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			    GEDICHTE / POEMS
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Inhaltsverzeichnis
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1. Prometheus (J.W.v. Goethe, 1774)
2. Der Mond ist aufgegangen (Matthias Cladius, 1779)
3. Mignon (J.W.v. Goethe 1795-96)
4. Geh! gehorche meinen Winken (J.W.v. Goethe)
5. Der Zauberlehrling (J.W.v. Goethe, 1797)
6. Der Fischer (J.W.v. Goethe, 1779)
7. Erlkönig (J.W.v. Goethe, Erlkönig, 1782)
8. Der zerbrochene Ringlein (Joseph Eichendorff, 1813)
9. Frühlingsfahrt (Joseph Eichendorff, 1818)
10. Mondnacht (Joseph Eichendorff, 1835)
11. Am Brunnen vor dem Tore (Wilhelm Müller, 1822)
12. Einkehr (Ludwig Uhland, ????)
13. Komm in den totgesagten park und schau (Stefan George, 1885)
14. Der Panther (Rainer Maria Rilke, 1902)
15. Alles Still (Theodor Fontane, 1905)
16. Der Werwolf (Christian Morgenstern, 1905)
17. If— (Rudyard Kipling, 1910)
18. Wildgänse rauschen durch die Nacht (Walter Flex, 1916)
19. Im Winter (Georg Trakl, 1915)
20. Der Herbst des Einsamen (Georg Trakl, 1915)
21. Die Dankesschuld (Walter Flex, 1917)
22. Erinnerung an die Marie A. (Bertholt Brecht, 1920)
23. Loreley (Heinrich Heine, 1924)
24. Stufen (Hermann Hesse, 1941)
25. Do not go gentle into that good night (Dylan Thomas, 1947)


Hinweis: Die Jahresangaben sind sehr ungenau und geben von Fall zu
Fall (nur ein ungefähres) Entstehungs- oder Erscheinungsdatum an.


1 Prometheus (J.W.v. Goethe, 1774)
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  Bedecke deinen Himmel, Zeus,
  Mit Wolkendunst,
  Und übe, dem Knaben gleich,
  Der Disteln köpft,
  An Eichen dich und Bergeshöhn;
  Musst mir meine Erde
  Doch lassen stehn
  Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
  Und meinen Herd,
  Um dessen Glut
  Du mich beneidest.

  Ich kenne nichts Ärmeres
  Unter der Sonn' als euch, Götter!
  Ihr nähret kümmerlich
  Von Opfersteuern
  Und Gebetshauch
  Eure Majestät,
  Und darbtet, wären
  Nicht Kinder und Bettler
  Hoffnungsvolle Toren.

  Da ich ein Kind war,
  Nicht wusste, wo aus noch ein,
  Kehrt' ich mein verirrtes Auge
  Zur Sonne, als wenn drüber wär'
  Ein Ohr, zu hören meine Klage,
  Ein Herz, wie mein's,
  Sich des Bedrängten zu erbarmen.

  Wer half mir
  Wider der Titanen Übermut?
  Wer rettete vom Tode mich,
  Von Sklaverei?
  Hast du nicht alles selbst vollendet,
  Heilig glühend Herz?
  Und glühtest jung und gut,
  Betrogen, Rettungsdank
  Dem Schlafenden da droben?

  Ich dich ehren? Wofür?
  Hast du die Schmerzen gelindert
  Je des Beladenen?
  Hast du die Tränen gestillet
  Je des Geängsteten?
  Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
  Die allmächtige Zeit
  Und das ewige Schicksal,
  Meine Herrn und deine?

  Wähntest du etwa,
  Ich sollte das Leben hassen,
  In Wüsten fliehen,
  Weil nicht alle
  Blütenträume reiften?

  Hier sitz' ich, forme Menschen
  Nach meinem Bilde,
  Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
  Zu leiden, zu weinen,
  Zu genießen und zu freuen sich,
  Und dein nicht zu achten,
  Wie ich!


2 Der Mond ist aufgegangen (Matthias Cladius, 1779)
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  Der Mond ist aufgegangen
  Die goldnen Sternlein prangen
  Am Himmel hell und klar:
  Der Wald steht schwarz und schweiget,
  Und aus den Wiesen steiget
  Der weiße Nebel wunderbar.

