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Das fühlt sich jetzt schon etwas bescheiden an. Mit FFP2-Maske, Mütze,
Regenjacke, Wolldecke über den Knien und Regenschirm über der Wolldecke bei
leichtem Niesel und 14 Grad auf einem Stühlchen im Freien zu hocken, um
durch die beschlagenen Brillengläser „endlich wieder Theater live zu
erleben“. Das Publikum hat sich seiner Freude darüber gegenseitig
vergewissert, 130 Menschen nur durften kommen zur ersten
[1][Open-Air-Premiere des Deutschen Theaters] am Beginn der Lockerungen.
Der Intendant Ulrich Khuon hat gesprochen und erzählt, wie das Haus diesem
Moment entgegengefiebert und weitergearbeitet habe, damit man gleich, als
es wieder möglich ist, starten kann, auf dem Platz vor dem Haus. Auch innen
toben, ohne Publikum, so grotesk ist das gerade, Schauspieler über die
Bühne, für einen [2][Livestream, „Der Zauberberg“], der an diesem Abend
[3][beim Theatertreffen digital] läuft. Das klingt alles nach unheilbarer
Theaterleidenschaft.
Schon purzeln mit viel Lärm aus Türen und Fenstern die Schauspieler:innen,
der kühle Wind zerrt an ihren ausladenden Kopfbedeckungen. „Tartuffe oder
das Schwein der Weisen“ steht auf dem Spielplan, Jan Bosse hat [4][den Text
von PeterLicht] frei nach Molière inszeniert. Auftritt Herr Frau Pernelle
(Regine Zimmermann), die auf einem Fahrrad aus dem Portal herausradelt. Und
im sich bald entspannenden Wortgefecht mit Blick auf das Publikum mehrmals
feststellt, wie „ungeil das hier alles ist“.
Man fühlt sich angesprochen und ertappt, sehr geil wird so eine Masken-,
Kapuzen-, Wolldecken- und Schirmbewehrte Zuschauergemeinde für die
Spielenden nicht aussehen. Obwohl man weiß, das gehört zum Stück, in dem
Orgon (Felix Goeser), „dem das alles hier gehört“, Tochter, Frau und
weitere Verwandtschaft damit aufschreckt, in ihre Gemeinschaft einen Neuen
einzuschleppen: Tartuffe, der sie alle aus der Welt des Ungeilen befreien
soll. Noch wollen sie nicht.
## Frei nach Molière, mit Texten von PeterLicht
PeterLichts Text dreht irrsinnige Schlaufen, immer nahe am Nonsens, die
sich dann doch um einige ideologische Konstruktionen drehen und dran
zerren. Nicht Frömmelei und Heuchelei sind bei ihm, wie es bei Molière war,
die Fehler im System, sondern Selbstoptimierungswahn, Anpassung in der
Peergroup und Hedonismus als Feiheitsversprechen. Dabei nutzt er eine
Sprache, die scheinbar hip ist, durchsetzt von werbenden Floskeln, frei von
Nuancen.
Oder auch eine Sprache, die akademisch strapazierte Begriffe umdeutet: Als
der „Tüffi“ (Božidar Kocevski) nach mehr als der Hälfte des Stücks endlich
im schweinchenrosa Anzug auftaucht und erst mal nur grunzt, geht es darum,
dass er die Frauen, Orgons Tochter Marianne (Kotbong Yang) und dessen Frau
Elmire (Natali Seelig), „kontextualisieren“ möchte. Was so aussieht: sie
tanzen zu südamerikanischen Trommelrhythmen, bis ihre Nase seinen Arsch
berührt.
PeterLichts Text ist so auch eine Sprachpersiflage von einer einerseits
verkürzenden und andererseits hochgestochenen Sprache, die in beiden Fällen
große Chancen hat, tüchtig neben die Realität zu greifen, vieles
auszulassen und blinde Flecken zu erzeugen.
## Unter dem Motto „Penis als Chance“
Die Dialoge treten dabei oft verzweifelt auf der Stelle, doch das macht
nichts. Denn je weniger die Figuren sich verstehen, umso aktionsreicher
wird ihr Spiel. Orgon ist nicht zufällig mit einer Narrenkappe
ausgestattet. Wie überhaupt die Kostüme, von Kathrin Platz entworfen, einen
wilden Mix der Zeichen aussenden, quer durch die Theatergeschichte bis zum
Barock von Molières Zeiten.
Der Wind spielte am Premierenabend keine unwesentliche Rolle, als wolle er
bekräftigen, he, das ist jetzt echt. Er ließ die langen weißen Tischdecken
auf den Stehtischen flattern, unter denen sich irgendwann Orgon und seine
Gefolgschaft versteckt haben, weil sie dem Tüffi doch nicht ganz trauen bei
seinem Workshop mit Elmire unter dem Motto „Penis als Chance“. Doch als sie
seinen Betrug aufzudecken meinen, verkauft er den als Konzept seines
Workshops und lässt sie alle zahlen.
Die Energie und der Körpereinsatz des Ensembles sind groß an diesem
Premierenabend, ein bisschen Zirkus mit viel Musik; kein Kalauer wird
ausgelassen, und Jan Bosse, der Regisseur, lässt den Sprachwitz gerne von
gestischen Übertreibungen untermalen. Die Energiekurve des langsam
frierenden Publikums hingegen sinkt, tiefer und tiefer rutschen wir in
unsere Kapuzen. Am Ende erleichterter Applaus. Resümee: [5][erste Premiere
live 2021] gut überstanden.
24 May 2021
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