# taz.de -- Vergessene Opfer der Nazis: Die Erinnerung wurde vertagt

> Die Verfolgung von „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“ durch die Nazis
> ist heute kaum bekannt. Das wollte der Bundestag ändern. Die Umsetzung
> stockt.
Berlin taz | Frank Nonnenmacher ist enttäuscht. Als der Bundestag im
Februar 2020 beschloss, jene als Opfer des Nationalsozialismus
anzuerkennen, die als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den
Konzentrationslagern gequält und ermordet wurden, war das auch ein Erfolg
für Nonnenmacher: sein Onkel Ernst war einer von ihnen. Doch heute, mehr
als ein Jahr nach dem Beschluss, ist kaum etwas passiert. „Und keiner hat
nachgefragt“, bedauert Nonnenmacher, der den Bundestagsbeschluss mit einer
breit getragenen Petition damals maßgeblich initiierte.

[1][Alle Fraktionen außer der AfD stimmten im Bundestag dem Antrag der
Großen Koalition zu]. Die beiden vergessenen Opfergruppen sollten Platz im
öffentlichen Gedenken erhalten, ihre Biografien und die Ressentiments in
einer Wanderausstellung erarbeitet und ihre Entschädigungsansprüche im
Allgemeinen Kriegsfolgegesetz (AKG) betont werden.

Bis heute ist das Grauen der Verfolgung kaum öffentlich bekannt.
„Berufsverbrechern“ unterstellten die Nazis etwa ein kriminelles Gen, sie
wurden als „Ballastexistenz“ diskriminiert. Als „Asoziale“ galten etwa
Obdachlose, Alkoholkranke, Unangepasste. Zehntausende wurden zur Gefahr, zu
„Schädlingen“ für das vermeintlich gesunde deutsche Volk erklärt. Sie
wurden sterilisiert, gequält, verfolgt, ermordet. Während die Schicksale
der Betroffenen heute fast vergessen sind, leben entsprechende Stereotype
in der Gesellschaft weiter.

Eine Wanderausstellung soll das ändern, beschloss der Bundestag. Die
Gedenkstätte Flossenbürg und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas wurden mit der Konzeption beauftragt. Im September 2020 startete
das Projekt, die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters,
sagte 1,5 Millionen Euro zu.

## Pandemie verzögert die Arbeit

„Wir sind pandemiebedingt in deutlichem Zeitverzug“, bedauert Christa
Schikorra, Leiterin der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Flossenbürg.
Durch die Pandemie und die Schließung von Bibliotheken und Archiven sei die
Arbeit deutlich erschwert worden. Zwei Stellen für wissenschaftliche
Mitarbeiter:innen für das Projekt sind bis heute nicht ausgeschrieben,
das soll bald passieren. Eine geplante Eröffnung im Jahr 2023 sei
auszuschließen.

Ein Sprecher der Staatsministerin für Kultur und Medien betont auf
taz-Anfrage die Komplexität der Ausstellung. So gebe es „zahlreiche
Querverbindungen zu anderen NS-Verbrechen“ sowie eine „besondere Diversität
der Opfer“. Man plane digitale pädagogische Angebote und eine
wissenschaftliche Tagung.

Im Zentrum der Ausstellung stünde auch die „Kommentierung
autobiographischer Berichte“. Dabei, erklärt Schikorra, sollten stets auch
die „Bilder im Kopf der Besuchenden“ adressiert werden. Auch über eine
Zusammenarbeit mit Angehörigen der Opfer denke man nach, eine „legitimierte
Vertretung“ fehle leider, so Schikorra zur taz.

„Das ist das Ergebnis eines [2][70-jährigen Ignorierens und 70-jähriger
Scham]“, sagt Nonnenmacher. Nach 1945 erfuhren viele Betroffene vor allem
Ablehnung und Unverständnis für ihre Erlebnisse und entschieden sich zu
schweigen. Interessensvertretungen gründeten sie nicht, ihre
Verfolgungsgeschichte behielten viele für sich. Bis zu ihrem Tod. „Man muss
graben, forschen, gerade bei den nachfolgenden Generationen der Opfer“,
betont der emeritierte Professor.

## Viele Opfer sind verstorben, die Stereotype leben weiter

Neben der Erinnerung ging es in dem Bundestagsbeschluss auch um
Entschädigungszahlungen. „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ sollten in die
Liste der Leistungsempfänger:innen im Allgemeinen Kriegsfolgegesetz
(AKG) aufgenommen werden. In dessen Härterichtlinien werden bisher
Euthanasiegeschädigte, Zwangssterilisierte und Homosexuelle als Beispiele
benannt.

Das ist bis heute nicht passiert. Auf taz-Anfrage beteuert das
Bundesfinanzministerium, an einer solchen Änderung zu arbeiten und sie „in
Kürze“ dem Bundeskabinett vorlegen zu wollen.

Die explizite Benennung würde an der „Rechtstellung der Betroffenen“ nichts
ändern, so das Ministerium. Seit dem Erlass der AKG-Härterichtlinien im
Jahr 1988 stünde ihnen „eine Einmalleistung in Höhe von 5.000 DM bzw.
2.556,46 Euro“ zu. Dies hätten seitdem 46 als „Berufsverbrecher“ und 288
als „Asoziale“ Verfolgte auch beantragt. Seit dem Bundestagsbeschluss von
2020 sei jedoch kein weiterer Antrag eingegangen, so das Finanzministerium.
Viele Opfer dürften den Beschluss nicht mehr erlebt haben.

Nonnenmacher ist pessimistisch. „Viele werden heilfroh und zufrieden sein,
wenn es dann irgendwann mal eine Ausstellung gibt und die Sache für manche
endlich abgehakt ist“, vermutet er. Aus dem Bundestag war während der
Beratung des Antrags immer wieder zu hören, dass es [3][auch unter den
Abgeordneten Skepsis gab].

Die Nennung in den AKG-Härterichtlinien ist Nonnenmacher wichtig. Doch er
hat das Gefühl, ständig nachhaken zu müssen. „Und das ist doch eigentlich
nicht meine Aufgabe“, bedauert Nonnenmacher.

29 Apr 2021

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## AUTOREN
Kevin Čulina
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