  Wie ist die Welt so stille,
  Und in der Dämmrung Hülle
  So traulich und so hold!
  Als eine stille Kammer,
  Wo ihr des Tages Jammer
  Verschlafen und vergessen sollt.

  Seht ihr den Mond dort stehen?
  Er ist nur halb zu sehen,
  Und ist doch rund und schön.
  So sind wohl manche Sachen,
  Die wir getrost belachen,
  Weil unsre Augen sie nicht sehn.

  Wir stolze Menschenkinder
  Sind eitel arme Sünder,
  Und wissen gar nicht viel;
  Wir spinnen Luftgespinste,
  Und suchen viele Künste,
  Und kommen weiter von dem Ziel.

  Gott, laß uns dein Heil schauen,
  Auf nichts vergänglichs trauen,
  Nicht Eitelkeit uns freun!
  Laß uns einfältig werden,
  Und vor dir hier auf Erden
  Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

  Wollst endlich sonder Grämen
  Aus dieser Welt uns nehmen
  Durch einen sanften Tod,
  Und wenn du uns genommen,
  Laß uns in Himmel kommen,
  Du lieber treuer frommer Gott!

  So legt euch denn, ihr Brüder,
  In Gottes Namen nieder!
  Kalt ist der Abendhauch.
  Verschon' uns Gott mit Strafen,
  Und laß uns ruhig schlafen,
  Und unsern kranken Nachbar auch!


3 Mignon (J.W.v. Goethe 1795-96)
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  Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
  Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
  Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
  Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
  Kennst du es wohl?
                                  Dahin! Dahin
  Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

  Kennst du das Haus, auf Säulen ruht sein Dach,
  Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
  Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
  Was hat man dir, du armes Kind, getan?
  Kennst du es wohl?
                                  Dahin! Dahin
  Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!

  Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
  Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
  In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
  Es stürzt der Fels und über ihn die Flut:
  Kennst du ihn wohl?
                                  Dahin! Dahin
  Geht unser Weg; o Vater, laß uns ziehn!


4 Geh! gehorche meinen Winken (J.W.v. Goethe)
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  Geh! gehorche meinen Winken,
  Nutze deine jungen Tage,
  Lerne zeitig klüger sein:
  Auf des Glückes großer Waage
  Steht die Zunge selten ein;
  Du musst steigen oder sinken,
  Du musst herrschen und gewinnen
  Oder dienen und verlieren,
  Leiden oder triumphieren,
  Amboss oder Hammer sein


5 Der Zauberlehrling (J.W.v. Goethe, 1797)
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  Hat der alte Hexenmeister
  sich doch einmal wegbegeben!
  Und nun sollen seine Geister
  auch nach meinem Willen leben.
  Seine Wort und Werke
  merkt ich und den Brauch,
  und mit Geistesstärke
  tu ich Wunder auch.

  Walle! walle
  Manche Strecke,
  daß, zum Zwecke,
  Wasser fließe
  und mit reichem, vollem Schwalle
  zu dem Bade sich ergieße.

  Und nun komm, du alter Besen!
  Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
  bist schon lange Knecht gewesen:
  nun erfülle meinen Willen!
  Auf zwei Beinen stehe,
  oben sei ein Kopf,
  eile nun und gehe
  mit dem Wassertopf!

  Walle! walle
  manche Strecke,
  daß, zum Zwecke,
  Wasser fließe
  und mit reichem, vollem Schwalle
  zu dem Bade sich ergieße.

  Seht, er läuft zum Ufer nieder,
  Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
  und mit Blitzesschnelle wieder
  ist er hier mit raschem Gusse.
  Schon zum zweiten Male!
  Wie das Becken schwillt!
  Wie sich jede Schale
  voll mit Wasser füllt!

  Stehe! stehe!
  denn wir haben
  deiner Gaben
  vollgemessen! –
  Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
  Hab ich doch das Wort vergessen!

  Ach, das Wort, worauf am Ende
  er das wird, was er gewesen.
  Ach, er läuft und bringt behende!
  Wärst du doch der alte Besen!
  Immer neue Güsse
  bringt er schnell herein,
  Ach! und hundert Flüsse
  stürzen auf mich ein.

  Nein, nicht länger
  kann ichs lassen;
  will ihn fassen.
  Das ist Tücke!
  Ach! nun wird mir immer bänger!
  Welche Miene! welche Blicke!

