# taz.de -- AfD auf TikTok: 18 Millionen Likes

> Alle großen deutschen Parteien sind auf Tiktok aktiv, die AfD ist dort
> stärkste Kraft. Populismus, Manpower und Vernetzung machen es möglich.
Alice Weidel steht im Bundestag und zerredet energisch das Bürgergeld. „Wer
arbeitet, ist der Dumme“, behauptet sie und kritisiert die Grundsicherung
als „Einwanderungsmagnet“. Fast 5 Millionen mal wurde das knapp
30-sekündige Video angeschaut, 150.000-mal gelikt. Es ist einer von vielen
Ausschnitten aus AfD-Reden, die sich auf der Plattform Tiktok finden. Die
Partei hat dort mit ihren rechten Inhalten ein Netz gewoben aus jungen
Influencer:innen und einer äußerst lebhaften Community.

Der Siegeszug der App selbst wurde in den letzten Jahren gut dokumentiert.
Aktuell hat Tiktok über eine Milliarde monatliche aktive Nutzer:innen,
die die kurzen Videos liken, kommentieren oder selbst hochladen, [1][21
Millionen Nutzer*innen davon leben in Deutschland]. Besonders bei
Minderjährigen ist die App mit ihren schnellen Inhalten populär: Hier
werden Trends gesetzt, Kontakte geknüpft, Meinungen ausgetauscht.

Doch die chinesische App gilt als Sicherheitsrisiko, wegen der
Dokumentation des Nutzer:innenverhalten und weil die Kommunistische
Partei der Volksrepublik China jederzeit Daten vom Unternehmen einfordern
kann. In den USA und mehreren Institutionen der Europäischen Union ist die
App auf Regierungshandys verboten.

Und: Tiktok ist zu einem Werkzeug moderner politischer Kommunikation
geworden – besonders bei den Jungen. Das Napoleon-Zitat „Wer die Jugend
hat, hat die Zukunft“, ein Grundsatz, den auch die Nationalsozialisten
befolgten, ist weiterhin aktuell. Gerade führt in dieser Hinsicht auf
Tiktok die AfD und das, obwohl sie sich gegen die Trends der Plattform
stellt.

## Schlusslicht SPD

Der [2][Politikberater Martin Fuchs] hat einen Fokus auf Social Media. Er
beobachtet seit Langem den Tiktok-Auftritt der AfD. Seine Analysen sind
alarmierend: Sechs der zehn erfolgreichsten Tiktok-Accounts deutscher
Politiker:innen gehören – gemessen an den Followern – laut Fuchs zur
AfD; bei den Likes herrscht eine ähnliche Dominanz.

Die AfD hat knapp 18 Millionen Likes, auf dem weit abgeschlagenen zweiten
Platz liegt die ehemals Linke mit 6 Millionen, das Schlusslicht mit nicht
einmal 300.000 Likes bildet die SPD. Ähnlich gelagerte Statistiken
untermauern die Erhebungen von Fuchs.

Der Erfolg der AfD hängt anscheinend mit einem als authentisch empfundenen
Auftritt zusammen, der sich durch einen inhärenten Rassismus und
Nationalismus auszeichnet. Die AfD-Politiker:innen machen keine Tänze
vor laufender Kamera, biedern sich nicht aktuellen Trends an oder versuchen
eine Kunstfigur im Internet zu sein. Während andere Parteien sich noch
immer fragen, wie politische Kommunikation auf der Plattform auszusehen
hat, hat die AfD ihre Antwort gefunden: radikale, nüchtern präsentierte
Botschaften, die ihrem Publikum sagen, was es hören will. Auf dem Account
der Bundestagsfraktion wird dann auch mal ganz simpel „Chrupalla disst
grüne Studienabbrecher“ oder „Alice Weidel auf 180!“ getitelt – mit
Ausrufezeichen! Auch Talkshow-Auftritte werden verbreitet, oft mit wenig
Kontext. Die Videos aus Landtags- und Bundestagsreden setzen auf
Polarisierung.

„Die öffentlichen Reden der AfD sind zum großen Teil für Tiktok geschrieben
worden“, sagt Martin Fuchs. „Wie diese Reden aufgebaut sind, wie sie
zuspitzen, wie auf andere draufgehauen wird, solche Inhalte können andere
Parteien nicht machen.“ Der Fokus auf polemische Inhalte sei einer der
Erfolgsfaktoren dafür, dass sich junge Leute ernst genommen fühlen.
„Natürlich ist Populismus Gold für die Algorithmen auf Tiktok.“

Er erlaube der AfD, Komplexität zu reduzieren. „Die anderen Parteien
versuchen, ihre Punkte differenziert und sachlich zu kommunizieren. Das
kann und wird auf Tiktok aber nicht funktionieren.“ Demnach sind es die
populistischen Grundprinzipien, die die AfD auf Tiktok erfolgreich machen.
Sie verleumdet Geflüchtete als Auslöser für Gewalt, erklärt „linksgrün“ zum
Feindbild und Ethnopluralismus zur Antwort.

