene urbane Räume ins
Spiel. Durch die Perspektive der Migration denkt Şifa Girinci Rückzugsorte
als Praxis der Solidarität. Wie die Bausteine dazu aussehen, welche Kämpfe
es braucht, um den Status Quo der (Selbst-)Ausbeutung am Arbeitsmarkt
aufzubrechen – im künstlerischen Bereich und in all den anderen prekären
Arbeitsfelden – das scheinen ihre Steinhaufen zu fragen, die
Buchstabenfolgen tragen und ein Puzzle andeuten, das so einfach eben doch
nicht zu lösen ist.
Philip Andrew Crawford wiederum wird sich mit der Doppelbedeutung
„escape/entrapment“ beschäftigen – in einer Installation, die bestimmt so
makaber und scharfsinnig wird, wie es Crawfords Art ist.
Es gibt genug Gründe, sich komplett zurückziehen zu wollen. Wenn wir aber
zum Rückzug gezwungen werden, dann ist eine Aktionsgruppe vielleicht genau
das Richtige, um uns an unser Recht auf geteilte Räume und gelebte
Solidarität zu erinnern.
23 May 2024
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