|
Berlin taz | Nachts in einem Zug mit Schlaf- und Liegewagen reisen – da
fängt das Kopfkino an zu rattern: der Krimi „Mord im Orientexpress“ von
Agatha Christie, der Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier oder
Patricia Highsmith’ Thriller „Zwei Fremde im Zug“. Das Hotel auf Schienen,
der Nachtzug, weckt die Fantasie.
Nachtzug – das ist auf mittleren und langen Strecken eine der wenigen
umweltfreundlichen, aber dennoch komfortablen Alternativen zum Klimakiller
Flugzeug. Denn welcher Geschäftsreisende kann es sich schon leisten,
tagsüber zehneinhalb Stunden im Zug von Köln nach Warschau zu sitzen? So
lange Reisezeiten sind meist nur akzeptabel, wenn sie eine Übernachtung
sparen. Genau das bietet der Nachtzug, der nicht nur Sitze, sondern auch
Betten hat.
Doch ab Mitte Dezember werden in Deutschland wesentlich weniger Nachtzüge
fahren. Denn zum Fahrplanwechsel will die Deutsche Bahn (DB) nach eigenen
Angaben ihre Angebote mit Liege- und Schlafwagen einstellen. Die
Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) planen zwar, einen Teil der [1][elf
Strecken] der Deutschen zu übernehmen – aber eben nur einen Teil. Die DB
bietet derzeit rund 85 Prozent der Nachtzuglinien durch Deutschland an.
„Die ÖBB werden nur bei fünf oder sechs Verbindungen einspringen“, sagt
Joachim Holstein, Sprecher des Wirtschaftsausschusses beim
Gesamtbetriebsrat der Firma [2][DB European Railservice], die das Personal
auf den Nachtzügen der Deutschen Bahn stellt. Ersatzlos wegfallen würden
wahrscheinlich drei Verbindungen: 1. Köln–Berlin–Warschau beziehungsweise
Prag, 2. Zürich–Amsterdam via Frankfurt und 3. Zürich–Prag via Dresden.
Außerdem würde der bisher bis Amsterdam fahrende Zug aus München künftig
schon in Düsseldorf enden.
„Das entspricht ungefähr einer Halbierung der Zahl der Nachtzuglinien“, so
Holstein. Wohlgemerkt, verglichen mit dem heutigen Angebot, das schon viel
kleiner ist als die 30 bis 40 Linien vor 15 Jahren. Der
Arbeitnehmervertreter beruft sich u. a. auf Äußerungen von
ÖBB-Mitarbeitern. Die Pressestelle der Österreicher teilt dazu nur mit,
dass sie ihr Nachtzugangebot erweitern wollten. [3][Derzeit kaufe man für
maximal 31 Millionen Euro bis zu 60 gebrauchte Schlaf- und Liegewagen].
Zudem wollten die ÖBB 20 ihrer Intercity-Sitzwagen in Liegewagen neuer
Bauart umbauen.
## Komplizierter Kartenkauf
Die Österreicher glauben offensichtlich, dass sich mit Nachtzügen in
Deutschland Geld verdienen lässt. Die DB dagegen weist seit Jahren nur
Verluste für ihre Nachtzugsparte aus. 2015 habe das Minus bei einem Umsatz
von rund 90 Millionen Euro etwa 31 Millionen betragen. Dabei sind die Züge
auch nach Bahnangaben gut ausgelastet.
Und das, obwohl die DB nach der Anschaffung von 42 neuen Schlafwagen Mitte
der nuller Jahre kaum noch in die Weiterentwicklung der Nachtzüge
investiert hat. Im Gegenteil: Die meisten Liegewagen sind mehr als vier
Jahrzehnte alt. Stundenlange Verspätungen sind häufig. Ende 2014 habe die
Bahn mehrere Dutzend lauffähiger moderner Schlaf- und Liegewagen
ausgemustert, sodass sogar für den laufenden Betrieb Wagen fehlten, sagt
Arbeitnehmervertreter Holstein. Jahrelang sei es für die Kunden zu
kompliziert und zeitweilig sogar unmöglich gewesen, Nachtzugkarten online
zu kaufen, „während der ICE mit drei Klicks buchbar war“.
Auch dass die Nachtzüge wirklich defizitär seien, bestreitet der
Betriebsrat. Die Sparte mache vor allem deshalb auf dem Papier Verlust,
weil ihr die Bahn – also der eigene Konzern – ausgesprochen hohe
Benutzungsgebühren für das Schienennetz in Rechnung stelle, so Holstein.
Güterzüge etwa würden weniger zahlen. Dazu kämen Bilanztricks; so würden
etwa die jährlich über eine Million Passagiere der Nachtzugsitzwagen nicht
mehr als Nachtzugreisende und die Fahrpreise dafür nicht mehr als Einnahme
des Nachtverkehrs verbucht.
## Nur „ein Prozent“ der Reisenden
All diese Vorwürfe wollte die DB auf taz-Anfrage weder dementieren noch
bestätigen. „Das Nachtzuggeschäft ist ein Nischengeschäft“, teilt die
Konzernpressestelle mit. „Die circa 1,3 Millionen Reisenden pro Jahr
repräsentieren nur circa ein Prozent der Gesamtzahl der Reisenden im
Tageslinienverkehr.“ Das Unternehmen brauche das Geld, das die Nachtzüge
verschlingen, um den Tagverkehr bis 2030 um ein Viertel auszubauen. Nachts
werde die Bahn mehr Intercity-Züge anbieten – lediglich mit Sitzen
ausgestattet, auf denen nur wenige Menschen so gut schlafen können wie in
den Betten der Schlaf- oder Liegewagen.
Auch deshalb haben Mitglieder der Bündnisse „Bahn für Alle“ und „Bürgerbahn
statt Börsenbahn“ nun einen offenen Brief an den Chef der DB, Rüdiger
Grube, und den der ÖBB, Andreas Matthä, initiiert. Darin fordern die
Aktivisten die beiden Vorstandsvorsitzenden auf: „Schließen Sie Ihre
Nachtzugverkehre und das damit verbundene Know-how für diese kulturvolle
Form des Reisens zusammen!“ Beide Konzerne sollten „eine gemeinsame
europäische Nachtzugtochter“ gründen.
„Dann gäbe es mehr Möglichkeiten, mehr Nachtzuglinien zu retten“, sagt
Betriebsrat Holstein, der zu den Initiatoren gehört. Denn oberstes Ziel der
DB sei, wie auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt kürzlich erklärt habe,
nicht maximaler Profit, sondern eine maximale Anzahl von Reisenden zu
befördern. Und das neue Unternehmen könnte auch Strecken bedienen, die
nicht über Österreich führen.
10 Aug 2016
## LINKS
|