## Zuspitzung, Überzeichnung, Dramatisierung

Jan-Hinrik Schmidt ist Professor und Experte für politische Kommunikation
am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Er sagt, es brauche
Zuspitzung, Überzeichnung, Dramatisierung, um auf Tiktok Aufmerksamkeit zu
gewinnen. „Das fällt populistischen Parteien und Politiker:innen
leichter beziehungsweise deckt sich mit ihrem Kommunikationsstil auch auf
anderen Kanälen.“

Ihren Populismus kann die AfD auch wegen ihrer personellen Aufstellung so
gut verbreiten. „Die AfD hat die viel größere Manpower, weil sie viel mehr
Leute in den Fraktionen angestellt hat, die digitale Kommunikation machen
und sie dadurch viel aktiver sind“, so Fuchs. Seine Analyse hat ergeben,
dass allein die Bundestagsfraktion der AfD auf 50 Tiktok-Accounts kommt.
Keine andere Fraktion hat so viele. Auch in der Anzahl der Follower
dominiert der offizielle Account der AfD-Fraktion und steht inzwischen bei
über 360.000. Diese aus Sicht der AfD starke Bilanz liegt nicht nur an der
Partei selbst, sondern auch an der Reproduktion durch Dritt-Accounts.

Diese Accounts, die nicht von der AfD oder ihren Mitgliedern betrieben
werden, reposten die AfD-Videos tausendfach, zum Teil mit größerem Erfolg
als die jeweiligen Originalvideos. Bei manchen AfD-Accounts findet sich
sogar der deutliche Aufruf, alle Videos herunterzuladen und zu teilen. Die
Wiederverwertung führt zu einer deutlichen Reichweitensteigerung und blaue
Herzen und Sprüche wie „Sei schlau, wähl blau“ sind bei den Dritt-Accounts
allgegenwärtig. Die Flut an Accounts mit AfD im Namen oder im Profilbild
macht es schwer, zwischen offiziellen Parteiauftritten und
Sympathisant:innen zu differenzieren. Auch der Schritt zur
Radikalisierung wird durch das omnipräsente Angebot der AfD leichter
gemacht.

Das zeigen unter anderem die Videos von Maximilian Krah,
AfD-Spitzenkandidat für die kommende Europawahl, in denen er zuerst die
klassischen Positionen seiner Partei wiedergibt: „Die Politiker haben Angst
vor dem Volk“, „Keine Angst vor dem linken Lehrer“ und „ARD und ZDF sind
linke Propaganda“. Das Paradoxe an Krah ist, dass er trotz des Erfolgs auf
Tiktok oft von dort wegführt, hin zu anderen Plattformen.

Laut ihm sind Youtube-Kanäle und Seiten wie „politikvonrechts.de“ gute
Quellen. Auf dieser findet man dann sein „Manifest für die AfD“ und Werbung
für das gleichnamige Buch – herausgegeben vom Verlag Antaios, gegründet und
geleitet von dem Rechtsextremisten Götz Kubitschek.

Die Radikalisierung auf externen Seiten ist kein Zufall, das bestätigt auch
Jan-Hinrik Schmidt. Es sei eine gängige Taktik extremistischer
Akteur:innen, „in öffentlichen Räumen vergleichsweise gemäßigt zu
kommunizieren und Menschen quasi ‚anzulocken‘, um sie dann in eher
geschlossene und kleinere Umgebungen zu lotsen, wo dann die radikaleren
Ansichten kommuniziert werden.“

Auch den Deutschland-Kurier findet man schnell auf Tiktok, ein AfD-nahes
Portal, das den Eindruck eines seriösen Magazins vermitteln möchte. Ein
Blick auf die Liste der Gastkolumnist:innen zeigt aber, dass ein
großer Teil aus der AfD selbst stammt oder ihr nahesteht. Unter den
Gastkolumnist:innen findet sich auch die rechte Influencerin Carolin
Matthie. Sie ist nur eine von vielen rechten Influencer:innen, die wiederum
Teil des reichweitenstarken AfD-Netzes sind, das inzwischen alle
Social-Media-Plattformen umfasst.

Dabei ist Tiktok – zumindest in der Theorie – darauf bedacht, Populismus
und politische Inhalte zu unterbinden. Die Plattform bietet primär simple
Unterhaltung und löscht – neben Kritik gegenüber China – manchmal auch
explizit politische Videos. „Wenn die AfD etwas sagt, dass nicht auf dem
Boden des Grundgesetzes steht, dann löscht Tiktok das relativ schnell. Das
Unternehmen weiß, dass so etwas ihr Geschäftsmodell massiv beschädigen
könnte, wenn herauskommt, dass Tiktok ein radikales Netzwerk ist“, so
Fuchs.

So löschte Tiktok im Mai 2022 auch den damaligen offiziellen
AfD-Partei-Account. So eine Löschung eines prominenten Accounts mag auf den
ersten Blick wie ein großer Schlag gegen die AfD wirken, doch sie zeigt
inzwischen nur noch wenig Wirkung, weil so viele Abgeordnete und
Dritt-Accounts rasant Inhalte vervielfältigen.

„Einen einzigen zentralen Account braucht die AfD auch gar nicht“, erklärt
Fuchs, „denn Tiktok funktioniert über Personenmarken und Gesichter.“ Und
mit dieser Strategie spinnt die Partei ein äußerst erfolgreiches radikales
Netz über alle Social-Media-Plattformen hinweg, größtenteils unberührt von
Zensur und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.

Trotz einer rückwärtsgewandten Gesinnung weiß die Partei, die in Teilen vom
Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextremistisch eingestuft wird,
moderne Plattformen bestens zu bespielen. Indem die demokratischen Parteien
Tiktok und damit auch eine junge Zielgruppe vernachlässigen, überlassen sie
bislang einen entscheidenden Teil der politischen Zukunft der AfD.

23 Dec 2023

## LINKS
[1] https://newsroom.tiktok.com/de-de/mau-announcement
[2] https://martin-fuchs.org/
## AUTOREN
Martin Seng
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