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Das Gehirn ist ein hochempfindliches Gebilde, das nur unter ganz bestimmten
Bedingungen funktioniert. Es muss mit Sauerstoff versorgt und entsprechend
gut durchblutet werden. Aber im Blut schwimmen noch viele andere Dinge,
etwa Hormone oder Stoffwechselprodukte, die nicht in das zentrale
Nervensystem gelangen sollen. Deswegen gibt es die Blut-Hirn-Schranke: eine
Barriere aus eng aneinander liegenden Zellen der Blutgefäßwände. Zu ihr
gehören auch Membranproteine, die aktiv verhindern, dass Fremdstoffe
eindringen, und notfalls auch Substanzen wieder heraustransportieren
können. Die Schranke durchzieht auch das Rückenmark und hat bei einem
durchschnittlich großen Erwachsenen eine Fläche von 12 bis 18 Quadratmeter.
Funktioniert diese Barriere nicht mehr ordentlich, geraten die
[1][Nervenzellen aus dem Gleichgewicht]. Es können sich Blutungen und
Entzündungen bilden. Bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Epilepsie und
Schlaganfällen wird die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger. Auch bei der
[2][Parkinson-Erkrankung], bei Gehirntumoren, [3][Alzheimer] und weiteren
Störungen des zentralen Nervensystems kann sie eine Rolle spielen.
Trotzdem suchen gerade mehrere Forschungsteams nach Wegen, die
Blut-Hirn-Schranke zu durchbrechen. Warum das?
So unentbehrlich sie ist, macht es die Barriere schwer, Medikamente in das
Gehirn zu bekommen. Behandlungen scheitern daher oft genau an dem
Mechanismus, der uns sonst schützt.
## Viele Forschungsansätze
Einen Ansatz dafür beschreibt ein [4][spanisch-japanisches Team in der
Fachzeitschrift Science Advances]. Sie nutzten eine Ultraschall-Methode, um
die Blut-Hirn-Schranke für kurze Zeit durchlässig zu machen. Zunächst
probierten sie es an Javaneraffen: Sie visierten ganz gezielt
Gehirnregionen an, die mit der Parkinson-Erkrankung zusammenhängen und in
die sie nun grün markiertes Virus mit einer angehängten Gentherapie
einschleusen wollten. Der Ultraschall brachte dabei mit geringer Frequenz
winzige Bläschen in den Blutgefäßen zum Schwingen, was wiederum die engen
Verbindungen zwischen den Gefäßzellen lockert und sie durchlässiger machte.
So konnten die Viren und somit die Gentherapie aus dem Blut ins Gehirn
gelangen. Auf ähnliche Weise behandelten die Forschenden daraufhin drei
Parkinson-Patienten. Die Hoffnung dabei war, die Therapie auf möglichst
wenig invasive Art in die betroffenen Zellen zu bekommen.
Zunächst einmal sollte die Studie zeigen, dass die Methode machbar und
sicher ist. Von einer klinischen Zulassung ist sie damit aber noch weit
entfernt und technisch längst nicht perfekt, erklärt Regine Heilbronn,
Leiterin der Arbeitsgruppe Gentherapie an der Klinik für Neurologie der
Charité Berlin. Anhand der grünen Markierungen kann man sehen, wie viele
der Viren es bis ins Hirn geschafft haben. Die sichtbare Verstärkung dort
sei allerdings nur gering – „viel zu gering, um darauf hoffen zu können,
dass therapeutische Gene zum Beispiel bei Parkinson funktionell wirksam
würden“. Insgesamt hält Regine Heilbronn die Methode für interessant, nun
müsse sie aber technologisch weiterentwickelt werden und eine Überlegenheit
gegenüber etablierten Gentherapie-Verfahren zeigen.
Ultraschall wird derzeit noch in [5][verschiedenen] [6][anderen]
Forschungsgruppen untersucht. Im Detail unterscheiden sich die Studien ein
wenig, auch das Ziel ist nicht das gleiche, aber letztendlich geht es immer
darum, irgendetwas ins Gehirn hineinzubekommen.
Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Ansätze, um Medikamente über die
Blut-Hirn-Schranke zu schleusen. [7][Der amerikanische Forscher Edward A.
