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In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU und SPD ein
[1][Vergesellschaftungsrahmengesetz] vereinbart. Das soll einen
Rechtsrahmen und qualitative Indikatoren für eine Vergesellschaftung in
verschiedenen Feldern der Daseinsvorsorge (Wohnen, Energie, Wasser) sowie
Grundsätze der Entschädigung definieren. Für eine Vergesellschaftung reicht
ein abstrakter Rahmen aber nicht aus. Für jeden Anwendungsfall braucht es
ein eigenes Umsetzungsgesetz. Und den Rahmen dafür gibt Artikel 15 im
Grundgesetz bereits vor. Ein Rahmengesetz ist deshalb unnötig.
Nach Beschlussfassung will Schwarz-Rot gegen ihr eigenes Rahmengesetz eine
Normenkontrollklage einreichen und es so vor das Bundesverfassungsgericht
bringen. Um die Prüfung zu ermöglichen, soll das Gesetz erst zwei Jahre
nach Beschlussfassung in Kraft treten. Damit ist fraglich, ob in dieser
Legislatur überhaupt ein Gesetz kommt. Keine Akteurin im Senat wird dafür
kämpfen.
Weil ein Rahmen aber noch keine Vergesellschaftung macht, ist vor dem
Bundesverfassungsgericht gar nicht viel zu gewinnen. Bestenfalls kann das
Gericht die grundsätzliche Landeskompetenz feststellen. An der fehlenden
Kompetenz scheiterte zwar noch der Mietendeckel, doch selbst
Kritiker*innen und auch die Expert*innenkommission sehen diese
bei einer Vergesellschaftung als gegeben an. Ehin Umsetzungsgesetz für die
Vergesellschaftung von Wohnraum würde dennoch wieder vor Gericht landen.
Mit Verweis auf den [2][Mietendeckel] versucht Schwarz-Rot den Eindruck zu
vermitteln, es handele sich bei der Vergesellschaftung von Wohnraum um ein
praktisch unmögliches Vorhaben. Dabei wurde kein anderes Vorhaben in Berlin
in den vergangenen Jahren so intensiv rechtlich geprüft: 15 Monate (!)
Prüfung durch die Innenverwaltung, unzählige Gutachten (die meisten
positiv), eine exzellent besetzte Expert*innenkommission und ein von
der Fachwelt gelobter Gesetzentwurf von der Initiative Deutsche Wohnen und
Co enteignen (DWE) – es ist ausreichend Substanz produziert, um die
Vergesellschaftung von Wohnraum in ein Gesetz zu gießen. Zumindest, wenn
der politische Wille dafür da ist.
## Unnötig verkompliziert
Es scheint zunächst verlockend, die Vergesellschaftung auf mehr Bereiche
als Wohnen auszudehnen, wie von Schwarz-Rot geplant. Die gesamte
Infrastruktur der Daseinsvorsorge muss der Profitlogik entzogen werden. Das
ist aber mit Sicherheit nicht der Plan einer CDU-geführten „Großen
Koalition“. Stattdessen wird das Anliegen so verkompliziert. Einheitliche
qualitative Indikatoren, die gleichermaßen für Felder wie Wohnen, Energie
und Wasser gelten, werden nur schwer definiert werden können.
Außerdem rückt die schwarz-rote Koalition damit vom zentralen Vorhaben des
Volksentscheids ab, die Wohnungen aller privaten, profitorientierten
Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften.
Dieses quantitative Kriterium ergibt auch Sinn: Zusammen mit den
landeseigenen und genossenschaftlichen Wohnungen würde der Anteil Berlins
am Wohnungsmarkt 50 Prozent betragen – ebenso viele Haushalte haben
Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein.
Welche qualitativen Indikatoren Schwarz-Rot anlegen möchte, lässt der vage
formulierte Vertrag offen. Vorstellbar wäre etwa eine systematische
Missachtung des Mietrechts oder eine zu geringe Investitionsquote. Nur
werden diese Indikatoren mangels passender Instrumente zur
Wohnraumerfassung, wie dem Mietenkataster, schwer messbar sein. Auch führt
das weg vom eigentlichen Zweck der Vergesellschaftung: Sie ist keine
„Strafe“ für böse Vermieter*innen, sondern soll weite Teile des
Wohnungsmarktes in Gemeineigentum überführen.
Selbst wenn alle diese Hürden genommen werden, macht Schwarz-Rot die
„Verhältnismäßigkeit“ zur Grundvoraussetzung für eine Vergesellschaftung.
CDU und SPD könnten dann darauf beharren, Vergesellschaftung nur als
„letztes Mittel“ anzuwenden. Dann müsste bewiesen werden, dass bereits alle
anderen Mittel ausgeschöpft wurden. Eine solch restriktive Auslegung ist
juristisch nicht nötig und würde das Vorhaben endgültig verunmöglichen. CDU
und SPD würden genug Argumente einfallen, warum noch lange nicht alle
Instrumente ausgeschöpft sind.
## Braucht es einen neuen Volksentscheid?
SPD, Grüne und Linke haben in ihren Sondierungen lange über
Vergesellschaftung verhandelt. Als Kompromiss mit der SPD wurde sich zwar
ebenfalls auf die Einführung eines Rahmengesetzes verständigt – aber nur
unter der Maßgabe, dass zeitnah auch ein Umsetzungsgesetz für die
Vergesellschaftung von Wohnraum erarbeitet und beschlossen wird.
Giffey und Wegner [3][wollen den Volksentscheid jedoch ins Leere laufen
lassen]. Das Rahmengesetz ist ein reines Ablenkungsmanöver ohne
Umsetzungsperspektive. Was also tun? Die Initiative könnte einen zweiten
Volksentscheid starten, der diesmal bei Erfolg rechtlich bindend ist. Dazu
müsste sie einen konkreten Gesetzentwurf zur Abstimmung stellen, statt wie
zuvor den Senat aufzufordern, ein Gesetz zu erarbeiten.
Das erfordert viel Kraft und Ausdauer. Und auch dann könnte Schwarz-Rot
sabotieren und die Initiative nach der ersten Stufe der
Unterschriftensammlung vor das Verfassungsgericht zerren. Das hatte der
damalige SPD-Innensenator Andreas Geisel schon beim ersten Volksentscheid
versucht, war aber am Widerstand von Linke und Grünen in der Regierung
gescheitert.
Wie alles im Leben hat aber auch ein Rahmengesetz, wenn es denn überhaupt
kommt, etwas Gutes. Es wird Zeit, dass wir eine Vergesellschaftung auch für
andere zentrale Lebensbereiche wie Energie, Gesundheit, Bildung, Kultur und
Mobilität auf die Tagesordnung setzen. Die Berliner Linke sollte zusammen
mit einer breiten Vergesellschaftungsbewegung ein Transformationsprogramm
für Berlin entwickeln.
Schwarz-Rot muss sich auf viel Gegenwind gefasst machen – im Parlament und
auf der Straße. Und wer weiß, vielleicht bekommen es Giffey und Wegner dann
bald mit vielen Vergesellschaftungs-Initiativen zu tun. Wir wünschen es
ihnen und unserer Stadt von Herzen.
21 Apr 2023
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