  O du Ausgeburt der Hölle!
  Soll das ganze Haus ersaufen?
  Seh ich über jede Schwelle
  doch schon Wasserströme laufen.
  Ein verruchter Besen,
  der nicht hören will!
  Stock, der du gewesen,
  steh doch wieder still!

  Willst am Ende
  gar nicht lassen?
  Will dich fassen,
  will dich halten
  und das alte Holz behende
  mit dem scharfen Beile spalten.

  Seht da kommt er schleppend wieder!
  Wie ich mich nur auf dich werfe,
  gleich, o Kobold, liegst du nieder;
  krachend trifft die glatte Schärfe.
  Wahrlich, brav getroffen!
  Seht, er ist entzwei!
  Und nun kann ich hoffen,
  und ich atme frei!

  Wehe! wehe!
  Beide Teile
  stehn in Eile
  schon als Knechte
  völlig fertig in die Höhe!
  Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

  Und sie laufen! Naß und nässer
  wirds im Saal und auf den Stufen.
  Welch entsetzliches Gewässer!
  Herr und Meister! hör mich rufen! –
  Ach, da kommt der Meister!
  Herr, die Not ist groß!
  Die ich rief, die Geister
  werd ich nun nicht los.

  »In die Ecke,
  Besen, Besen!
  Seids gewesen.
  Denn als Geister
  ruft euch nur zu seinem Zwecke,
  erst hervor der alte Meister.«


6 Der Fischer (J.W.v. Goethe, 1779)
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  Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
  Ein Fischer saß daran,
  Sah nach dem Angel ruhevoll,
  Kühl bis ans Herz hinan.
  Und wie er sitzt und wie er lauscht,
  Teilt sich die Flut empor:
  Aus dem bewegten Wasser rauscht
  Ein feuchtes Weib hervor.

  Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
  »Was lockst du meine Brut
  Mit Menschenwitz und Menschenlist
  Hinauf in Todesglut?
  Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
  So wohlig auf dem Grund,
  Du stiegst herunter, wie du bist,
  Und würdest erst gesund.

  Labt sich die liebe Sonne nicht,
  Der Mond sich nicht im Meer?
  Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
  Nicht doppelt schöner her?
  Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
  Das feuchtverklärte Blau?
  Lockt dich dein eigen Angesicht
  Nicht her in ew'gen Tau?«

  Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
  Netzt' ihm den nackten Fuß;
  Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
  Wie bei der Liebsten Gruß.
  Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
  Da war's um ihn geschehn;
  Halb zog sie ihn, halb sank er hin
  Und ward nicht mehr gesehn.


7 Erlkönig (J.W.v. Goethe, Erlkönig, 1782)
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  Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
  Es ist der Vater mit seinem Kind;
  Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
  Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

  Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
  Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
  Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? –
  Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –

  „Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
  Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
  Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
  Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ –

  Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
  Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
  Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
  In dürren Blättern säuselt der Wind. –

  „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
  Meine Töchter sollen dich warten schön;
  Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
  Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ –

  Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
  Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
  Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
  Es scheinen die alten Weiden so grau. –

  „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
  Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ –
  Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
  Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

  Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind,
  Er hält in Armen das ächzende Kind,
  Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
  In seinen Armen das Kind war tot.


8 Der zerbrochene Ringlein (Joseph Eichendorff, 1813)
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  In einem kühlen Grunde
  Da geht ein Mühlenrad
  Mein’ Liebste ist verschwunden,
  Die dort gewohnet hat.

  Sie hat mir Treu versprochen,
  Gab mir ein’n Ring dabei,
  Sie hat die Treu’ gebrochen,
  Mein Ringlein sprang entzwei.

  Ich möcht’ als Spielmann reisen
  Weit in die Welt hinaus,
  Und singen meine Weisen,
  Und geh’n von Haus zu Haus.

  Ich möcht’ als Reiter fliegen
  Wohl in die blut’ge Schlacht,
  Um stille Feuer liegen
  Im Feld bei dunkler Nacht.

  Hör’ ich das Mühlrad gehen:
  Ich weiß nicht, was ich will —
  Ich möcht’ am liebsten sterben,
  Da wär’s auf einmal still!


9 Frühlingsfahrt (Joseph Eichendorff, 1818)
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  Es zogen zwei rüst’ge Gesellen
  Zum erstenmal von Haus,
  So jubelnd recht in die hellen,
  Klingenden, singenden Wellen
  Des vollen Frühlings hinaus.