Neuwelt] etwa nutzt dafür eine hochkonzentrierte Zuckerlösung, die er in
die Halsschlagader injiziert. Dadurch ziehen sich die Gefäßzellen zusammen,
ihre Verbindungen öffnen sich und gleichzeitig verabreichte Medikamente
können in das Gehirn gelangen. Das funktioniert zwar recht gut, hat aber
deutliche Nachteile, erklärt Prof. Dr. Gert Fricker, Direktor des Instituts
für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg:
„Die Zuckerlösung öffnet die Blut-Hirn-Schranke nicht gezielt an einer
bestimmten Stelle, sondern praktisch überall, wo sie hingelangt.“
Zwar schließe sich die Barriere nach einigen Stunden wieder von selbst,
doch in dieser Zeit könnten auch andere Substanzen und Proteine aus dem
Blut in das Gehirn gelangen. Daher gebe es häufig unerwünschte
Nebenwirkungen wie Lähmungen, Ausfälle der kognitiven Leistungen und
Sprachstörungen. Allerdings, so Fricker, nehme man das Risiko etwa bei
Tumorpatient:innen in Kauf, die sonst kaum noch Optionen haben.
Sicherer wäre es jedoch, die Blut-Hirn-Schranke intakt zu lassen und die
Medikamente anders einzuschleusen. Auch das wird erforscht, mithilfe der
aktiven Transportmechanismen über die Barriere. [8][Auf den Zellen befinden
sich Andockstellen], sogenannte Rezeptoren. Bindet eine passende Substanz
daran, werden diese Rezeptoren mitsamt Anhang in die Zelle aufgenommen und
auf der anderen Seite wieder freigelassen. Die Herausforderung ist nun, die
Medikamente so zu verpacken, dass sie an die Andockstellen binden können.
Beispielsweise kann man [9][winzige Päckchen] schnüren, die wiederum an
Substanzen gebunden werden, die von Natur aus an die Rezeptoren passen.
Oder man nutzt [10][Antikörper], welche die Andockstellen erkennen.
Generell ist dabei wichtig, dass die Päckchen sich an ihrem Zielort
möglichst schnell auflösen und den Wirkstoff freisetzen.
All das sind vielversprechende Methoden, die jeweils ihre vor- und
Nachteile haben. „Wenn die Blut-Hirn-Schranke nicht beschädigt wird, kann
das Verfahren auch mehrfach hintereinander und auf längere Zeit eingesetzt
werden“, sagt Gert Fricker. Das sei etwa bei Alzheimer- oder
Parkinson-Erkrankungen hilfreich, wo eine Behandlung vielleicht jeden
zweiten Tag nötig wäre. Techniken, bei denen die Blut-Hirn-Schranke
zeitweise geöffnet wird, bieten sich mit Blick auf die Risiken eher für
eine einmalige Anwendung an, wie etwa einer Tumorbehandlung.
## Langwierige Zulassung
Obwohl viele Möglichkeiten untersucht werden und das Thema medizinisch
bedeutend ist, hat es bisher keine dieser Methoden bis zu einer amtlichen
Zulassung geschafft. Dafür bedarf es großer klinischer Studien: Davon gibt
es derzeit mehrere, einige davon auch schon recht weit fortgeschritten.
Dennoch dauert so ein Zulassungsprozess Jahre bis Jahrzehnte.
Zudem geht die Forschung weiter: Besonders wichtig sei die Optimierung der
Methoden. Zum Einschleusen der Medikamente gibt es noch weitere
Ansatzpunkte. „Daran wird auch in der Industrie intensiv gearbeitet“, sagt
Gert Fricker. Allein das [11][Interesse der Pharmaindustrie] zeigt bereits
das Potenzial erfolgreicher Studien: Sollte es Zulassungen für erfolgreiche
Methoden geben, wären die Entwicklungsmöglichkeiten für die Unternehmen
vielfältig. Und auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
beteiligt sich an dem Thema und fördert verschiedene Projekte, die entweder
die [12][Barriere überwinden] oder aber allgemein die
[13][Blut-Hirn-Schranke besser verstehen] wollen. Einen Durchbruch gibt es
bisher nicht, aber wahrscheinlich wurde noch nie aus so vielen Perspektiven
auf das Problem geschaut.
20 May 2023
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