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Buenos Aires taz | Olympische Spiele in Buenos Aires – das ist für manch
einen schon immer ein Traum gewesen. Zum Beispiel für Gerardo Werthein,
seines Zeichens NOK-Präsident Argentiniens, IOC-Mitglied und Spross einer
wichtigen Unternehmerfamilie des Landes. Für 2004 war eine Bewerbung
gescheitert, ebenso 1968 und 1956 und sogar schon im Vorfeld von 1936. Aber
jetzt, in diesem Oktober, da finden sie endlich statt – also zumindest die
Olympischen Jugendspiele.
2013 hatte das Bewerbungskomitee, angeführt vom damaligen Bürgermeister und
jetzigen Staatspräsidenten Mauricio Macri und ebenjenem Gerardo Werthein,
ein Budget von rund 231 Millionen US-Dollar präsentiert, 105 für die
Durchführung und 126 Millionen für die Errichtung des olympischen Dorfs.
Das Konzept setzte fast komplett auf die Nutzung vorhandener Sportstätten,
insbesondere jener im Cenard, dem Nationalen Zentrum für
Hochleistungssport, auf Anmietungen, so zum Beispiel des Stadions von
River Plate, und auf temporäre Sportstätten. Das war ganz nach dem
Geschmack des IOC.
Unglücklicherweise kamen die ehrgeizigen Argentinier auf ihr knappes
Budget, indem sie annahmen, 2018 stünde der Wechselkurs von Dollar zu
argentinischem Peso 1 zu 4,5. Tatsächlich lag der offizielle Kurs bereits
am Tag der Entscheidung bei 5,4 Peso, der auf dem Schwarzmarkt bei 7,9. Der
IOC-Bericht zu den Bewerbungen hatte Ende 2012 festgestellt, dass der
angenommene Kurs angesichts der hohen Inflationsrate Argentiniens ein
„Risiko“ darstelle. Heute gibt es für einen Dollar 20,7 Peso, kurzum: Die
Jugendspiele sind ohne weiteres Zutun gut viermal so teuer wie
prognostiziert.
Das allein wäre vermutlich nicht der Rede wert, gäbe es nicht längst ganz
andere Zahlen. Die hat Ernesto Rodríguez III recherchiert. „Ursprünglich
waren es rund 1,04 Milliarden Pesos, am heutigen Tag sind wir bei circa
11,5 Milliarden“, sagt der Sportjournalist aus Buenos Aires über die
Entwicklung der Gesamtkosten.
## Das Thema Transport
Alejandro Lifschitz, Kommunikationsdirektor des Organisationskomitees,
erklärt, der operative Etat „beläuft sich auf etwa 210 Millionen US-Dollar,
von denen 20 bis 25 Millionen vom IOC und aus unseren Lizenz- und
Sponsorenverträgen gedeckt werden. Den Rest finanziert die Regierung der
Stadt Buenos Aires.“ Auf Nachfrage erklärt er, die Errichtung des
Olympischen Dorfs sei ein Projekt des Ministeriums für Stadtentwicklung von
Buenos Aires und somit nicht Teil des Kostenplans. 2013 war der Plan ein
anderer. „Wir nutzten jeden Peso, den wir haben, so effizient wie irgend
möglich“, sagt Lifschitz auch.
Ein Ausflug zur Baustelle des olympischen Dorfs ist ein Ausflug in eine
andere Welt. Aus dem zentralen Viertel Palermo kommend, sitzen wir gut
anderthalb Stunden in diversen Bussen. Der IOC-Bericht 2012 hatte zum Thema
Transport auch bemerkt, die Aussage, der zufolge alle wichtigen
Entfernungen in 30 Minuten zurücklegbar seien, sei „recht optimistisch“ –
offenbar wurde bei der Berechnung eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 65
bis 70 Stundenkilometer zugrunde gelegt.
Der Busfahrer hat von einem olympischen Dorf oder irgendwelchen Spielen
noch nie etwas gehört, obwohl er diese Strecke tagein, tagaus fährt. Die
wenigen Menschen, die hier am südwestlichen Zipfel von Buenos Aires mit uns
aussteigen, sind jung, einige Mädchen haben Kinder auf dem Arm, die
Gesichter lassen auf ihre Herkunft aus Paraguay oder Bolivien schließen.
Sie biegen bald rechts ab, Richtung Villa 20.
Die Villa 20 ist eines der vielen illegal entstandenen Elendsviertel in
diesem Teil der Stadt. Das Gros der bis zu fünfstöckigen prekären
Behausungen ist nicht ans reguläre Wasser- und Stromnetz angeschlossen,
verfügt nicht über Abflusskanäle und kennt keine städtische Müllentsorgung.
