# taz.de -- Islamfeindlichkeit in Deutschland: Interne Ambivalenz

> Der Islam hat hierzulande ein schlechtes Image. Und doch wollen die
> meisten, dass Muslime fair behandelt werden.
Die [1][empörten Reaktionen] auf die [2][Hamburger
Islamisten-Demonstrationen am vergangenen Samstag sowie vor zwei Wochen]
zeigen, wie aufgeheizt der Islam-Diskurs in Deutschland ist. Viele fordern
ein härteres Eingreifen. Seit Jahren [3][verharmlose die Politik das
Problem des fundamentalistischen Islamismus in Deutschland.] Andere weisen
darauf hin, dass islamfeindlicher Rassismus in der Bevölkerung immer weiter
um sich greife und zu wenig getan werde für die Integration der hier
lebenden Musliminnen und Muslime.

Seit Jahren liegen mehrere sozialwissenschaftliche Untersuchungen vor, die
sowohl den relativ starken Zuspruch fundamentalistischer Aussagen in
muslimischen Gemeinden als auch die weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber
dem Islam in der deutschen Bevölkerung bestätigen. Wenig Beachtung erfährt
jedoch die auffällige Ambivalenz der erhobenen Einstellungen, und zwar bei
den Muslimen ebenso wie in der Gesamtbevölkerung.

Auf der einen Seite gibt es in der Gesamtbevölkerung eine klare Mehrheit,
die dem Islam äußerst kritisch gegenübersteht. Keine andere
Religionsgemeinschaft wird so negativ beurteilt wie der Islam. Auf die
Frage, ob sie den Islam mehr als Bereicherung oder mehr als Bedrohung
wahrnehmen, antworten den Daten des 2022 durchgeführten Religionsmonitors
der Bertelsmann Stiftung zufolge mehr als die Hälfte der Deutschen, dass
sie in ihm eine Bedrohung sehen. Durch andere Religionen fühlen sich kaum
mehr als 15 Prozent bedroht. Zwischen 70 und 75 Prozent halten den Islam
für rückständig und frauenfeindlich und denken, dass islamistische
Terroristen in ihm einen starken Rückhalt finden. Etwa zwei Drittel meinen,
der Islam richte sich gegen Freiheiten und Rechte der Menschen, und fast
genauso viele denken, der Islam rufe zur Gewalt auf.

Auf der anderen Seite jedoch sprechen sich fast 80 Prozent der Deutschen
dafür aus, dass man allen Religionen mit Offenheit begegnen solle. In einer
vor einigen Jahren durchgeführten Befragung erklärte eine deutliche
Mehrheit, alle Religionen sollten die gleichen Rechte haben. Nur etwa 20
bis 30 Prozent lehnen Moscheebauten grundsätzlich ab. Dabei beobachten die
meisten die Lebenswirklichkeit ihrer muslimischen Mitbürger mit Empathie.
So stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass [4][Muslime in Deutschland
Rassismus erfahren,] und fordert, dass die Deutschen im Umgang mit
Zuwanderern mehr Verständnis aufbringen sollten.

## Muslimische Haltungen sind mehrdeutig

So schlecht [5][das Image des Islam in der deutschen Bevölkerung ist,] die
meisten hierzulande wollen, dass Muslime fair behandelt werden. Sie fühlen
sich durch den Islam zwar bedroht, aber wollen ihm wie allen Religionen mit
Offenheit und Verständnis begegnen.

Auch die [6][Haltungen unter den Muslimen sind weniger eindeutig,] als es
auf den ersten Blick scheint. Fundamentalistische Aussagen finden unter den
in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen starke Zustimmung.
Verschiedenen Studien zufolge erklären zwischen 43 und 54 Prozent, es gebe
nur eine wahre Religion: den Islam. Unter den Mitgliedern der christlichen
Kirchen stimmen dieser Aussage nur etwa 13 Prozent zu. Etwa ein Drittel der
Muslime in Deutschland hält die Befolgung religiöser Gebote für wichtiger
als die Gesetze des Staates. Etwa zwei Fünftel meinen, nur der Islam sei in
der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Und fast genauso viele
streben die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds
an. Hier kann man wohl von einem verfestigten fundamentalistischen Weltbild
ausgehen.

Obwohl viele Muslime ein exklusives Wahrheitsverständnis vertreten, stimmen
gleichzeitig fast vier Fünftel von ihnen der Aussage zu, dass jede Religion
einen wahren Kern besitzt. Die Behauptung der einen Wahrheit schließt die
Akzeptanz anderer Wahrheiten also nicht aus. Wir können von einem
hierarchischen Inklusivismus sprechen, der die eigene Religion anderen
Religionen überordnet, ihnen aber gleichzeitig Anerkennung zollt. Auch in
anderen Hinsichten lassen sich unter den Musliminnen und Muslimen viele
Haltungen ausmachen, die einem rigiden Fundamentalismus widersprechen.
Demokratische und rechtsstaatliche Werte sind weithin akzeptiert. So fällt
die Bejahung der Demokratie als Staatsform unter ihnen genauso hoch aus wie
in der deutschen Gesamtbevölkerung.

## Gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch

Die [7][interne Ambivalenz im Einstellungshaushalt der Menschen] lässt es
geraten sein, bestehende Einstellungsdiskrepanzen zwischen den
gesellschaftlichen Gruppen nicht zu überzeichnen. Inkohärente und partiell
gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch für menschliche
Orientierungsmuster. An diese Einstellungsambivalenzen sollte die
öffentliche Diskussion anknüpfen. Wer eine schärfere Gangart vorschlägt,
erhöht die Gefahr, dass sich mehrdeutige Haltungen in eindeutige
verwandeln. Es mache sie wütend, sagen die Muslime seit Jahren, dass sie
stets als Erste verdächtigt würden, wenn irgendwo auf der Welt ein
Terrorschlag verübt werde.

Ein schärferes Vorgehen verstärkt die Tendenz zur religiösen
Selbstbehauptung und treibt potenziell auch jene in die Arme der
Extremisten, die selbst keine extremistischen Positionen vertreten. Das
heißt nicht, dass nicht auch klare Erwartungen an die muslimischen
Gemeinden gerichtet werden müssen. Die wichtigste unter ihnen lautet, dass
sie sich mehr als bisher kritisch mit den islamistischen Bewegungen in
ihren eigenen Reihen auseinandersetzen und sich selbstreflexiv zu ihren
Heilslehren ins Verhältnis setzen müssen.

Ebenso ist es falsch, der Mehrheit der deutschen Bevölkerung
antiislamischen Rassismus zu unterstellen. Selbst wenn es viele Vorurteile
unter den Deutschen gibt, die allermeisten wollen eben genau das nicht
sein: rassistisch oder islamophob.

13 May 2024

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## AUTOREN
Detlef Pollack
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