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Berlin taz | Der Europarat fordert Deutschland auf, Armut und soziale
Ungleichheit effektiver zu bekämpfen. Den „hohen Armutsquoten, besonders
bei Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderung“ müsse besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden, erklärte die Menschenrechtskommissarin
Dunja Mijatović in ihrem Bericht, der am Dienstag in Straßburg
veröffentlicht wurde.
Mijatović hatte Deutschland vom 27. November bis 1. Dezember 2023 besucht
und Gespräche mit Behörden und der Zivilgesellschaft geführt. Im Fokus
standen Strukturen und rechtliche Bedingungen, um Menschenrechte zu wahren,
sowie der Zugang zu sozialen Rechten, etwa auf angemessenen Wohnraum. Der
Europarat hat 46 Mitgliedstaaten, von denen 27 Mitglied der EU sind.
Das Fazit ihrer Reise ist ernüchternd: Das Ausmaß von Armut und sozialer
Ausgrenzung stünde „in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes“.
Strukturell gebe es wenig Fortschritte zum Beispiel für Menschen mit
Behinderung. So fehle in vielen Lebensbereichen die Barrierefreiheit, was
auch daran liege, dass es diesbezüglich für die Privatwirtschaft „keine
rechtlichen Verpflichtungen“ gebe.
Zudem grenzten Institutionen wie Förderschulen, [1][Behindertenwerkstätten]
und Wohnheime Personen mit Behinderung aus und erschwerten ein unabhängiges
Leben, etwa weil sie zu niedrige Löhne zahlten. Die Behörden sollten
stärker „in integrative Strukturen investieren und den Übergang von
getrennten Lebensstilen zu Inklusion in qualitativ hochwertigen
Mainstream-Einrichtungen beschleunigen“, mahnte die Kommissarin. Obwohl
Behindertenwerkstätten „den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt
fördern sollten“, liege die Übergangsrate seit vielen Jahren unter 0,5
Prozent. Da die Beschäftigten [2][in den Werkstätten nicht als
„Arbeitnehmer“] gelten, lägen ihre Löhne „deutlich unter dem gesetzlichen
Mindestlohn“, beklagt der Bericht.
## Obdachlosigkeit betreffe immer häufiger Familien mit Kindern
Die Bundesregierung bestätigt in einer Stellungnahme den Handlungsbedarf
bei den Werkstätten. Ziel sei eine Reform des Entgeltsystems, mit der eine
höhere Entlohnung erreicht werden soll. Dazu führe das
Bundesarbeitsministerium „seit September 2023 einen strukturierten
Dialogprozess mit allen relevanten Akteuren durch“.
Weiteren Handlungsbedarf sieht der Europarat auch beim Zugang zu
angemessenem Wohnraum und der Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Erforderlich
seien „umfassende und langfristige Maßnahmen“, inklusive Änderungen im
Mietrecht. Beklagt wird auch der extreme Rückgang von Sozialwohnungen in
den letzten 25 Jahren, von einst [3][3 Millionen Sozialwohnungen auf 1
Million.] Damit schneide Deutschland im Vergleich sehr schlecht ab. Laut
OECD lag der Bestand an Sozialwohnungen hierzulande 2020 bei 2,7 Prozent
aller Wohnungen, also deutlich unter dem durchschnittlichen OECD-Wert von
6,9 Prozent, heißt es im Bericht.
Besorgt zeigte sich der Bericht auch über die wachsende Obdachlosigkeit,
die immer häufiger auch Familien mit Kindern betreffe. Deutschland müsse
eine auf „Menschenrechten basierende Wohnungsstrategie“ entwickeln und den
„Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Obdachlosigkeit“ zügig
verabschieden.
19 Mar 2024
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