# taz.de -- „Edward II.“ am Deutschen Theater Berlin: Nur Geilheit im Kopf

> Als Drama der englischen Renaissance ist „Edward II.“ ein beliebter
> Klassiker. Seine Neuinszenierung am DT setzt schwer auf
> Sadomasofantasien.
Im frühen 14. Jahrhundert regierte Edward II. das Königreich England. Seine
Zeit auf dem Thron war stark belastet von Machtkämpfen mit dem Hochadel,
der ihm seine Nähe zu einem Günstling vorwarf. Für den Geschmack der Lords
und auch seiner Gattin war der Mann namens Gaveston viel zu schnell
aufgestiegen, zudem fühlten sie sich von ihm verspottet.

Als sie den Favoriten des Königs zunächst verbannten und dann kurzerhand
ermordeten, spitzte sich die Staatskrise zu, ein Bürgerkrieg drohte. Der
König gab schließlich klein bei, dankte ab und fand kurz darauf selbst
seinen Tod.

Fast zweihundert Jahre später nahm sich der große englische Dichter
Christopher Marlowe des Falls an. Marlowe, ein Zeitgenosse William
Shakespeares und damals von nicht geringerem Ansehen, verdichtete den
historischen Stoff zur Geschichte eines Königs, der an seiner Leidenschaft
scheitert. Über seine persönliche Sympathie für Gaveston vernachlässigt
Edward bei ihm die Regierungskunst, die auch das Vermögen erfordert, Macht
in die Hände anderer zu legen, auf dass diese nicht selbst nach ihr
greifen.

Das Stück geriet für lange Zeit in Vergessenheit. Erst ihm zwanzigsten
Jahrhundert tauchte es auf den Bühnen, aber auch in Film und Fernsehen
wieder auf. Der Grund für das Interesse lag darin, dass sich hier ein
originales Drama der englischen Renaissance samt allem, was dazu gehört
(Intrigen, Königsmord, Krieg), mit den Anliegen sexueller
Emanzipationsbewegungen verbinden ließ. Edward II., das war von nun an ein
schwuler Mann, der an einer homophoben Gesellschaft zerbricht.

## Begraben unter Sadomasofantasien

Vor einigen Jahren dann schrieb der [1][Dramatiker Ewald Palmetshofer das
Stück neu] und nannte es im Untertitel „Die Liebe bin ich“. Die
homosexuellen Bezüge sind bei ihm zwar noch vorhanden, spielen aber nur
noch eine untergeordnete Rolle. Palmetshofer modernisierte Marlowes Text,
wendete ihn aber zugleich ins Abstrakte. Nicht von Schwulenhass erzählt er,
vielmehr behandelt der Österreicher die Frage, wie groß die Gefühle einer
Person sein können, will sie nicht in Konflikt zur Gesellschaft treten.

Ende der Vorgeschichte, denn nun begräbt Regisseurin Jessica Weisskirchen
das Stück in der Box des Deutschen Theaters unter Sadomasofantasien. Zu
Beginn scharwenzeln ein paar Höflinge nekrophil um die Leichte von Edwards
gerade verstorbenem Vater herum. In seiner ersten Szene als König ist Jens
Koch bis zum Kopf in Leder gepresst, lediglich die Zunge flutscht durch die
Gesichtsmaske hindurch und leckt gierig in Richtung Publikum.

Seinen Vertrauten Gaveston hat Ausstatter Günter Hans Wolf Lemke
ersichtlich nach dem Motto Lustknabe eingekleidet. Im kurzen Rock, die
muskulöse Brust halb entblößt und die Haare nach hinten gegelt, presst Lenz
Moretti seinen Gönner brutal gegen die Bühnenwand. Die Widersacher der
beiden verhalten sich kaum züchtiger. Der Bischof und die Adeligen raufen
sich bei jeder Gelegenheit auf dem Boden, die Königin versohlt einem ihrer
Anhänger den nackten Hintern und nuckelt ansonsten an einem Schnuller
herum.

Nein, keine Liebe ist hier zu erwarten, auch wenn Edward ständig von ihr
redet. Seine Beschwörung der größten Zuneigung verbleibt auf der Ebene
bloßer Behauptung. Tatsächlich regiert hier die Lust, diese Staatsform
nennt sich Hedonismus. Schade, denn so treibt die 1985 in Heidelberg
geborene Regisseurin dem Stoff jegliche gesellschaftliche Dringlichkeit
aus.

## Erinnerungen an Nuller- und Zehnerjahre

[2][Fraglos ist Sex ein politisches Thema], es eignet sich aber gerade
deshalb nicht mehr als Mittel der Wahl zur Verhandlung jedes anderen.
Ungute Erinnerungen an all die Inszenierungen älterer Regisseure aus den
Nuller- und Zehnerjahren kommen auf, die jeden Klassiker bis zur Rampe mit
Geilheit aufluden, als wäre es völlig offenbar, dass Shakespeare, Goethe,
Büchner oder Ibsen nur das eine im Kopf hatten.

Auch bei Weisskirchen ist Macht ein Spiel zwischen Gespielen. Lediglich die
sexuelle Anziehung kann diesen Figuren als Gradmesser für die Verhältnisse
im Staate dienen. Es stellt sich allerdings die Frage, warum dann überhaupt
Streit aufkommt. Keine differenzierte Hierarchie wie bei Marlowe und auch
keine tieferen Gefühle wie bei Palmetshofer sind hier zu erkennen. Und
damit auch nichts, was das Ausleben des omnipräsenten Verlangens behindern
könnte.

Es ist dem Engagement des siebenköpfigen Ensembles zu verdanken, dass man
in den ersten dreißig Minuten kaum mitbekommt, dass ihre Figuren null
Motivation für all ihre Intrigen, Ränkespiele und Kriege haben dürften.
Aber danach, als der Groschen gefallen ist, dauert der Abend eben noch eine
gute Stunde. Sie fühlt sich ziemlich lang an.

9 Oct 2023

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## AUTOREN
Michael Wolf
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