|
Zuletzt hatte es noch eine Nachtsitzung gebraucht. Aber am Donnerstagmorgen
war dann klar: Die EU hat sich in Trilogverhandlungen auf ein
Lieferkettengesetz geeinigt, das viele Unternehmen künftig dazu
verpflichten soll, ihr Produktionsnetzwerk auf mögliche [1][Verstöße gegen
die Menschenrechte zu überprüfen] und dagegen vorzugehen. Zudem müssen
Konzerne einen Plan verabschieden, der sicherstellen soll, dass ihr
Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist.
Dass die Verständigung zwischen Vertreter*innen des EU-Parlaments, der
Mitgliedstaaten und der Kommission über die EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie
– wie sie offiziell heißt – überhaupt zustande kommt, war bis zuletzt
unsicher. Zu groß schienen die Unstimmigkeiten vor allem zwischen Rat und
Parlament.
„Fast bis zum Tageseinbruch“ hätten die Verhandler*innen diskutiert,
sagte die Berichterstatterin für das Parlament, Lara Wolters. Sie stellte
die Einigung am Donnerstag in einer Pressekonferenz mit Justizkommissar
Didier Reynders und dem spanischen Staatssekretär Gonzalo García Andrés
vor, der für die Mitglieder im Rat verhandelt hatte.
„Missstände wie Kinderarbeit bei der [2][Gewinnung von Kobalt für
Smartphones], Regenwaldzerstörung für Soja, das in unseren Supermärkten
landet, sind nur einige Beispiele für unverantwortliche Geschäftspraktiken,
bei denen Unternehmen nun nicht mehr wegschauen können“, erklärte Wolters.
## Finanzdienstleister ausgenommen
Die letzten Streitpunkte waren Fragen, die beispielsweise im deutschen
Lieferkettengesetz, das seit Beginn des Jahres in Kraft ist, noch gar nicht
vorkommen. Etwa, ob die Sorgfaltspflichten auch für den Finanzsektor gelten
sollen. Dagegen hatte sich besonders Frankreich gewehrt – und mit der
Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten dann auch durchgesetzt. Im
Kompromiss sind Finanzdienstleister nun ausgenommen, sie können aber mit
Hilfe einer Überprüfungsklausel später noch eingefügt werden.
Während einige Teile der Finanzlobby sich vehement gegen ihre Einbeziehung
in die Richtlinie gewehrt hatten, gab es auch viele Investoren und
Finanzdienstleister, die das wollten. Unter anderem hatte Frank Elderson
vom Vorstand der Europäischen Zentralbank dafür geworben, die EU-Richtlinie
auf den Finanzsektor auszuweiten.
Zweiter großer Streitpunkt waren die Klimavorgaben für Unternehmen: Sollten
Unternehmen lediglich Klimapläne vorlegen müssen – oder auch verpflichtet
sein, sie umzusetzen und bei Verstößen dagegen belangt werden können? Auch
hier hatten sich vor allem Mitglieder des Rats, darunter Deutschland, gegen
die stärkeren Verpflichtungen ausgesprochen. Hier setzten sich aber die
Vertreter*innen des Parlaments durch. Ebenso wie mit der Vorgabe, dass
die Umsetzung der Klimapläne an Bonuszahlungen für Manager*innen
gekoppelt sein sollen.
Und auch im dritten Konflikt – der Haftung – behauptete sich das Parlament.
Anders als im deutschen Lieferkettengesetz können nach den Vorgaben der
EU-Richtlinie Betroffene oder auch Interessenvertreter wie Gewerkschaften
oder NGOs künftig vor europäischen Gerichten gegen Unternehmen klagen, die
ihren Pflichten nicht nachkommen. Die Verjährungsfrist soll fünf Jahre
betragen. Außerdem sollen die Kosten begrenzt werden, die auf
Kläger*innen zukommen.
## Deutschland muss nachbesser
[3][Während vor allem deutsche Wirtschaftsverbände bis zuletzt stark gegen
die EU-Richtlinie lobbyiert hatten], hatten sich etwa Unternehmen aus der
Textil- und Nahrungsmittelindustrie immer für klare Regeln eingesetzt und
zeigten sich nun entsprechend erfreut. Auch aus der Zivilgesellschaft war
Aufatmen zu hören: Ein breites Bündnis an Umwelt- und
Menschenrechtsorganisationen hatte jahrelang für Unternehmenspflichten auf
EU-Ebene gekämpft.
Die EU-Richtlinie muss nun noch vom Parlament und den Mitgliedstaaten
angenommen werden. Das ist in der Regel nach Abschluss der
Trilogverhandlungen nur noch Formsache. Danach müssen die Mitgliedstaaten
die Reglungen in nationale Gesetze überführen. Durchgesetzt werden diese
dann von den nationalen Behörden. Diese können Untersuchungen durchführen
und bei Verstößen Sanktionen gegen die Unternehmen verhängen – vorgesehen
sind Geldstrafen von maximal 5 Prozent des Nettoumsatzes.
Deutschland muss sein Lieferkettengesetz nun in einigen Punkten
nachbessern: Hinzugefügt werden müssen die Möglichkeit der zivilen Haftung
und die Umweltpflichten. Außerdem wird der Geltungsbereich ausgeweitet: Das
deutsche Lieferkettengesetz sollte ab 2024 für Firmen mit mehr als 1.000
Mitarbeitern gelten, die EU-Einigung soll aber solche mit mehr als 500
Mitarbeiter*innen und einem weltweiten Nettoumsatz von 150 Millionen
Euro betreffen.
Auch für Unternehmen von außerhalb der EU gilt das EU-Gesetz, wenn sie
einen Nettoumsatz von 300 Millionen Euro in der EU erwirtschaften. Außerdem
gelten die Sorgfaltspflichten nun für die gesamte Wertschöpfungskette, also
auch für Verkauf, Logistik und Entsorgung.
14 Dec 2023
## LINKS
|