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Berlin taz | André Reitenbach ist nicht nur Informatiker, er interessiert
sich auch fürs Gaming. Für Krieg spielen im Internet. Er sei „ein
umsichtiger Mitarbeiter mit einer ausgeprägten Problemlösungskompetenz“,
schreibt ein offenbarer Kollege von ihm auf seinem LinkedIn-Profil. „Loyal,
intelligent und ehrgeizig“.
Reitenbach hat die Firma [1][GCore Labs S.A.] großgezogen, die die Server
für eines der erfolgreichsten Online-Kriegsspiele gestellt hat: World of
Tanks, ein Panzerspiel, produziert vom Spieleentwickler Wargaming.net.
Doch Reitenbach hat seit dem [2][russischen Angriffskrieg] ein Problem.
Seine Firma ist offenbar für die Verbreitung russischer Propaganda in
Deutschland mitverantwortlich. Propaganda, die von der Europäischen Union
sanktioniert wurde. Konkret: Russia Today, der russische Auslandssender des
Staates. Die Firma GCore bestreitet die Vorwürfe.
Die EU hat auf den russischen Einmarsch in die Ukraine mit dem größten
Sanktionspaket in ihrer Geschichte reagiert. Darunter waren Handelsverbote,
Finanzsanktionen – und [3][ein Verbot von Russia Today]. Die EU wolle,
begründete die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der
Leyen, den „[4][Sprachrohren des Kreml nicht länger gestatten, ihre
toxischen Lügen zu verbreiten], um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu
versuchen, unsere Union zu spalten“.
## Russia Today sendet weiter
Russia Today darf in der EU nicht mehr verbreitet werden. Weder die Texte,
noch die Videos, Podcasts, Streams und Webseiten. Alle Unternehmen, die
Russia Today dabei helfen, zu senden, machen sich strafbar. Das gilt für
die Telekom genauso wie für Telegram.
Einen ganzen Fernsehsender samt seinen Webseiten zu verbieten, das hat es
in Europa so noch nie gegeben. Unter Fachleuten sind die Sanktionen
umstritten: [5][Einige sehen die Presse- und Meinungsfreiheit bedroht],
andere ärgern sich, dass Putin den Schritt für sich nutzen konnte und
westliche Medien verbannte.
Knapp ein Jahr nach Beginn des Krieges zeigen Recherchen von taz und
[6][CORRECTIV]: Die Sanktionen werden einfach umgangen. RT sendet übers
Netz weiter in Europa, auf Russisch, Englisch, Spanisch und Deutsch. Bis
heute ist unklar, wer das Sendeverbot eigentlich durchsetzt, Behörden
ducken sich weg.
Plattformen wie Youtube und Twitter blockieren den Sender in Europa. Aber
die Inhalte von RT sind – [7][beispielsweise über alternative Domainnamen]
– weiterhin zu erreichen. Doch wie kommen die Videos von Russland auf einen
Computer in, sagen wir, Mannheim?
Hier kommt André Reitenbach ins Spiel. Seine Firma GCore sitzt in Luxemburg
und verteilt große Bild- und Videodateien im Internet. Etwa, [8][wenn
190.000 Menschen gleichzeitig Kriegsspiele spielen]. So viele waren es laut
World of Tanks im Jahr 2013. Oder wenn viele in Europa Kriegspropaganda aus
Russland empfangen möchten. Dieses System nennt sich CDN, Content Delivery
Network, also quasi Inhalts-Verteilungs-Netzwerk.
## Mitarbeiter bietet Medwedew Geheimdienstzugang an
Der Sinn hinter solchen Netzwerken ist es, große Dateien auf der ganzen
Welt schneller auszuliefern. Eine Video-Datei von Russia Today
beispielsweise nimmt dann nicht den weiten Weg von Moskau aus, sondern eine
Kopie des Videos wird von einem Server in Deutschland aus verteilt.
Mit Reitenbach wollten wir eigentlich reden, baten ihn mehrmals um ein
Gespräch. Die indirekte Antwort: Gleich nach der Anfrage wird das Internet
wie von Zauberhand aufgeräumt. Nach unseren Anfragen ändern sich
Netz-Einstellungen, die von Russia Today auf Reitenbachs Firma verweisen.
