# taz.de -- „Tatort“ aus Stuttgart: Die Bedrohung lauert im Freien

> Die Kommissare Lannert und Bootz jagen einen anonymen Heckenschützen. Ein
> „Tatort“ mit spannendem Konzept, der Ermittlungsarbeit realitätsnah
> zeigt.
Abermals könnte jene Zeile aus einem Trauergedicht Anwendung finden, die
2009 schon einer NDR-„Tatort“-Folge den Titel lieh: „Es wird Trauer sein
und Schmerz.“ Kommissarin Lindholm bekam es im Raum Braunschweig mit einem
Heckenschützen zu tun, der scheinbar wahllos Menschen ermordete. In der
aktuellen, vom SWR beigesteuerten Episode „Du allein“ sind die Tatmerkmale
ähnlich.

Die Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz erhalten einen anonym
abgesandten Brief, darin nur eine Ziffer: 1. Zu diesem Zeitpunkt ist das
erste Opfer, eine Investigativjournalistin, noch am Leben, nimmt auf der
Straße eine Postsendung entgegen, betritt die Stufen zur Haustür. Sie wird
ihre Wohnung nicht mehr erreichen.

Der Täter oder die Täterin hinterlässt eine Patronenhülse, in die eine Eins
eingraviert wurde. Ein Erpresser*innenschreiben trifft ein: Drei Millionen
Euro, oder aus der Einzeltat wird eine Serie. Die Lösegeldübergabe ist aus
Täter*innensicht der gefährlichste Teil, der durchdacht sein will. Eine
knifflige Aufgabe auch für den jeweiligen Drehbuchautor oder die -autorin,
in diesem Fall Wolfgang Stauch, der eine raffinierte Lösung ausgeheckt hat.

Stauch und Regisseurin Friederike Jehn wissen die Tallage Stuttgarts zu
nutzen. Über die Jahre ist die Bebauung die Hänge hinaufgewandert,
zahlreiche Hochbauten bestimmen das Stadtbild. Im Wissen darum, dass
irgendwo in der Höhe ein Scharfschütze oder eine Scharfschützin lauern
könnte, flößen offene Räume entgegen der sonstigen Wahrnehmung nun Angst
ein.

Man sieht es Lannert an, wenn er nächtens in der zweistöckigen Schulstraße,
eine der ersten Fußgängerzonen Deutschland, argwöhnisch von unten nach oben
äugt. Ein Blickwinkel, der als visuelle Antizipation schon im ambitioniert
gestalteten Vorspann eingenommen wird, während die Kamera später, oft im
belebten Schlossplatzbereich, immer wieder in die mögliche Täterperspektive
wechselt.

Inhaltlich gibt es eine Entsprechung in der Agoraphobie eines
Tabakladenbesitzers, dessen Rolle in der Geschichte erst peu à peu enthüllt
und an dieser Stelle unter dem Deckmantel der Diskretion asserviert wird.

In Friedemann Fromms NDR-„Tatort“ betraf die Bedrohung den privaten Raum,
Stauch und Jehn verlagern sie ins Freie. Ein spannendes Konzept, gelungen
umgesetzt, auch durch die Darstellung der polizeilichen Ermittlungsarbeit,
die abweichend vom gängigen „Tatort“-Muster realitätsnah als Gruppenarbeit
gezeigt wird.

24 May 2020

## AUTOREN
Harald Keller
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