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Hamburg taz | Veronica hat kaum geschlafen. Sie steht müde am Eisentor der
Messehallen. Sie und andere mussten auf Fluren schlafen. Ihre Begleiterin
zeigt ein Video davon. Pritsche neben Pritsche mit grauen Fleecedecken,
unter denen erschöpfte Frauen und Kinder liegen. Sie sei nachts sogar
beklaut worden von zwei Frauen anderer Nationalität.
Um 22 Uhr am Vorabend war ihre Gruppe vom „[1][Ankunftszentrum“ am
Stadtrand] in Hamburg-Rahlstedt per Bus in die [2][Messehalle im Zentrum]
gekommen.
Veronica, die darum bittet, ihren richtigen Namen nicht in diesem Text zu
nennen, ist einer von 120 Menschen, die Tatjana Sosin mit weiteren Helfern
direkt aus der Ukraine holte. Mit einem gemieteten Doppeldeckerbus. Sosin
hat selbst Wurzeln in dem Land und gründete spontan „[3][Mothers for
Ukraine Hamburg]“. Mit Hilfe einer Veranstaltungsorganisation, die „Alster
in Flammen“ heißt, fuhr sie am 4. März los.
## Warten vor der Tür bei Minusgraden
Fünf Tage dauerte dann die Odyssee ins Kriegsgebiet, zu einem Ort etwa 300
Kilometer hinter der Grenze, und zurück. Sie habe sich vorher von der
Ausländerbehörde und dem „Ankunftszentrum“ zusichern lassen, dass die 120
Menschen in Hamburg auch aufgenommen, versorgt und registriert werden. Doch
als sie Dienstag früh morgens um 6.30 Uhr in Hamburg ankam, durften ihre
Schützlinge nicht ins Ankunftszentrum rein. Stattdessen standen dort lange
Schlangen von Menschen vor der Tür, die bei Minusgraden darauf warteten,
registriert zu werden.
Erst am späten Mittag habe sie es geschafft, einen Teil der Menschen privat
bei deren Verwandten oder Ehrenamtlern unterzubringen. Doch 25 Mütter und
Kinder waren noch übrig, die dann ins Ankunftszentrum durften, wo sie aber
nicht blieben.
Mittwochmittag fährt Sosin in Begleitung der taz zu den Messehallen, um
Veronica und die anderen wiederzusehen. Weil wir das Gespräch am Zaun
schwierig finden, verabreden wir uns draußen vor dem Tor. Auch andere
Flüchtlinge sprechen uns am Zaun an, erzählen ihre Geschichte. Etwa ein
Mann aus Kiew, der 59 ist und zu krank ist, um zu kämpfen, deshalb raus
durfte mit einem Schreiben, das besagt, dass er kein „Verräter“ ist. Oder
der Vater aus Charkiv, der seit drei Tagen auf die Registrierung wartet.
„Aber es passiert nichts.“
Die Frauen kommen nicht vor das Tor. Sie dürfen die Halle nicht verlassen,
verstehen wir am Telefon. Wir gehen zurück zum Zaun. Nach Rückfrage bei der
Pressestelle des Roten Kreuzes ist klar, sie dürfen zwar raus, aber
benötigen dafür ein Papier für den Wiedereinlass. Und das auszustellen
brauche Zeit.
Sosin findet es schlimm, dass die Frauen in den Hallen schlafen. Das könnte
sie weiter traumatisieren. „Wenn das nicht besser wird, fahren wir zurück
nach Polen“, sagt Veronica am Zaun. „In Polen wird die Lage auch nicht
besser sein“, entgegnet ihr Sosin. Die Helferin ist aber enttäuscht vom
Empfang der Kriegsflüchtlinge. Sie hatten eine Frau mit einer
Knieverletzung im Bus. Nicht mal für sie gab es eine
„Schnellregistrierung“. „Schwierig. Der Senat sagt ‚Wir werden sie mit
offenen Armen empfangen‘ und dann ist nichts vorbereitet.“
## Hallen müssen erst geheizt werden
Ein Mitstreiter kommt hinzu. Er habe gehört, dass in den nächsten zwei
Tagen noch zwei Messehallen aufmachen. Betreiber ist das Rote Kreuz. Die
erst am Montag eröffnete Halle A 3 mit 950 Plätzen sei voll, sagt dessen
Sprecher Markus Kaminski. Er bestätigt das mit den weiteren Hallen nicht.
„Die Hallen müssen erst geheizt werden. Das macht spontane Belegungen
unmöglich.“
Man gebe sich in der einen Halle viel Mühe, habe Dolmetscher und bald auch
Sozialarbeiter dort. Auch werde eine Beschäftigung für die kleinen Kinder
vorbereitet. „Die großen könnten draußen Fußball spielen.“ Das Miteinander
in dieser bedrückenden Situation sei „harmonisch“. In der Halle sind kleine
Abteile mit je vier Betten abgetrennt. Er bestätigt, dass nicht alle dort
Platz finden und manche im Flur schlafen.
Die Innenbehörde teilt mit, Hamburg stelle [4][in einem ersten Schritt
2.000 bis 3.000 Plätze] bereit und baue angesichts des Zustroms „weiter
aus“. Bis Dienstag wurden 2.098 Ukrainer registriert. Auf eine
Linken-Anfrage teilt der Senat mit, dass eine weitere Notunterkunft in der
Schnackenburgallee errichtet wird und man Hotelanmietungen prüft.
## Ehemalige Unterkünfte wurden abgebaut
Zu den Schilderungen zur Situation am Rahlstedter Ankunftszentrum bei der
Ankunft der 120 Geflüchteten am Dienstag morgen sagt Innenbehörden-Sprecher
Daniel Schaefer, ihm lägen dazu „keine Informationen vor“. Die Kollegen
dort sorgten aber erfahrungsgemäß dafür, dass alle Menschen mit Bedarf
untergebracht würden. „Die Registrierung kann auch zu einem späteren
Zeitpunkt erfolgen, dadurch entstehen keine Nachteile“.
Der CDU-Politiker Dennis Thiering kritisierte indes, es gebe unhaltbare
Zustände in der Erstaufnahme. Es stelle sich nun auch die Frage, ob es klug
war, nach 2015 vorhandene Wohncontainer für Geflüchtete ersatzlos wieder
abzubauen. Damals hatte es die Stadt auf diese Weise nach Monaten mühsam
geschafft, die katastrophale Unterbringung der Menschen in Hallen zu
beenden.
Was sich Veronica wünscht? „Ein eigener Platz, ein ruhiger Ort, wo ich
selber für mein Kind kochen kann“, sagt sie. „Mehr brauche ich nicht.“
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel nach Erscheinen um eine Stellungnahme
der Innenbehörde ergänzt.
9 Mar 2022
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