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Ganz klein sind die Menschen auf dieser Bühne. Ein Ring aus weißem Licht
schwebt über ihnen, später werden es mehrere Kreise sein und sie wechseln
die Farbe. Dunst im Raum taucht ihn in das wechselnde weiße, orange, rote
und grüne Licht, unscharf sind die Gesichter meist.
Und die Menschen, die Schritt für Schritt auf der Stelle treten, gegen den
Sog der Bühnenmaschinerie, bewegen sich so durch das Ortlose. Keinen Raum
und keine Zeit kennt diese Inszenierung des „Oedipus“ von Ulrich Rasche. Es
ist immer schon Ewigkeit, es ist immer schon das Nichts, durch das sich die
Menschlein kämpfen.
So ist es von Anfang an eine bedeutungsschwere Anmutung, mit der Rasche das
Drama von Sophokles auf die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin bringt.
Die Körper der Darstellenden sind in stetiger simultaner Bewegung, Schritt
für Schritt, Wort für Wort, doch gibt es kein Woher und Wohin. Arme und
Hände, nah am Körper gehalten, deuten eine ständige Spannung an. Eine
unsichtbare Last wird geschleppt. Drei Stunden lang, mit wenig Variationen.
[1][Der Regisseur Ulrich Rasche] ist ein harter Stilist. Doch hat er mit
seinen Bühnenmaschinerien, die das Sprechen von konstanter Bewegung
begleiten lassen, schon oft Texte der klassischen Theaterliteratur neu zum
Klingen gebracht, mit Spannung aufgeladen und einem Verstehen von heute aus
geöffnet.
## Warum Ödipus?
In seiner Inszenierung des „Oedipus“ aber, mit der das Deutsche Theater in
Berlin in die neue Spielzeit startet, bleibt der Raum des Verstehens über
lange Zeit schmal. Anfangs gar fügen sich die einzelne gesprochenen Worte
der Verse nicht mal zu Sätzen. Später ist zwar der Sinn der Verse klar,
doch der Horizont des Verstehens öffnet sich nicht über das erzählte Drama
hinaus.
Warum Ödipus? Die Frage stellt sich in Berlin schon deshalb, weil an diesem
Wochenende auch die Deutsche Oper, die Komische Oper und später auch die
Schaubühne einen Ödipus-Stoff im Programm haben. Das Drama beginnt mit der
Pest in der Stadt Theben, ein Orakel besagt, dass die Stadt nur befreit
werden kann, wenn ein Mord gesühnt wird.
Liegt es an Corona, dass der [2][Peststoff so an Interesse] gewinnt? Aber
weiter möchte man die Analogie nicht treiben. Für welche Sünden werden wir
gestraft, wer soll geopfert werden? Bitte nicht. Tatsächlich macht Rasche
eine solche Analogie auch nicht auf.
Der „Ödipus“ von Sophokles ist ein langsam erzähltes Drama. Der Zuschauer
weiß, dass der Mörder des Lajos, den der Herrscher sucht, um die verfluchte
Stadt zu befreien, er selbst ist. Man begleitet ihn durch die vielen
Schleier, mit der seine Wirklichkeit verhängt ist, nimmt teil an der
Steigerung seines Leidens. Den Vater, den er nicht erkannte, getötet, die
Mutter, die ihm fremd war, geehelicht zu haben, und doch ein Leben lang vor
genau dieser Prophezeiung geflohen zu sein.
## Krise der Demokratie
Obwohl das Pathos in der Inszenierung von Rasche von Anfang an da ist, sie
keinen Moment auf Alltäglichkeit setzt, stellt sich die Empathie erst recht
spät ein. Die Figuren bleiben so fern, als gehe einen der antike Stoff kaum
etwas an. Aber viele andere Ödipus-Inszenierungen haben gezeigt, dass dies
auch anders gehen kann.
Denn das Drama beschreibt auch eine Krise der Demokratie. Ödipus war der
Held, der mit Wissen und durch das Wort Macht gewonnen hatte, als er das
Rätsel der Sphinx löste. Mit ihm beginnt die Geschichte auf den Verstand zu
setzen, statt auf das Schwert. Aber im Verlauf des Dramas beginnt er den
Verlust seiner Macht zu fürchten, unterstellt denen, die ihn der Wahrheit
näher bringen, Neid und Machtgier.
Er wird zum Tyrannen. Wie Oedipus (Manuel Harder) seinen Schwager Kreon
(Elias Arens) voll Misstrauen verhört, die Hand an seinem Nacken, ihn in
ein Duett im Gleichschritt zwingend, gehört auch bei Rasche zu den
stärksten Szenen. Doch reicht das kaum, um die politische Dimension des
Dramas herauszupräparieren.
Ulrich Rasche ist diesmal so [3][etwas wie Rammstein] unter den
Theatermachern. Nico van Wersch, der mehrfach mit ihm zusammengearbeitet
hat, hat die Musik geschrieben, die live hinter der Bühne gespielt wird.
Bild für Bild baut sich da aus erst leisen Tönen ein emotionsgeladener,
treibender Sound auf, bis zu einem Kulminationspunkt, an dem er plötzlich
abstürzt. Der Rhythmus sitzt den Gehenden im Nacken, das bedrohliche
Schwellen der Klangflächen hält die Spielenden im Griff. Die Inszenierung
macht sie zu Marionetten.
29 Aug 2021
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