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Der Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom ist einer der ältesten
kirchlichen Texte. Der aus der heutigen Türkei stammende Apostel empfiehlt
den Christ:innen darin, sich legitimer staatlicher Gewalt unterzuordnen.
Andererseits sollen sie sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen. Ihr
Alleinstellungsmerkmal soll sein: der korrekte Umgang mit anderen.
[1][„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“], so fasst Paulus
die jesuanische Ethik des Zusammenlebens zusammen. Ein kitschiger Satz,
wenn er ohne Konsequenzen bleibt. Wenn er aufs Familiäre oder Nationale
verengt wird. Ein radikaler Satz, wenn Leute ihn ernst nehmen in ihrer
Gegenwart. Kairós bezeichnet im Griechischen den Moment der Entscheidung.
Er ist ein Leitmotiv des Neuen Testaments, in dem sich auch der Römerbrief
findet.
„Liebt im Wissen um die gegenwärtige Zeit“, schreibt Paulus darin. Und
weiter: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf … Die Nacht ist
vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der
Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!“
## Wo bleibt die Nächstenliebe?
[2][Diese Woche entzog die Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM)
einem ihrer Pfarrer den Pfarrbereich], weil er im Juni als parteiloser
Kandidat für die AfD bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt antreten
will. Es sei zwar im Interesse der Kirche, dass sich Pfarrer:innen auch
politisch engagieren, sagt die EKM. Das gelte aber nicht für das Engagement
in Parteien, die verfassungsrechtlich fragwürdige Positionen einnehmen.
Ähnlich sieht das die katholische Kirchengemeinde in Weil am Rhein. [3][Die
verbot diese Woche einer Frau, ehrenamtlich im Gemeindekindergarten zu
arbeiten], weil sie im Juni bei der baden-württembergischen Kommunalwahl
für die AfD kandidiert. Der Pfarrer der Weiler Kirchengemeinde, Gerd
Möller, begründet die Entscheidung mit der völkisch-nationalen Ausrichtung
der AfD. Die sei nicht vereinbar mit den Werten der katholischen Kirche.
Recht hat er. Und recht haben die Kirchen generell, wenn sie Konsequenzen
ziehen, wo haupt- oder ehrenamtliche Beschäftigte AfD-Ämter übernehmen oder
übernehmen wollen. Wenn die Kirchen also aufstehen vom Schlaf, den Kairós
ergreifen und die Waffen des Lichts anlegen. Denn: Diese Leute sind keine
Kinder, die es nicht besser wissen. Sie sind auch keine verunsicherten
Gemeindemitglieder, die Orientierung suchen.
## AfD ist kirchenfeindlich
Wer sich selbst nach dem Bekanntwerden [4][des Potsdamer
Deportations-Treffens] noch für die AfD aufstellen lässt, hat die
Nächstenliebe aufgekündigt. Das haben die [5][Evangelische Kirche in
Deutschland] und die katholische [6][Deutsche Bischofskonferenz] in
offiziellen Stellungsnahmen klargemacht. Kündigungen kirchlicherseits sind
eigentlich nur die logische Folge.
Es geht dabei nicht nur um die Nächstenliebe, für die die Kirchen einstehen
wollen, sondern auch um kirchliche Selbstliebe. Denn allein der
kirchenfeindliche Kurs der AfD („Politische Marionetten der Altparteien“,
„Kirchenaustritt ist Bürgerpflicht“) berechtigt Verantwortliche im
Tendenzbetrieb Kirche, Beschäftigte mit Ambitionen in dieser Partei zu
feuern.
Wenn es diesen Leuten wirklich um mehr geht als den „abendländischen“
Identitätsmarker Christentum, steht es ihnen ja jederzeit frei, ins
demokratische Spektrum zurückzukommen. Denn auch die Vergebung, selbst der
schlimmsten Sünden, sieht der Apostel Paulus als eine christliche Tugend.
27 Mar 2024
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