Auch ein Video verschwindet von Youtube.
Jenes Video zeigt, wie der damalige Chef von GCore Russland, Michael
Shurygin, vermutlich im April 2021 mit dem ehemaligen russischen
Präsidenten Dimitrij Medwedew Pläne schmiedet.
Medwedew ist nicht irgendwer. Er ist einer der mächtigsten Menschen im
Kreml und Vertrauter Putins. Und Shurygin beeindruckt Medwedew. Er bringt
ihn zum Lachen. Sie seien sehr erfolgreich mit GCore, sagt Shurygin und
zeigt eine Präsentation mit GCore-Logo.
Im Gespräch geht es um die Kontrolle der Märkte in Indien, in Kasachstan,
Europa. Und dann trifft Shurygin zwei Aussagen, die nur als Anbiederung an
den autoritären russischen Staat verstanden werden können. Erstens erklärt
er gegenüber Medwedew: Es wäre gut, wenn alle in Russland auch nur
russische Dienste nutzen dürften, denn die würden mit den
Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, anders als die amerikanischen
Anbieter. Übersetzt heißt das: Shurygin wirbt im Namen von GCore bei
Medwedew mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten für den russischen
Staat.
## Russland könne Luxemburg unterwandern. Und sie lachen.
Zweitens macht Shurygin einen Witz, der einen vor dem Hintergrund von
russischer Spionage in Europa aufhorchen lässt: Eine neue Software für
Online-Arztgespräche liefe gut an, sagt Shurygin, sie hätten sie in
Luxemburg „eingeführt“. Die Runde lacht. Shurygin hatte einen Sprachwitz
gemacht, der nur im Russischen funktioniert: „Eingeführt“ also внедрять,
vnedryat', ist doppeldeutig. Es kann auch als „eindringen“ oder
„unterwandern“ verstanden werden. Sie hätten also Luxemburg unterwandert.
Medwedew sagt: „Ich hoffe, im Auftrag des Staates“. Und sie lachen nochmal.
Auf eine Anfrage hat Michael Shurygin nicht reagiert.
André Reitenbach wollte nicht persönlich mit uns sprechen, dafür antwortet
das PR-Team seiner Firma schriftlich auf Fragen. Man wolle betonen,
schreibt es, dass GCore Russlands unprovozierte und ungerechtfertigte
militärische Aggression in der Ukraine aufs Schärfste verurteile. „GCore
pflegt keine Beziehungen zum russischen Staat“ und „hat auch keine
geschäftliche Beziehung mit Russia Today“.
Content Delivery Netzwerke, wie GCore sie anbiete, seien ein wesentlicher
Bestandteil der technischen Infrastruktur des Internets, schreibt das Team
weiter. „GCore lädt keine eigenen Inhalte ins Internet und speichert diese
auch nicht“. Auf die Ursprungsserver, auf denen diese Inhalte gespeichert
seien, habe GCore keinen Einfluss. Zudem könne und würde GCore die Daten,
die durch ihr Netzwerk laufen, nicht in Echtzeit überwachen. Das
Unternehmen handele aber „so schnell wie möglich, wenn es von verletzenden
oder anderweitig illegalen Inhalten erfährt“.
Kurz heißt das: GCore versucht, die Verantwortung von sich zu schieben.
Unsere Recherchen zeigen: Inhalte, die GCore weiterleitet, sind von Russia
Today. Das ist in der EU seit März 2022 illegal. Und: Die Firma müsste das
wissen, [9][bereits kurz vor Einführung der EU-Sanktionen wurde öffentlich
auf Twitter über die Verbindung geschrieben.]
## Das digitale Schattenspiel
Um es konkret – und etwas technischer – zu machen: Am 16. Januar
veröffentlichte Russia Today beispielsweise eine kurze Videoreportage aus
der Ostukraine, in dem die russische Söldner-Truppe Gruppe Wagner
heroisiert und das ukrainische Militär dämonisiert wird. Bei einem Abruf
von Deutschland aus sieht es zunächst so aus, als stamme das Video aus
Russland. Der Domainname mf.b37mrtl.ru liest sich kryptisch, hat aber die
Endung RU für Russland und verweist mit MF am Anfang auf die Firma Megafon
aus Moskau.
