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Regale voller Terrarien, die verbunden sind mit Glasrohren und gefüllt mit
Erdreich, Blättern, Ästen und Farnen. Man muss schon genau im Halbdunkel
hinsehen, um wahrzunehmen, dass hier überall Blattschneiderameisen
herumwieseln und an den Blättern nagen. Dass sie diese Blätter zu einer
breiigen Matschepampe zerkauen, die wiederum als Nährboden dient, auf dem
die Pilze wachsen, von denen sich die Ameisenkolonie ernährt.
Die Installation ist derzeit im Frankfurter Kunstverein zu sehen, aber sie
könnte auch in einem Zoo gezeigt werden. Bei genauer Betrachtung stellt
sich heraus: Die Installation kommt tatsächlich aus dem Frankfurter Zoo,
der bei der Organisation der Ausstellung „Bending the Curve – Wissen,
Handeln, [Für]Sorge für Biodiversität“ ebenso beteiligt war wie das
Frankfurter Senckenberg Naturmuseum.
## Zusammenarbeit zwischen Zoo und Kunstverein
Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Franziska Nori vom Kunstverein
und Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und
Klima Forschungszentrums, zeigt aber keine – oft effekthascherische – „Bio
Art“. Die Ausstellung präsentiert bedacht ausgewählte Exponate aus
Naturwissenschaft und bildender Kunst unter einer prägnanten These: Um
Klimawandel, Verlust von Biodiversität und Umweltverschmutzung zu stoppen
und so die Ökosysteme zu schützen, bedürfe es „positiver Erzählungen“.
Und in der Tat haben alle gezeigten Exponate gemeinsam, dass sie von einer
alternativen, ressourcenschonenden Art im Umgang mit unserer Umwelt
handeln. Ob diese These richtig ist, sei einmal dahingestellt. Die
Ausstellung funktioniert aber auch dann wunderbar, wenn man ihr nicht
zustimmt, weil man die meisten Exponate auch ohne Überbau und Ökobezug
einfach als Kunst betrachten kann.
Was in den ausführlichen Wandtexten kaum Erwähnung findet, ist die
Tatsache, dass gerade viele der Ausstellungstücke aus der Naturwissenschaft
eine auffallende Nähe zu gut eingeführten Kunstpraktiken haben. Nehmen wir
die in der Ausstellung präsentierte „Movebank“ des Max-Planck-Instituts für
Verhaltensbiologie, in der die Bewegungsdaten von Wildtieren gespeichert
werden.
Sie ist im Kunstverein durch eine Videoinstallation repräsentiert, in der
die gespeicherten Informationen über die Routen von Zugvögeln und
Tierwanderungen per Geo-Mapping auf einen rotierenden Globus gelegt sind.
Die Liniennetze, die sich so ergeben, erinnern an den oft zitierten Satz
von Paul Klee: „Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen.“ So
[1][wie Klee aus vielen einfachen Strichen] komplexe Bildstrukturen
entstehen ließ, so zeichnen die Tierbewegungen vielgliedrige, globale
Muster auf den Planeten.
Formal und konzeptuell ähnlich werden Biodaten auch in der Video- und
Virtual-Reality-Installation „MYRIAD. Where we connect“ von Interactive
Media Foundation und Filmtank aus Italien in weiße Muster auf schwarzem
Hintergrund übersetzt, die an die Videoinstallationen von Christa Sommerer
und Laurent Mignonneau erinnern.
## Ameisenbauten wie Kleinskulpturen
Wenn man erst mal angefangen hat, die Exponate wie reine Kunstwerke zu
betrachten, kommen die erstaunlichsten Assoziationen. Da sind zum Beispiel
sechs Aluminiumabgüsse von unterirdischen Ameisenbauten des
US-amerikanischen Biologen Walter R. Tschinkel. Von der Decke hängend sehen
sie aus wie abstrakte Kleinskulpturen, die von Calder, Giacometti oder
[2][Brâncuși] inspiriert sein könnten.
Die Zeitrafferaufnahmen vom Pilzwachstum des italienischen Künstlers
[3][Maurizio Montalti] gemahnen an die Stoner-Videokunst voller visueller
Metamorphosen und Transformationen, wie Dan Sandin oder Ed Emshwiller sie
in den 70er Jahren mit der Hilfe von Videosynthesizern produzierten.
Und die Ameisen aus dem Frankfurter Zoo, die sich in ihrem
Terrarien-Habitat ihr eigenes Reich schaffen? Wenn das nicht eine „soziale
Skulptur“ im Sinne von Joseph Beuys ist, also ein Werk entstanden aus der
Kollaboration von vielen Akteuren! Jedes Tier ist ein Künstler.
Um die Installation so zu betrachten, muss man freilich akzeptieren, dass
auch Ameisen eine Gesellschaft sein können und ein genuines
Ameisen-Soziales haben. Und das ist letztlich das Ziel der Ausstellung:
eine Verschiebung der Blickrichtung von einem „anthropozentrischen“
Standpunkt hin zu einer vollkommenen Betrachtungsweise, die auch die
Perspektive von Tieren und Pflanzen mit einbezieht.
15 Nov 2023
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