|
Hamburg taz | Über die „Zugangspolitik zu Fahrkarten“ hat sich der
Sozialarbeiter Jonny Schanz beim Hamburger Verkehrsverbund (HVV) beschwert.
Denn das [1][Deutschland-Ticket für 49 Euro] erhielten nur Personen, die
ein Konto haben. „Das ist bei vielen, die in Armut leben, nicht der Fall“,
sagt Schanz.
Vor seinem Schreibtisch in der Hamburger Drogenberatungsstelle
[2][Abrigado] saß eine Klientin, die ganz dringend ein Monatsticket
braucht, weil sie an einem anderen Ort in dieser großen Stadt eine „Arbeit
statt Strafe“-Stelle antreten muss. Doch telefonisch kam der Sozialarbeiter
beim HVV nicht durch. „Eine unserer Klientinnen wird nun in Haft gehen
müssen, weil es keine Möglichkeit gibt, ein irgendwie finanzierbares
HVV-Ticket gegen Bargeld zu kaufen“, schrieb er verzweifelt der taz,
nachdem er schon 20 Minuten in der Warteschleife gehangen hatte.
Früher – also bis Mai 2023 – gab es in Hamburg am Schalter oder Automaten
noch die „CC-Karte“ für 34 Euro. Die war zwar zur Rush-Hour zwischen 6 und
9 Uhr sowie 16 bis 18 Uhr nicht gültig, aber günstig. Nun aber – seit dem
Start des Deutschland-Tickets – gibt es als Hamburg-Monatskarte nur noch
eine für 69 Euro.
„Das [3][Deutschland-Ticket] schließt arme Menschen aus“, sagt auch
Sozialarbeiterin Isabel Kohler vom [4][Straßenmagazin Hinz & Kunzt]. Zwar
zahle Hamburg fürs 49-Euro-Ticket [5][30 Euro Sozialrabatt]. Aber so ein
19-Euro-Ticket sei an Voraussetzungen geknüpft. „Menschen ohne Konto und
Menschen mit Schulden beim HVV haben keine Chance, es zu bekommen.“
Zudem seien EU-Bürger, die hier leben und keinen Leistungsanspruch haben,
vom Sozialrabatt ausgeschlossen. „Die, die hier vom Betteln leben, erhalten
den Sozialrabatt nicht, aber mobil müssen diese Menschen sein“, sagt
Kohler. Dafür hätten sie die alte CC-Karte nutzen können.
Nun aber liefen die Menschen Gefahr, auf ihren täglichen Wegen zu
Aufenthaltsstätten, Treffpunkten und Beratungsstellen beim Schwarzfahren
erwischt zu werden und ins Gefängnis zu müssen. Schwierig sei auch, dass
das Ticket digital über Handy vertrieben wird. „Das überfordert viele“,
sagt Kohler. „Wir fordern, dass die Menschen das 19-Euro-Ticket analog am
Automaten kaufen können.“
HVV-Sprecher Rainer Vohl sagt, dass das Deutschlandticket nur im Abo und
über ein Konto bezogen werden kann, sei eine „bundesweite Vorgabe“ und
keine Idee des HVV. Es gebe aber die Möglichkeit, das Abo über das Konto
einer anderen Person oder einer Beratungsstelle zu bezahlen. Er gehe davon
aus, dass das praktiziert wird und „Lösungen gefunden wurden“. Da habe es
Gespräche mit der Caritas gegeben.
Bei der Caritas weiß man indes nichts davon. Die Kollegen der
Wohnungslosenhilfe könnten sich nicht vorstellen, wie das laufen soll, sagt
Sprecher Timo Spiewak. „Es gibt dort viele Anfragen.“ Die einzige
Möglichkeit, den Menschen zu helfen, wäre, ein Konto einzurichten, falls
sie verschuldet sind, ein pfändungsfreies. Auch andere Beratungsstellen
erklären, ein Konto zu stellen, sei schwierig und schaffe neue
Abhängigkeiten, müsse man doch von den Klienten das Geld einsammeln.
Die Sozialbehörde erklärt, Personen ohne Konto könnten doch besagte
Monatskarte für 69 Euro kaufen, die für das ganze Netz des HVV gilt. Auch
auf diese werde ein Sozialrabatt von 30 Euro gewährt. „Somit würden dann
nur noch 39 Euro an Eigenbeteiligung entstehen“, sagt Sprecher Wolfgang
Arnhold. Das Deutschland-Ticket sei von den Vorgaben des
„[6][Bundesministeriums für Digitales und Verkehr]“ geprägt, weshalb der
Fokus dort auf „digitalen Zugangsformen“ liege. Die Nutzung der Konten von
Dritten sei eine „praktikable Lösung“, für die die Behörde sich eingesetzt
habe.
Auch die [7][grüne Sozialpolitikerin Mareike Engels] sieht, dass die
digitale Form des Deutschlandtickets „Schwierigkeiten provozieren“ könne,
weshalb es ja diese 69-Euro-Karte „auch mit Sozialrabatt“ am Schalter gebe.
Für die Teilhabe aller Menschen wären jedoch „weitere pragmatische Lösungen
wünschenswert“.
Laut HVV-Sprecher Vohl ist der Kauf so einer um 30 Euro vergünstigten
Monatskarte an jeder der rund 70 Servicestellen möglich. Das
Antragsformular sei dort oder auf [8][hvv.de], sowie in Jobcentern,
Grundsicherungsämtern und den Sozialen Dienstleistungszentren erhältlich.
Da manche Menschen nicht wüssten, nach welchem Gesetz sie Sozialleistung
beziehen, werde empfohlen, auch den Bewilligungsbescheid dafür
mitzubringen. „Grundsätzlich wird der Rabatt aber auch ohne Vorlage des
Bewilligungsbescheids in allen HVV-Servicestellen gewährt“, sagt Vohl.
Vorausgesetzt, es liege ein Ausweis vor.
## Nun hilft nur noch eine private Lösung
„Das ist noch keine Hilfe für die Menschen, die keine Leistungen beziehen“,
sagt indes Isabel Kohler. Manche würden aufgrund von gestiegenen
Anforderungen, Sanktionen oder anderer negativer Erfahrungen mit dem
Jobcenter „nichts mehr zu tun haben wollen“ und deshalb keine Leistungen
beziehen. Sie müssen die 69 Euro zusammenkratzen. Denn sollte jemand
unberechtigt den Rabatt benutzen, [9][so steht es im Formular], wird das
wegen Betrugs verfolgt. Zudem hätten viele Obdachlose und Wohnungslose
keinen Ausweis oder würden „wegen fehlender Sprachkenntnisse an Schaltern
abgewiesen“.
Sozialarbeiter Jonny Schanz, der am HVV-Telefon nach Möglichkeiten fragen
wollte, legte übrigens nach 30 Minuten in der Warteschleife auf. Seiner
Klientin hätte der Sozialrabatt eh nicht geholfen, sagt er, da auch sie
keinen Leistungsanspruch habe. Schanz sucht nun eine private Lösung, „damit
sie nicht ins Gefängnis kommt“.
[10][Arbeit statt Strafe] gibt es in Hamburg an rund 400 Einsatzstellen, an
denen in diesem Jahr schon 605 Menschen Dienst taten. Nach der
naheliegenden Lösung gefragt, ob die Stadt den Klienten, damit sie kommen,
nicht HVV-Tickets in die Hand drücken kann, windet sich die zuständige
Sozialbehörde. Es gebe zwar „im Bedarfsfall Einzelscheine“, aber keine
„vollständige Übernahme der Fahrtkosten“.
18 Sep 2023
## LINKS
|