  Die strebten nach hohen Dingen,
  Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
  Was Rechts in der Welt vollbringen,
  Und wem sie vorübergingen,
  Dem lachten Sinnen und Herz. –

  Der erste, der fand ein Liebchen,
  Die Schwieger kauft’ Hof und Haus;
  Der wiegte gar bald ein Bübchen,
  Und sah aus heimlichem Stübchen
  Behaglich ins Feld hinaus.

  Dem zweiten sangen und logen
  Die tausend Stimmen im Grund,
  Verlockend’ Sirenen, und zogen
  Ihn in der buhlenden Wogen
  Farbig klingenden Schlund.

  Und wie er auftaucht’ vom Schlunde,
  Da war er müde und alt,
  Sein Schifflein das lag im Grunde,
  So still war’s rings in die Runde,
  Und über die Wasser weht’s kalt.

  Es singen und klingen die Wellen
  Des Frühlings wohl über mir;
  Und seh ich so kecke Gesellen,
  Die Tränen im Auge mir schwellen –
  Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!


10 Mondnacht (Joseph Eichendorff, 1835)
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  Es war, als hätt’ der Himmel
  Die Erde still geküßt,
  Daß sie im Blütenschimmer
  Von ihm nun träumen müßt'.

  Die Luft ging durch die Felder,
  Die Ähren wogten sacht,
  Es rauschten leis’ die Wälder,
  So sternklar war die Nacht.

  Und meine Seele spannte
  Weit ihre Flügel aus,
  Flog durch die stillen Lande,
  Als flöge sie nach Haus.


11 Am Brunnen vor dem Tore (Wilhelm Müller, 1822)
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  Am Brunnen vor dem Tore
  Da steht ein Lindenbaum
  Ich träumt in seinem Schatten
  So manchen süßen Traum
  Ich schnitt in seine Rinde
  so manches liebes Wort
  Es zog in Freud und Leide
  Zu ihm mich immer fort

  Ich mußt auch heute wandern
  Vorbei in tiefer Nacht
  Da hab ich noch im Dunkel
  Die Augen zugemacht
  Und seine Zweige rauschten
  Als riefen sie mir zu:
  „Komm her zu mir, Geselle
  Hier findst du deine Ruh

  Die kalten Winde bliesen
  Mir grad ins Angesicht
  Der Hut flog mir vom Kopfe
  Ich wendete mich nicht
  Nun bin ich manche Stunde
  Entfernt von diesem Ort
  Und immer hör ich´s rauschen:
  „Du fändest Ruhe dort!“


12 Einkehr (Ludwig Uhland, ????)
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  Bei einem Wirte, wundermild;
  da war ich jüngst zu Gaste;
  ein goldner Apfel war sein Schild
  an einem langen Aste.

  Es war der gute Apfelbaum,
  bei dem ich eingekehret;
  mit süßer Kost und frischem Schaum
  hat er mich wohl genähret.

  Es kamen in sein grünes Haus
  viel leichtbeschwingte Gäste;
  sie sprangen frei und hielten Schmaus
  und sangen auf das beste.

  Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
  auf weichen, grünen Matten;
  der Wirt, er deckte selbst mich zu
  mit seinem kühlen Schatten.

  Nun fragt' ich nach der Schuldigkeit,
  da schüttelt' er den Wipfel.
  Gesegnet sei er allezeit
  von der Wurzel bis zum Gipfel!


13 Komm in den totgesagten park und schau (Stefan George, 1885)
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  Komm in den totgesagten park und schau:
  Der schimmer ferner lächelnder gestade
  Der reinen wolken unverhofftes blau
  Erhellt die weiher und die bunten pfade

  Dort nimm das tiefe gelb das weiche grau
  Von birken und von buchs · der wind ist lau
  Die späten rosen welkten noch nicht ganz
  Erlese küsse sie und flicht den kranz

  Vergiss auch diese lezten astern nicht
  Den purpur um die ranken wilder reben
  Und auch was übrig blieb von grünem leben
  Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.


14 Der Panther (Rainer Maria Rilke, 1902)
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  Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
  so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
  Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
  und hinter tausend Stäben keine Welt.

  Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
  der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
  ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
  in der betäubt ein großer Wille steht.

  Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
  sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
  geht durch der Glieder angespannte Stille -
  und hört im Herzen auf zu sein.


