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Wie wirksam schiere Größe sein kann, bewies Wladimir Putins
Sechsmetertisch, an dem er Emmanuel Macron zu Beginn der Ukrainekrise noch
vor Kriegsbeginn im Kreml empfing. Das Möbelmonster wirkte einschüchternd
und fungierte als überdeutliches Bild für machtpolitische Überlegenheit.
Größe kann ebenso begeistern wie ängstigen und kann Bewunderung für Talent
und Können ausdrücken. Größe ist also, ganz allgemein gesprochen, sowohl
etwas sehr Konkretes, Messbares als auch etwas sehr Relatives, Wertendes
und Imaginäres.
Größe in der Fotografie ist mindestens so komplex wie Größe schlechthin.
Die Ausstellung „Size Matters“ verhandelt im Düsseldorfer Kunstpalast
Formatfragen und Größenverhältnisse in der Fotografie, klammert tiefer
gehende philosophische oder gar politische Fragen jedoch weitgehend aus.
Dafür reklamiert sie für sich, die erste Ausstellung überhaupt zu sein, die
das eigentlich sehr Naheliegende tut für eine Kunstform, deren grundlegende
Eigenart darin besteht, im Format variabel zu sein: nämlich Fragen nach der
Bedeutung der Größenverhältnisse in der Fotografie zu untersuchen.
Denn wenn in der Malerei das Format feststeht, bevor das eigentliche Werk
überhaupt erst entsteht, ist eben jede fotografische Aufnahme – zumindest
unter den heutigen Bedingungen des Digitalen – skalierbar, man kann sie
riesig aufblasen oder verkleinern auf Daumennagelgröße zum sogenannten
Thumbnail, hochziehen zum Banner, zum Plakat oder in Passfotogröße und als
Smartphonefoto mit sich herumtragen.
Die Ausstellung geht von den Beständen der eigenen Fotosammlung aus,
natürlich sind Werke der Düsseldorfer Fotoschule prominent vertreten:
darunter die dokumentarischen Industriedenkmälerporträts der Gründer
dieser Tradition, Bernd und Hilla Becher, eine Porträtserie von Thomas
Ruff, das ikonische Großfoto eines Madonna-Konzerts von [1][Andreas Gursky]
mit der winzigen Künstlerin im Kraftzentrum des Wimmelbilds und eine
verwirrend raffinierte Arbeit von Alex Grein, die bei Gursky studierte.
Grein jongliert mit absurden Größenverschiebungen und lichtete ein
scheinbar gigantisches Lorbeerblatt vor einer banalen Zimmertür ab.
Digitale Bildmontage? Nein, Grein platzierte den kleinen Zweig direkt vor
die Kamera.
Historisch breitet die Schau den ganzen Kosmos des Mediums aus – von den
experimentellen Anfängen über briefmarkengroße Medaillonfotos mit Lupen zur
Vergrößerung bis zu privaten Familienfotoalben der mittleren Jahre des 20.
Jahrhunderts – und beleuchtet intensiv den Aufstieg der Fotokunst, bis sie
schließlich im Belanglosen des alles mitreißenden Bildertsunamis der
Instagram-Gegenwart versickert.
Teils etwas gravitätisch überschriebene Kapitel sollen dem Reigen Struktur
geben. Das Team um Linda Conze, Leiterin der Fotosammlung des Kunstpalastes
und Kuratorin der Ausstellung, zitiert etwa den „Maßstab der Welt“, an dem
laut Susan Sontags Analyse der 1970er Jahre die Fotografie „bastelt“.
Unter der Überschrift „Die Befreiung der Dinge“ sind Arbeiten der Neuen
Sachlichkeit zu sehen, die durch das Spiel mit Nahaufnahmen und isolierten
Einzelheiten den Blick schärfen, etwa die titellose Nahaufnahme von
filterlosen Zigaretten mit dem Kopf eines Streichholzes von Photo Haus
Bardorf (zugeschrieben Katt Both), wobei der Streichholzkopf als
Orientierung dient, denn die Zigaretten erinnern aus der Nahsicht an
gigantische Bündel undefinierbaren Materials. Oder Karl Blossfeldts
berühmte [2][Pflanzenfotografien], die in Vergrößerung ornamentale
Strukturen gewinnen.
Wie wachsende Größe mit einer Bedeutungskarriere einhergehen kann, ist an
einer Serie von Thomas Ruff zu studieren: 1984 fotografierte er seine
Akademiekollegen: kleine Porträts, die nicht viel hermachten. Später zog
er die Fotos hoch zu einem mittleren Format, das ästhetisch kaum Mehrwert
hatte.
Erst als er die Aufnahmen 1987 vor weißem Grund ins Riesenformat hochzog,
entstand etwas ganz Neues: Gesichter wurden zu befremdlichen
Großstrukturen, abweisend in ihrer bedrängenden Nähe, verstörend kühl trotz
ihrer unperfekten Details, der Pickel, Härchen, Unreinheiten.
Ein Beispiel für den Bedeutungswandel durch Größe und für das Spiel mit
Anordnungen ist Kathrin Sonntags „Dinge im Hintergrund #4“, das auch als
Plakatmotiv der Ausstellung fungiert: Im Original ist das Werk 110 mal 73
Zentimeter groß und zeigt einen riesengroßen Apfel vor einem Baum in
offenbar natürlicher Größe. Aber vielleicht ist es auch andersherum? Der
Apfel ist original groß, aber der Baum verkleinert? Tatsächlich wurde der
Apfel vor dem Foto des Baums fotografiert. In der Ausstellung ist Sonntags
Arbeit Kunst, als Plakat und als Einladungskarte ist es Werbung.
In einem „Fotoalbumzimmer“ sind Familienalben an der Wand gestapelt und
sepiabraune Schnappschüsse der 1970er Jahre vergrößert an die Wände
gehängt: ein Beleg dafür, dass nicht jedes Fotos zur Vergrößerung taugt
oder dadurch an Bedeutung gewinnt.
Verwirrend und bei der Preview noch schlecht beschriftet sind zwei silbern
glänzende abstrakte skulpturale Objekte, deren Oberflächenästhetik an Jeff
Koons’ „Balloon Dogs“ erinnert: „The Nanjing Particles“ von Simon Starling
sind nichts anderes als millionenfach vergrößerte
Sibergelatine-Bildstückchen einer Fotografie aus dem 19. Jahrhundert.
Nach Bildern von Smartphonedisplays von Morgaine Schäfer, die mit
Zoomfunktionen und Unschärfen durch Vergrößerungen spielen, mündet die
Schau in einen Raum, der tapeziert ist mit einer Bilderflut: Evan Roths
„Since You Were Born“ zeigt den Ausdruck dessen, was sich am Tag der Geburt
seiner Tochter im Bilder-Cache seines Internetbrowsers so fand. Optisch
überwältigend, aber wenig überraschend.
7 Feb 2024
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