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Erst die [1][Ibn-Rushd-Goethe-Moschee] und dann noch [2][ein Text von Hülya
Gürler] über progressiven Islam in der taz. Endlich, denkt man. Das ist es,
was es braucht. Ein innerislamisches reformatorisches Projekt. Eine
innerislamische Auseinandersetzung mit Tabus.
Und während man voller Besorgnis auf die Anfeindungen, Morddrohungen bis
hin zur Fatwa schaut. Und während man voller Sympathie dem Projekt Erfolg
wünscht und den engagierten Text liest – während und trotz all dieser
Regungen merkt man aber dennoch, wie Zweifel in einem aufkommen. Diese zu
artikulieren, soll nicht als Kritik an dem Unternehmen missverstanden
werden, sondern vielmehr als noch ein Diskussionsbeitrag, der das Geschehen
„von außen“ – also von außerhalb der muslimischen Community – beobachtet.
Kurzum: Ich bin keine Muslima. Ich finde das alles toll. Aber ich habe
Zweifel.
Denn es drängt sich eine Frage auf: Kann die Religion aus einer Speerspitze
gegen die Moderne zu einem Vehikel der Moderne werden? Anders gesagt: Kann
Religion, kann eine monotheistische Religion so verändert werden, dass sie
sich nicht nur den Liberalisierungen der Moderne nicht mehr verwehrt –
sondern diese vielmehr befördert? Ausgerechnet die Religion?
Gürler scheint diese Frage eindeutig zu beantworten. Die
Ibn-Rushd-Goethe-Moschee hat nicht nur eine weibliche Vorbeterin, sie will
auch, wie Gürler schreibt, offen sein für alle: „Schwule, Lesben,
Bisexuelle und Transgender, Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis und
Nichtmuslime“ – alle sollen willkommen sein. Alle sollen zusammen beten.
Wie heikel das ist, wie sehr hier ein wunder Punkt getroffen wird, zeigt
sich nicht zuletzt an der Vehemenz der Ablehnung. Aber dennoch muss man
fragen: Kann Religion das? Kann Religion offen sein für alle? Tolerant?
Kann Toleranz zum Kriterium der Religion werden? (Eine Frage, die sich
nicht nur in Bezug auf den Islam stellt.) Können kritische
Auseinandersetzungen integriert werden in das religiöse System?
Abweichungen, Zweifel? Kann das, was gegen die bisherige Praxis der
Religion gerichtet war, von ebendieser transportiert und befördert werden?
## Religion ist kein Vehikel der Moderne
Gürler möchte all dies „öffentlich und ohne Scham“ ansprechen. Sie möchte
„den öffentlichen Raum nicht den Salafisten oder anderen Fundamentalisten“
überlassen. Man muss nur sehen, dass das zwei verschiedene Arten sind, mit
diesem öffentlichen Raum umzugehen. Salafisten oder Fundamentalisten nutzen
diesen öffentlichen Raum instrumentell. Sie wollen Menschen ansprechen,
mobilisieren, erziehen, um sie zum Gegenteil von öffentlichen, autonomen
Subjekten zu machen. Sie wollen also den öffentlichen Raum durch ihre
Nutzung unterlaufen.
Für Gürler hingegen ist die Öffentlichkeit nicht nur ein Medium, dessen sie
sich bedient, sondern auch ein Inhalt: Die öffentliche Debatte soll dazu
beitragen, Diversität zuzulassen. Hier sollen Tabus angesprochen, also
überwunden werden – Tabus wie die Stellung der Frau. Aber die diskursive
Öffentlichkeit ist etwas anderes als Religion. Sie braucht, sie erzeugt
einen anderen Subjekt-Typus.
Es kann liberale und konservativere Gemeinden geben, offenere oder
geschlossenere Communities. Und das macht einen großen Unterschied. Aber
eine in ihrem Inneren aufgeklärte, vernünftige, tolerante Religion? In
ihren Praktiken ebenso wie in ihren Glaubensinhalten? Es steht zu
befürchten, dass der Glutkern aller drei großen monotheistischen Religionen
weder Vernunft noch Toleranz ist. Es steht zu befürchten, dass jede
Religion in ihrem Innersten nur bedingt reformierbar ist. Religion ist kein
Vehikel der Moderne, der Toleranz, der Liberalität. Das heißt nicht, dass
Reformen und Aufklärung sinnlos wären. Es heißt nur, dass deren Effekte
andere sind.
Im besten Fall kann Aufklärung der Religion Grenzen setzen. Sie kann deren
Macht beschneiden, sodass diese nicht mehr für alle Bereiche des
menschlichen Lebens zuständig ist. Das aber ist keine Liberalisierung der
Religion – es ist vielmehr deren Einhegung. Es ist deren partielle
Säkularisierung.
27 Jul 2017
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