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Verheerende Wirbelstürme hier, katastrophale Truppenabzüge dort, schamloser
Demokratieabbau allerorten: Die USA haben gerade ein paar ernstzunehmende
Probleme zu bewältigen. Umso schöner, dass nun des Amerikaners liebstes
Kind zurückkehrt, um von diesen Problemen abzulenken: Football is back!
In dieser Woche beginnt die Saison im College-Football, am 9. September
starten dann auch die Profis von der NFL in die neue, sehnsüchtig erwartete
Spielzeit. Bereits im Gang ist der Highschool-Football, der vor allem im
Süden der USA große Zuschauermengen anzieht. In Provinzstädtchen ist es oft
das herausragende soziale Event der Woche, wenn die Football-Mannschaft der
Highschool aufläuft. Da geht es dann zu wie beim Ruhrpottfußball, bloß mit
Cheerleadern. Ein Denkmal gesetzt wurde der Obsession für den
Highschool-Football 2004 im Spielfilm [1][„Friday Night Lights“], dem
später eine 76-teilige TV-Serie folgte.
Wegen der Coronapandemie gab es zwei Jahre lang keine großen
Highschool-Sportveranstaltungen mehr. Umso mehr Aufmerksamkeit gibt es nun
– eine übersteigerte Aufmerksamkeit, die auch sehr seltsame Blüten treibt.
So übertrug der größte Sportsender des Landes am vergangenen Wochenende die
Partie einer Mannschaft, die von einer Highschool kommt, die es anscheinend
gar nicht gibt.
In Canton, Ohio, wo die Ruhmeshalle des Sports liegt, kulminierte der
Saisonauftakt am Sonntag mit dem „Hall of Fame Classic“. Dazu werden
gewöhnlich – organisiert vor allem vom übertragenden Sender [2][ESPN] –
zwei renommierte, möglichst gleichwertige Mannschaften eingeladen.
Folgerichtig setzte erstauntes Stirnrunzeln ein, als die IMG Academy aus
Florida, ihres Zeichens der amtierende Landesmeister, den Gegner Bishop
Sycamore mit 58:0 abfertigte. Überhaupt hatten selbst die größten
Highschool-Football-Experten noch nie etwas von dieser Schule gehört.
## Eine „Schule“ ohne Gebäude und Lehrpläne
Nachträgliche Recherchen ergaben, dass Bishop Sycamore erst ihre zweite
Football-Saison spielt – und im ersten Jahr alle sechs Partien krachend
verloren hatte. Nicht nur das: Die Website der vermeintlichen Oberschule
ist eher ein Blog über die Football-Mannschaft. Sonstige Schulaktivitäten:
Fehlanzeige. Zuletzt wurden hoffnungsvolle Talente mit Tipps versorgt, wie
sie am besten die Aufmerksamkeit von College-Scouts erregen können. Und
unter dem Button „Über uns“ findet sich: absolut nichts.
Auch ansonsten ist wenig zu ergoogeln über Bishop Sycamore. Die Adresse
führt in einen gesichtslosen Bürokomplex in Columbus, Ohio, ein
Unterrichtsgebäude besitzt die Schule auch nicht, ebenso wenig wie
einsehbare Lehr- oder Stundenpläne.
Der Hintergrund der zwielichtigen Unternehmung wirft auch ein Schlaglicht
auf die gesellschaftspolitischen Realitäten in den USA: Auf eine Highschool
zu gehen und dort die Chance auf ein Football-Stipendium zu haben, können
sich viele arme, vor allem Schwarze Talente und ihre Familien nicht
leisten. Erst recht keine Privatschule – wie nicht zuletzt die IMG Academy,
Bishop Sycamores übermächtiger Gegner, die aus Nick Bolletieris privater
Tennisakademie in Florida hervorging. Geschäftemacher nutzen das Fehlen von
Vereinsstrukturen aus, gründen Mannschaften, die wie ein Zirkus durch die
Lande reisen und gegen lokale Gegner antreten – eine Praxis, die in den
letzten Jahren vor allem im Basketball um sich greift.
In diesem Fall wurde anscheinend auch gleich noch eine Highschool dazu
erfunden, um am offiziellen Spielbetrieb teilnehmen zu können. Dass ein
TV-Sender wie ESPN darauf hereinfallen konnte, zeigt dann vor allem eins:
Wie geil dieses Land auf Football ist, gerade in diesen Tagen.
1 Sep 2021
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