Der Clou: Tatsächlich wird das Video aus Deutschland übertragen.
Nachvollziehen lässt sich das mit der IP-Adresse. Die ist so etwas wie der
Herkunftsstempel auf einem Ei im Supermarkt. Die [10][IP-Adresse der Domain
des Videos] führt nach Frankfurt und gehört GCore. Das ließ sich mit vielen
der englischsprachigen Medieninhalte von rt.com durchspielen: Videos und
Podcasts, gehostet in Frankfurt durch GCore.
Anfang Februar aber ändern sich plötzlich die technischen Daten hinter den
RT-Videos: Wenige Tage, nachdem wir André Reitenbach erstmals um ein
Gespräch bitten, verweist die IP-Adresse der Domain des Videos über die
Wagner-Truppe in der Ostukraine nun nicht mehr auf GCore, sondern direkt
nach Russland. Der gleiche Domainname, über den das Video nach wie vor im
Internet abrufbar ist, hat nun eine [11][andere IP-Adresse: eingetragen auf
die Firma Megafon], einen der größten russischen Mobilfunkanbieter. Im Jahr
2019 hatte Megafon auf der eigenen Webseite über den Start einer
Partnerschaft mit GCore berichtet.
Wurden die IP-Adressen nach unserer Anfrage absichtlich geändert, um
Verbindungen von RT, Megafon und GCore zu verschleiern? GCore bestreitet
das. Russia Today und Megafon haben bis Redaktionsschluss nicht auf unsere
Anfrage reagiert.
## Das Labyrinth der EU-Sanktionen
Zurück nach Europa. Weshalb kann eine Firma wie GCore in der EU
Verbindungen nach Russland pflegen und durch das Verbreiten von Russia
Today offensichtlich Sanktionen verletzen?
Verantwortlich dafür, die Sanktionen durchzusetzen, sind die jeweiligen
Mitgliedstaaten. Da GCore in Luxemburg sitzt, sind dort die Behörden
zuständig. Allgemein ist die Sache klar: Auch eine Firma, die Server für
die schnellere Verbreitung bietet, dürfte Russia Today nicht helfen, heißt
es vom luxemburgischen Staatsministerium. „Von den aktuellen EU-Sanktionen
sind sie ebenfalls betroffen. So wie es bei Hosting-Diensten oder
Broadcast-Diensten der Fall ist, dürfen auch CDNs die Verbreitung solcher
Inhalte weder ermöglichen noch in irgendeiner Art und Weise unterstützen.“
Die Strafe liege bei einem Verstoß bei bis zu 5 Jahren Haft oder 250.000
Euro Bußgeld. Allerdings: Im Falle von Reitenbach und seiner Firma GCore
ist bis heute nichts passiert.
In Deutschland werden die Sanktionen auch nur behäbig durchgesetzt. Nicht
zuletzt, weil ein Jahr nach ihrer Ankündigung ihre Durchsetzung wie eine
heiße Kartoffel von Amt zu Amt geworfen wird.
Zunächst informiert die Bundesnetzagentur die Netzbetreiber: Sie dürfen die
Webseite von RT sperren. Trotz Netzneutralität, einer Art
Gleichbehandlungsgebot für Daten. Tatsächlich: Die meisten Unternehmen
sperren.
Doch das Amt schreibt von dürfen. Wer ist aber nun zuständig für die Server
in Frankfurt, über die GCore Russia Today-Videos ausgeliefert hat? Wer hat
die Pflicht, die Verantwortung?
## Sanktionsdurchsetzung: niemand ist zuständig
Vielleicht die „[12][Taskforce zur Umsetzung der Sanktionen gegen
Russland]“ im Finanzministerium des liberalen Christian Lindner? Nein,
erklärt ihr Sprecher, nur Finanzsanktionen, kein Russia Today. Er verweist
an die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien.
