# taz.de -- Kritik an Musikmagazin „The Wire“: Keine Epiphanie

> Plötzlich mittendrin im weltpolitischen Geschehen: Das britische
> Musikmagazin „The Wire“ veröffentlicht einen Text des Musikers Gaika zum
> Nahostkrieg.
Jetzt also auch The Wire? Positionierung ist wohl unvermeidlich in
Stoßzeiten von Polarisierung. In seiner Doppelausgabe Januar/Februar 2024
druckt das renommierte britische Musikmagazin einen Text des [1][Londoner
Musikers Gaika], der sich mit den Auswirkungen des Nahostkrieges auf ihn
als Künstler beschäftigt.

Das ist ein Novum, [2][weil sich The Wire bisher aus aller Weltpolitik
herausgehalten hat]. Ob Brexit, Trump oder der russische Angriffskrieg auf
die Ukraine, wichtige Ereignisse wurden in dem seit den frühen 1980ern
publizierten Fachblatt nie direkt kommentiert.

Wobei zwischen den Zeilen selbstverständlich Politik mitschwingt. Es gibt
Reportagen über nicht-westliche Musik. Und aus dem männlich-nerdigen
Jazzmagazin von einst ist längst eine Publikation geworden, die
Künstlerinnen zur Titelstory macht, Autorinnen zu Wort kommen lässt und
non-binär mit dem Plural „they“ schreibt.

„Weapons of Mass Distraction“, der Text von Gaika, beginnt mit der
Beschreibung eines palästinensischen Mannes, der mit einem Arm die
verstümmelte Leiche eines Säuglings inmitten von Trümmern und Rauchschwaden
im zerstörten Gaza in die Kamera hält. Gaika identifiziert ihn als Vater.
Mit dem anderen Arm macht dieser ein Selfie und singt seinem toten Kind
„ein letztes Schlaflied“.

## Mehr Selbstreferenz als Selbstreflexion

Weil Gaika die Szene unangenehm wird, scrollt er auf der Timeline weiter
und landet bei der Aufnahme eines Konzerts in London, bei dem sich ein
Sänger mit dem Rücken zu den Zuschauern positioniert, damit man diese
besser sieht. Gaika beschreibt sie als trunken, ergeben würden sie die
Songtexte gröhlen. „Wie können sie nur, in Zeiten wie diesen“, schreibt
Gaika und räumt ein, dieser Gedanke sei unfair.

Was der Autor als selbstreferentielle Medienkritik des daueralerten
„Kreativarbeiters“ leistet, der stets am Handy bleibt, um den
Aufmerksamkeitszyklen im Netz 2.0 folgen zu können, kulminiert in dem
Absatz: „Grundsätzlich ist die eine Sequenz nicht denkbar ohne die andere.
Das Massaker an den … Palästinensern durch die israelische Armee hängt
direkt zusammen mit der Indifferenz von (westlichen) Bevölkerungen.“

Seit Jahrhunderten würden „unsere“ Regierungen die rassistische
Unterdrückung von „kolonisierten“ Völkern wie dem Palästinensischen
unterstützen. Das „Othering“ ist verantwortlich für den Nahostkrieg? Zu
israelischen Opfern und der Rolle von Hamas und Iran – kein Wort.

Nachfragen der taz an The Wire blieben unbeantwortet. Beobachter wundern
sich, was Gaika dazu befähigt, über diesen komplizierten Konflikt zu
schreiben. Künstler:Innen geben auf der letzten Seite des Magazins
monatlich über „Epiphanien“ Auskunft, für sie stilbildende Erfahrungen.
Gaikas Beitrag ist leider keine solche.

8 Jan 2024

## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Gaika/!5960379
[2] /Britisches-Musikmagazin-The-Wire/!5172046
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
BDS-Movement
Musik
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Großbritannien
Musik
Pop
Neue Musik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Postkoloniale Popwelt: Haltungsfragen um Israel
In der englischsprachigen Popwelt verschränkt sich die generelle
Protesthaltung mit postkolonialem Weltbild. Was folgt daraus 2024, auch
hierzulande?
Das Jahr 2023 im Pop-Rückblick: Unsanfte Konfrontationen
Ein verflixtes Jahr geht zu Ende. Was hat Pop 2023 Interessantes zustande
gebracht? Wo ist Hoffnung? Wer nervt? Vier Bilanzen.
Neues Album von Gaika: Böser Traum Kolonialgeschichte
Der Londoner Musiker Gaika spielt auf „Drift“ mit der britischen
Geschichte. Und erzählt von einer Jugend zwischen Hiphop und Postpunk.