# taz.de -- Spielfilm über Kindesmissbrauch: Schönes Ende ohne Hoffnung

> „Operation Zucker“ behandelt das Thema Kindesmissbrauch – und ist so gut
> wie kaum ein anderer Fernsehkrimi. Leider müssen erst die Kinder ins
> Bett.
Das ist jetzt natürlich Zufall. Dass die Tochter des Großschauspielers
Klaus Kinski Missbrauchsvorwürfe gegen ihren Vater erhebt. Dass die
Bischöfe beschließen, dass der Kriminologe Christian Pfeiffer nicht länger
zum Missbrauch in der katholischen Kirche forschen soll. Und dass die ARD
in der Woche darauf einen Spielfilm zum Thema Kindesmissbrauch programmiert
hat.

Das Thema ist hochaktuell wie nie, und der Film ist so gut wie wenige im
Fernsehen. Es geht um organisierte Kriminalität, um die sogenannten Spitzen
der Gesellschaft, um Politiker und Richter, die sich in luxuriösen
Etablissements einfinden, um dort Orgien mit verschleppten Kindern zu
feiern. „Operation Zucker“ basiere auf einer wahren Geschichte, heißt es im
Presseheft.

Das Buch von Philip Koch (Regie: Rainer Kaufmann) ist geschrieben „nach
einer Idee von Gabriela Sperl und Rolf Basedow“. Gabriela Sperl hat auch
produziert. Und Rolf Basedow ist ja nicht irgendwer. Für sein Drehbuch zu
Dominik Grafs Miniserie „Im Angesicht des Verbrechens“ soll er intensiv im
Milieu recherchiert haben. Die Parallelen sind unübersehbar.

Zum Beispiel der Anfang. Das auf ärmliche Weise idyllisch-unschuldig
aussehende Leben im Nirgendwo der osteuropäischen Landschaft. Bei Graf sind
es zwei junge Frauen in der Ukraine, Nacktbaden im See, ein Pferd – dann
kommen die Gangster und locken sie mit falschen Versprechungen ins
verderbte Berlin. In „Operation Zucker“ ist es ein kleines Mädchen in
Rumänien, Herumtollen mit dem Bruder, ein Honigbrot für den Braunbären, der
auch sofort vorbeischaut – dann kommen die Gangster und bringen es ins
verderbte, diesmal zeichenhaft winterkalte Berlin.

## Ringen um Authentizität

Einer der Gangster muss sich auf der Autofahrt nach Berlin übergeben:
„Diese Fahrt mach’ ich noch, ich halt’ das durch.“

Dieses Ringen um Authentizität erinnert so sehr an Dominik Graf und die
vielen Bücher, die Basedow für ihn geschrieben hat. Bei Graf hört der
Zuschauer immer wieder Polizeifunk, hier sieht er die komplizierte
Video-Vernehmung eines Kindes über zwei Räume hinweg. Die Fragen des
Anwalts des Politikers werden dem vernehmenden Richter per Laptop
übermittelt. Am Ende lässt der Richter den Politiker gehen: „Ich beurteile
das, was ich höre und sehe. Ein traumatisierter Jugendlicher, der sich in
Widersprüche verstrickt, und einen gestandenen Politiker, den die Medien
lynchen, noch bevor seine Schuld erwiesen ist.“

Die von Nadja Uhl gespielte Kommissarin tobt. Sie und die Staatsanwältin
sind die Heldinnen des Films. Senta Berger legt die Staatsanwältin noch
unterkühlter und verhärmter an als ihre Ermittlerin in der „Unter
Verdacht“-Reihe. Gute Fernsehkrimis kann man derzeit daran erkennen, dass
Uwe Preuss einen Polizisten spielt.

Sie kämpfen gegen Windmühlen, gerade zeichnet sich für das Mädchen aus
Rumänien ein versöhnliches Ende ab. Dann taucht ein von der Bildfläche
verschwundener Informant wieder auf und erfüllt, was er der Kommissarin
zuvor prophezeit hat: „Die Struktur ist wie ein Krokodil. Es liegt träge
und regungslos im Wasser, wartet, und wenn sich die Beute sicher fühlt,
dann greift es blitzschnell zu.“

## Nicht für Zuschauer unter 16

Zu sehen ist dieses schöne Ende ohne jede Hoffnung freilich erst in der
Wiederholung um 0.20 Uhr und in der ARD-Mediathek ab 22.00 Uhr. Zuschauern
unter 16 Jahren könne man das nämlich nicht zumuten, hat der
FSK-Appellationsausschuss am Montagnachmittag entschieden.

„Um der damit verbundenen Verpflichtung nachzukommen, zeigt Das Erste auf
dem Sendeplatz um 20.15 Uhr eine Fassung des Films mit markierter
Auslassung im Schlussteil“, teilt die ARD dazu mit. Im Presseheft hat die
Produzentin noch erklären dürfen, wie wichtig der Verzicht auf ein Happy
End ist: „Da waren sich alle einig. Dieser Film muss ein Fanal, ein Weckruf
sein.“

Aber erst müssen die Kinder ins Bett! Wirklich? Darüber sollte man noch
diskutieren – die Rolle der ARD ist hier wohl eine andere als bei der
Indizierung eines „Polizeirufs“ von Hans Steinbichler im Sommer 2011.

Für Regisseur Rainer Kaufmann bleibt die Erkenntnis: Der beste
Dominik-Graf-Film, den er je gedreht hat, wird ihm von FSK und ARD
verstümmelt.

„Operation Zucker“, Mittwoch, 16. Januar, 20.15 Uhr, ARD

16 Jan 2013

## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Kindesmissbrauch
Film
Sexuelle Gewalt
Missbrauch
Christian Pfeiffer
sexueller Missbrauch
Katholische Kirche
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schmerzensgeld bei sexueller Gewalt: Verjährung spielt keine Rolle
Sexuelle Gewalttäter dürfen für verjährte Taten zwar nicht bestraft werden,
Opfer können aber Schmerzensgeld fordern. So urteilte der
Bundesgerichtshof.
Kinski-Missbrauch in der „SZ“: Perfide und ungeheuerlich
Pola Kinski hat über 20 Jahre nach dem Tod ihres Vaters von ihrem
Missbrauchs-Martyrium berichtet. Die „SZ“ wirft ihr deswegen Voyeurismus
vor. Eine Erwiderung.
Kinskis Missbrauch bei „Beckmann“: Sorry, kein Happy End
Bei „Beckmann“ sprechen Pola Kinski und Christian Pfeiffer über Missbrauch
und die Vertuschung der Kirche. Ins Sendungsformat passt das nicht.
Missbrauchs-Vorwurf gegen Kinski: Die finstere Seite der Befreiung
Klaus Kinskis Tochter Pola wirft ihrem Vater jahrelangen sexuellen
Missbrauch vor. Sie ertrage die Glorifizierung des Schauspielers nicht
mehr.
Missbrauchsskandal katholische Kirche: Aktenvernichtung wird bestritten
Die Studie zu den Missbrauchsfällen hat die katholische Kirche zwar
gestoppt, die Bischofskonferenz bestreitet aber eine Aktenvernichtung.
Kritik kommt aus der Politik.