Claudia Roth also? Auch nicht zuständig, schreibt deren Büro. Es gibt aber
telefonisch einen Tipp: Vielleicht die Landesmedienanstalten mit ihrer
Dachorganisation, der Kommission für Zulassung und Aufsicht, kurz: ZAK.
ZAK klingt gut. Schnell, effektiv. Doch die ZAK wiegelt ab. Die
Medienanstalten seien nur für Lineares zuständig, schreibt die Sprecherin,
sowie für nicht-lineare einfache und rundfunkähnliche Telemedien. Das mag
zwar so klingen wie Russia Today, aber sie schreibt, die Durchsetzung der
Sanktion unterliege dem Zoll.
Es gibt bei der Generalzolldirektion seit dem 2. Januar die
[13][Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfS)], die Sanktionsbrüche
recherchieren und an die Staatsanwaltschaften melden soll. Doch ihr
Sprecher spricht: Der Zoll sei nur für die Finanz- und
Wirtschaftssanktionen zuständig, nicht für das Verbreitungsverbot von
Russia Today.
Was wäre Deutschland ohne das Wirtschaftsministerium, das weiß, wer
zuständig ist: Generell, für alle Sanktionen, die Bundesbank, das Bundesamt
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – und: die neue Zentralstelle für
Sanktionsdurchsetzung beim Zoll, unterstellt dem Finanzministerium von
Christian Lindner. Womit wir wieder am Anfang wären.
## Verstoß gegen EU-Sanktionen ist deutlich
Julia Grauvogel überrascht das Hin und Her nicht. Sie forscht zu
internationalen Sanktionen am Leibniz-Institut für Globale und Regionale
Studien in Hamburg. Für sie ist das, was GCore macht, illegal. „Die Inhalte
von Russia Today zu verbreiten, verstößt gegen die EU-Sanktionen“, sagt
sie. Nur, wie sinnvoll sind Sanktionen, die nicht durchgesetzt werden?
„Die Frage ist, welche Ziele mit Sanktionen verfolgt werden“, sagt
Grauvogel. „Geht es nur darum, dass RT nicht zugängig ist? Oder geht es
auch darum, das Signal zu senden, dass russische Propaganda nicht
ungehindert verbreitet werden darf? Das zumindest haben die Sanktionen
geschafft.“
Tatsächlich sind die [14][Zugriffszahlen aus Europa] auf die Webseiten von
RT stark zurückgegangen, haben britische Forschende beobachtet.
Die Chefin von Russia Today Deutsch hat Anfang Februar angekündigt, dass
sich der Sender aus Deutschland zurückziehen werde. Allerdings nicht wegen
des Verbreitungsverbots, sondern weil ihnen das neueste EU-Sanktionspaket
die Finanzierung entzogen hat. Trotzdem, schreibt die Chefin von RT DE bei
Telegram: Die Webseite und der Sender RT DE werden weiterbetrieben, von
Moskau aus.
Die Propaganda-Videos sind also weiter in Deutschland abrufbar. Ohne Hilfe
von André Reitenbach und GCore aber würde das nicht so schnell laufen.
Sofern es kein unentgeltlicher Freundschaftsdienst ist, scheint seine Firma
daran also auch ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine
mitzuverdienen – mindestens über Umwege. Öffentlicher Antikriegs-Äußerungen
zum Trotz, hat GCore auch weiterhin Verbindungen nach Russland. Während
Luxemburg bezüglich des Sanktionsbruchs deutlich ist, werden sich die
Behörden in Deutschland einigen müssen, wer überhaupt zuständig ist. Und
Reitenbach wird verstehen müssen, dass dieser Krieg keine Simulation mehr
ist.
Hinweis
Im Zuge einer rechtlichen Auseinandersetzung hatte die taz den Text
zeitweise offline gestellt. Nach einem Urteil des Hanseatisches
Oberlandesgericht in Hamburg hat die taz den Text am 8. Mai 2024 wieder
online gestellt. Ein Absatz, der sich auf eine ehemalige Tochterfirma von
G-Core bezog, wurde aus rechtlichen Gründen gestrichen.
17 Feb 2023
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