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Helsinki taz | Wildgänse! Rentiere! Eulen! So einen Nachtzug habe ich noch
nie gesehen. Es ist kurz vor 23 Uhr, ich stehe im Bahnhof von Helsinki und
staune über das Gefährt, das ich gleich betreten werde. [1][Knallig grün
und weiß ist es], bemalt mit stilisierten Tiermotiven, an einer Stelle
grüßt auch der Weihnachtsmann – stimmt, der soll ja auch in Rovaniemi
wohnen, direkt am Polarkreis, wohin meine Reise geht.
Dazu kommt die Höhe. Doppelstöckig und mehr als fünf Meter hoch ragt der
Nachtzug der finnischen Staatsbahn VR vor mir auf. So ein großes – Achtung,
Fachbegriff! – Lichtraumprofil haben Züge übrigens auch in den Staaten der
ehemaligen Sowjetunion, und: technisch gesehen ist die finnische Eisenbahn
ja tatsächlich im Russischen Zarenreich entstanden. Wie praktisch, dass es
im flachen Finnland so gut wie keine Tunnel gibt.
Das Obergeschoss ist also nicht so ein Schlauch wie in deutschen Zügen,
sondern ein normaler Innenraum, und dort befindet sich auch mein Abteil. Es
gibt im Zug übrigens auch ein paar spezielle Haustierabteile, die
Wassernapf und Schlafkoje [2][für Hund oder Katze] bieten.
Eine Lochkarte, die als Schlüssel dient, liegt in doppelter Ausführung
bereit, die beiden übereinander liegenden Betten sind frisch bezogen, mit
festem Leinen. An ihren Kopfenden findet sich eine retrohafte Konsole mit
Licht, Radio und Wecker – einziger Nachteil: Die Uhrzeit leuchtet ziemlich
nervig, direkt auf Kopfhöhe. Pulli drüberhängen, Problem gelöst! Und so
kann ich tatsächlich gut schlafen. Noch nie habe ich so einen geräuscharmen
Nachtzug mit einem so bequemen Bett erlebt.
Das konstrukteurstechnische Highlight meines Abteils ist aber das Bad: Erst
ist es ein Klo mit Spiegel, Waschbecken, Becherhalter. Doch [3][mit nur
zwei Handgriffen] kann man die Rückwand komplett nach vorne klappen und
steht nun in einer Dusche, aus der im Übrigen warmes Wasser mit
ordentlichem Druck kommt.
## Drinnen Zimtbrötchen, draußen Schnee
Der einzige Wagen, der nicht doppelstöckig ist, ist das Restaurant. Hier
wird bis 2 Uhr früh serviert, man kann sich warme Mahlzeiten (für 10 bis 15
Euro, also für Finnland nicht teuer) auch ans Abteil bringen lassen – genau
wie ein Frühstück. Ich kaufe mir Kaffee und Zimtbrötchen lieber vor Ort und
verzehre sie auf einem der Hocker, von denen man wie an einem Tresen direkt
durch ein Panoramafenster schaut. Draußen: Wald, Wald, Wald, Schnee,
Schnee, Schnee, aber immer auch ein paar Häuser, fast alle hölzern,
dunkelrot, mit weißen Kanten. So stellt man sich Finnland doch vor.
Die Preisgestaltung für diese wunderbare Reise ist äußerst variabel. Für
meine sehr kurzfristig gebuchte Fahrt von Samstag auf Sonntag zahle ich 162
Euro. Hier ist der Aufpreis für Toilette und Bad im eigenen Abteil schon
eingerechnet, doch der macht ohnehin nur 20 Euro aus – das nicht zu nutzen,
wäre am falschen Ende gespart. In der Nacht zuvor wäre die Fahrt rund 50
Euro teurer gewesen, aber es geht auch deutlich billiger. Denn man kauft
immer ein ganzes Abteil, für zwei Leute bleibt der Preis der gleiche. Und
bucht man weit genug im Voraus, kann der Abteilpreis auf 70 beziehungsweise
90 Euro fallen.
Rovaniemi erreichen wir in der Mittagszeit, bei gleißender Sonne und minus
8 Grad, und das Ende März. Für viele ist die Stadt nur eine
Durchreisestation in die Wintersportgebiete des noch höheren Nordens. Wer
aber länger bleibt, sollte das Arktikum nicht verpassen, ein Museum, das
sich dem Nordpolargebiet als Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum widmet –
Wildgänse, Rentiere und Eulen inklusive.
9 May 2023
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