15 Alles Still (Theodor Fontane, 1905)
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  Alles still! Es tanzt den Reigen
  Mondenstrahl in Wald und Flur,
  Und darüber thront das Schweigen
  Und der Winterhimmel nur.

  Alles still! Vergeblich lauschet
  Man der Krähe heisrem Schrei.
  Keiner Fichte Wipfel rauschet,
  Und kein Bächlein summt vorbei.

  Alles still! Die Dorfeshütten
  Sind wie Gräber anzusehn,
  Die, von Schnee bedeckt, inmitten
  Eines weiten Friedhofs stehn.

  Alles still! Nichts hör ich klopfen
  Als mein Herze durch die Nacht -
  Heiße Tränen niedertropfen
  Auf die kalte Winterpracht.


16 Der Werwolf (Christian Morgenstern, 1905)
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  Ein Werwolf eines Nachts entwich
  von Weib und Kind und sich begab
  an eines Dorfschullehrers Grab
  und bat ihn: »Bitte, beuge mich!«

  Der Dorfschulmeister stieg hinauf
  auf seines Blechschilds Messingknauf
  und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
  geduldig kreuzte vor dem Toten:

  »Der Werwolf«, sprach der gute Mann,
  »des Weswolfs, Genitiv sodann,
  dem Wemwolf, Dativ, wie mans nennt,
  den Wenwolf, — damit hats ein End.«

  Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
  er rollte seine Augenbälle.
  »Indessen«, bat er, »füge doch
  zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!«

  Der Dorfschulmeister aber mußte
  gestehn, dass er von ihr nichts wußte.
  Zwar Wölfe gäbs in grosser Schar,
  doch »Wer« gäbs nur im Singular.

  Der Wolf erhob sich tränenblind–
  er hatte ja doch Weib und Kind!
  Doch da er kein Gelehrter eben,
  so schied er dankend und ergeben.


17 If— (Rudyard Kipling, 1910)
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  If you can keep your head when all about you
  Are losing theirs and blaming it on you,
  If you can trust yourself when all men doubt you,
  But make allowance for their doubting too;
  If you can wait and not be tired by waiting,
  Or being lied about, don't deal in lies,
  Or being hated, don't give way to hating,
  And yet don't look too good, nor talk too wise:

  If you can dream - and not make dreams your master;
  If you can think - and not make thoughts your aim;
  If you can meet with Triumph and Disaster
  And treat those two impostors just the same;
  If you can bear to hear the truth you've spoken
  Twisted by knaves to make a trap for fools,
  Or watch the things you gave your life to, broken,
  And stoop and build 'em up with worn-out tools:

  If you can make one heap of all your winnings
  And risk it on one turn of pitch-and-toss,
  And lose, and start again at your beginnings
  And never breathe a word about your loss;
  If you can force your heart and nerve and sinew
  To serve your turn long after they are gone,
  And so hold on when there is nothing in you
  Except the Will which says to them: 'Hold on!'

  If you can talk with crowds and keep your virtue,
  Or walk with Kings - nor lose the common touch,
  if neither foes nor loving friends can hurt you,
  If all men count with you, but none too much;
  If you can fill the unforgiving minute
  With sixty seconds' worth of distance run,
  Yours is the Earth and everything that's in it,
  And - which is more - you'll be a Man, my son!


18 Wildgänse rauschen durch die Nacht (Walter Flex, 1916)
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  Wildgänse rauschen durch die Nacht
  mit schrillem Schrei nach Norden;
  Unstete Fahrt habt Acht, habt Acht,
  die Welt ist voller Morden.

  Fahrt durch die nachtdurchwogte Welt,
  graureisige Geschwader!
  Fahlhelle zuckt und Schlachtruf gellt,
  weit wallt und wogt der Hader.

  Rausch zu, fahr zu, du graues Heer!
  Rauscht zu, fahrt zu nach Norden!
  Fahrt ihr nach Süden übers Meer,
  was ist aus uns geworden?

  Wir sind wie ihr ein graues Heer
  und fahr’n in Kaisers Namen
  Und fahr’n wir ohne Wiederkehr,
  rauscht uns im Herbst ein Amen


19 Im Winter (Georg Trakl, 1915)
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  Der Acker leuchtet weiß und kalt.
  Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
  Dohlen kreisen über dem Weiher,
  Und Jäger steigen nieder vom Wald.

  Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
  Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
  Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten,
  Und langsam steigt der graue Mond.

