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Erstmals macht der alpine Skizirkus dieses Wochenende am „Kinderbild des
absoluten Bergs“ halt. Auf den Philosophen Theodor W. Adorno, von dem das
Zitat stammt, wirkte das Matterhorn, als „wenn er der einzige Berg auf der
ganzen Welt wäre“.
Tatsächlich ist an Berg und Abfahrt vieles einzigartig. So hoch, nämlich
auf 3.800 Meter Meereshöhe, ist noch nie ein Weltcup-Rennen gestartet. Dass
es derart [1][früh in der Saison], nämlich schon Anfang November,
stattfindet, ist auch besonders und sorgt für Kritik. Im vergangenen Jahr
musste die geplante Premiere auf dieser neuen Vorzeigerennstrecke des
alpinen Skisports, Gran Becca ist ihr Name, noch wegen Schneemangels
abgesagt werden. Am gestrigen Freitag fielen die Trainingsläufe wegen
Schnee und Wind aus.
Große Teile der Abfahrt, vor allem der Startbereich nahe dem Klein
Matterhorn, liegen auf dem Theodulgletscher. Der schmilzt zwar, wie alle
Gletscher durch die Erderwärmung schmelzen, aber noch ist er ein
Ganzjahresskigebiet, sehr populär auch zum Sommertraining von
Weltklasseskifahrern, was auch [2][ökologisch fragwürdig] ist.
Und da ist der Berg, der in der [3][Geschichte] schon so vieles aushalten
musste. Von Toblerone über das Paramount-Logo, die unterschiedlichsten
[4][Weltfirmen] bedienen sich seiner besonderen Schönheit. Bereits 1859,
sechs Jahre vor der Erstbesteigung des Matterhorns, wollte ein Schweizer
Ingenieur in den Berg einen Tunnel graben, der wie eine Wendeltreppe zum
Gipfel geführt hätte. Später sollte eine Drahtseilbahn gebaut werden, die
mit 75-prozentiger Steigung und zwei Kilometern Länge bis 20 Meter unter
den Gipfel führen sollte.
Auf dem großen Matterhorn mit seinen 4.478 Metern Höhe wurden all diese
Pläne nicht verwirklicht, sehr wohl aber am [5][Klein Matterhorn], der
benachbarte Berg, der mit 3.883 Metern immer noch sehr hoch ist. Hier führt
eine Seilbahn hoch, hier gibt es Shopping-Möglichkeiten und Restaurants,
und nur wenige Meter von diesem Komplex entfernt startet am Samstag das
Abfahrtsrennen.
## Unterhaltungsindustrie am Berg
Viel Stoff für einen Kritiker der Unterhaltungsindustrie also. Es ist eine
Red-Bullisierung des Wintersports, die wir erleben müssen. Wie die anderen
Extremsportarten, die der Getränkekonzern sponsert, wird auch hier die
Naturkulisse zur Inszenierung des Sports genommen: Wasserspringen von
wilden Klippen, Surfen auf höchsten Wellen, Base-Jumping vor steilen
Felswänden – und eben eine Speed-Skiabfahrt vor der Kulisse des
Matterhorns.
Die Fernsehkameras sind so aufgebaut, dass der berühmte Berg möglichst oft
im Bild sein wird, und die erste schwierige Stelle der Abfahrt heißt
entsprechend „Matterhorn-Sprung“. Zu dieser Red-Bullisierung passt auch die
Grenzüberschreitung, die der kapitalistischen Akkumulation innewohnt.
Erstmals wird eine Weltcup-Abfahrt über zwei Länder geführt: Italien und
die Schweiz, die sich das Matterhorn teilen.
Adorno erreichte, als er 1969 in Zermatt war, übrigens weder das Matterhorn
noch das Klein Matterhorn. Damals führte die Seilbahn nur bis zur Station
„Trockener Steg“ auf knapp 3.000 Metern Höhe. Dort stiegen Theodor W. und
Gretel Adorno aus, später bekam er Herzbeschwerden, wurde ins nächste
Krankenhaus gebracht, [6][wo er starb]. Der Gesellschaftskritiker kam
seinem idealen Berg in der Realität also sehr nahe, ehe er starb. Nun
bemächtigt sich die Unterhaltungsindustrie dieses „Kinderbildes absoluten
Berges“.
10 Nov 2023
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