  Ein Wild verblutet sanft am Rain,
  Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
  Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
  Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.


20 Der Herbst des Einsamen (Georg Trakl, 1915)
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  Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle.
  Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
  Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle;
  Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
  Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
  Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

  Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
  Im roten Wald verliert sich eine Herde.
  Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
  Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
  Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
  Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.

  Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
  In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
  Und Engel treten leise aus den blauen
  Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
  Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
  Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.


21 Die Dankesschuld (Walter Flex, 1917)
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  Ich trat vor ein Soldatengrab
  und sprach zur Erde tief hinab:
  „Mein stiller grauer Bruder du,
  das Danken läßt uns keine Ruh’.
  Ein Volk in toter Helden Schuld
  brennt tief in Dankes Ungeduld.
  Daß ich die Hand noch rühren kann,
  das dank’ ich dir, du stiller Mann.
  Wie rühr’ ich sie dir recht zum Preis?
  Gib Antwort, Bruder, daß ich’s weiß!
  Willst du ein Bild von Erz und Stein?
  Willst einen grünen Heldenhain?“

  Und alsobald aus Grabes Grund
  ward mir des Bruders Antwort kund:
  „Wir sanken hin für Deutschlands Glanz.
  Blüh’, Deutschland, uns als Totenkranz!
  Der Bruder, der den Acker pflügt,
  ist mir ein Denkmal, wohlgefügt.
  Die Mutter, die ihr Kindlein hegt,
  ein Blümlein überm Grab mir pflegt.
  Die Büblein schlank, die Dirnlein rank
  blühen mir als Totengärtlein Dank.
  Blüh’, Deutschland, überm Grabe mein
  jung, stark und schön als Heldenhain!“


22 Erinnerung an die Marie A. (Bertholt Brecht, 1920)
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  An jenem Tag im blauen Mond September
  Still unter einem jungen Pflaumenbaum
  Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
  In meinem Arm wie einen holden Traum.
  Und über uns im schönen Sommerhimmel
  War eine Wolke, die ich lange sah
  Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
  Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

  Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
  Geschwommen still hinunter und vorbei
  Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
  Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
  So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
  Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
  Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
  Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.

  Und auch den Kuss, ich hätt' ihn längst vergessen
  Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
  Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
  Sie war sehr weiß und kam von oben her.
  Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
  Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
  Doch jene Wolke blühte nur Minuten
  Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.


23 Loreley (Heinrich Heine, 1924)
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  Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
  dass ich so traurig bin;
  ein Märchen aus alten Zeiten,
  das kommt mir nicht aus dem Sinn.

  Die Luft ist kühl und es dunkelt,
  und ruhig fließt der Rhein;
  der Gipfel des Berges funkelt
  im Abendsonnenschein.

  Die schönste Jungfrau sitzet
  dort oben wunderbar;
  ihr goldnes Geschmeide blitzet,
  sie kämmt ihr goldenes Haar.

  Sie kämmt es mit goldenem Kamme
  und singt ein Lied dabei;
  das hat eine wundersame,
  gewaltige Melodei.

  Den Schiffer im kleinen Schiffe
  ergreift es mit wildem Weh;
  er schaut nicht die Felsenriffe,
  er schaut nur hinauf in die Höh.

  Ich glaube, die Wellen verschlingen
  am Ende Schiffer und Kahn;
  und das hat mit ihrem Singen
  die Lore-Ley getan.


24 Stufen (Hermann Hesse, 1941)
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  Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
  Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
  Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
  Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
  Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
  Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
  Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
  In andre, neue Bindungen zu geben.
  Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
  Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

  Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
  An keinem wie an einer Heimat hängen,
  Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
  Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
  Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
  Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
  Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
  Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

  Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
  Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
  Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
  Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!


25 Do not go gentle into that good night (Dylan Thomas, 1947)
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  Do not go gentle into that good night,
  Old age should burn and rave at close of day;
  Rage, rage against the dying of the light.

  Though wise men at their end know dark is right,
  Because their words had forked no lightning they
  Do not go gentle into that good night.

  Good men, the last wave by, crying how bright
  Their frail deeds might have danced in a green bay,
  Rage, rage against the dying of the light.

  Wild men who caught and sang the sun in flight,
  And learn, too late, they grieved it on its way,
  Do not go gentle into that good night.

  Grave men, near death, who see with blinding sight
  Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
  Rage, rage against the dying of the light.

  And you, my father, there on the sad height,
  Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
  Do not go gentle into that good night.
  Rage, rage against the dying of the light.