Die Villa 20 ist von der Bushaltestelle aus zu sehen. Um genau zu sein: Es
ist jener Teil mit dem klingenden Namen Papst Francisco. Die Villa 20
gehört zur Comuna 8, der ärmsten und größten der insgesamt 15 Gemeinden von
Buenos Aires. Hier leben rund 200.000 Menschen. Nach verschiedenen
Schätzungen leben 70 Prozent der Bewohner oder über 11.300 Familien der
Comuna 8 in Elendsvierteln oder auf extrem beengtem Wohnraum.
## Die Nachnutzung des olympischen Dorfs
Auch deshalb war das ursprüngliche Projekt zur weiteren Nutzung des
olympischen Dorfs eine gute Idee: Es sah vor, ein Drittel der geplanten
1.200 Wohnungen direkt an Menschen aus den Villas zu vergeben, die auf dem
normalen Wohnungsmarkt völlig chancenlos sind, kurzum: sie zu verschenken.
Ein weiteres Drittel sollte an bedürftige Menschen mit Anrecht auf
bestimmte Bankkonditionen vergeben werden und das letzte Drittel über
günstige Kredite einer öffentlichen Bank. Alle Wohnungen sollten an
Menschen aus der Comuna 8 gehen.
Wir biegen von der Bushaltestelle links ab und gelangen durch ein offenes
Türchen in einem Gartenzaun auf das Baustellengelände und an die
siebenstöckigen Gebäude des olympischen Dorfes. Ein Wachmann schläft in der
Sonne auf einem Schreibtischstuhl. Die Häuser sind quasi fertig, es gibt
bunte Platten an den grau-weißen Außenwänden, mal blau, mal grün, mal rot.
Das sieht alles sehr nett aus.
Alejandro Lifschitz sagt, dass die Wohnungen größtenteils noch vor Beginn
der Spiele verkauft werden sollen. Bis Mitte dieses Monats konnten sich
Interessenten tatsächlich online registrieren. Auf der Website heißt es
explizit, man ziele auf „Familien der Mittelklasse“. Nun wird für maximal
50 Prozent der Einheiten Bewohnern der Comuna 8 Priorität eingeräumt,
jeweils 10 Prozent sollen an Polizisten und Dozenten gehen.
## Der neue Olympiapark
Von den Bewohnern der Villas ist keine Rede mehr. Der Preis für die
Wohnungen, die momentan weder über eine Küche noch über einen Gasanschluss
verfügen, liegt deutlich über dem aktuellen Quadratmeterpreis in dieser
Gegend. Nach den Recherchen von Ernesto Rodríguez III sind die Kosten für
das Dorf um 73 Prozent gestiegen, weshalb man letztlich auf den Bau von 164
Wohnungen schlicht verzichtet hat. Rodriguez III erläutert auch, dass für
einige Ausschreibungen „Angebote ausgewählt wurden, deren Kostenvoranschlag
bis zu 20 Prozent über der ausgeschriebenen Höchstsumme“ lag. Den Zuschlag
erhielten nicht selten Firmen, die zuvor die Wahlkampagne von Mauricio
Macri unterstützt hatten. Der ist seit Ende 2015 Präsident Argentiniens,
während in Buenos Aires seitdem sein neoliberaler Parteifreund Horacio
Rodríguez Larreta regiert.
Dieser Mann ist auch dort im Spiel, wo es um den neuen Olympiapark geht.
Der war im Gegensatz zum olympischen Dorf ursprünglich überhaupt nicht
vorgesehen. Doch in der armen Comuna 8 entstehen nun auch fünf neue Hallen,
zwei Hockeyfelder, die Leichtathletikanlage und das Schwimmstadion. Nur 4
der 32 Sportarten finden im Oktober an jenem Ort statt, der im
Bewerbungskonzept 2013 vorgesehen war. Selbst Alejandro Lifschitz sagt:
„Die Spiele, die hier in sieben Monaten stattfinden werden, und die Spiele,
die anfänglich geplant waren, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge, so
als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen.“ Die Ausgaben der Stadt seien
unter anderem deshalb gestiegen, weil man „auf dem Weg entschieden habe,
die Matrix zu verändern und Spiele zu veranstalten, die 100 Prozent
Vermächtnis hinterlassen“. In Absprache und mit Zustimmung des IOC, wie
Liftschitz hinzufügt. Die Frage, warum eine Stadt, in der knapp 20 Prozent
der Bevölkerung als arm oder bedürftig gelten, plötzlich Millionen in
Sportstätten investiert, drängt sich auf.
## Ein enormes Immobilienprojekt
Und damit wären wir wieder beim Cenard, dem Nationalen Zentrum für
Hochleistungssport. Es ist im Vergleich zum olympischen Dorf schon heute
ein Ausflugsziel mit Historie: Die zentrale Sporthalle, Anfang der 1950er
entstanden, trägt seit je den Namen von Carl Diem, einem deutschen
Sportfunktionär und Organisator der Spiele 1936, und auf dem über elf
Hektar großen Gelände versammeln sich Trainingsanlagen, Lehrinstitute,
Internate, Sportmedizin und vieles mehr. Dabei liegt der Cenard nicht
irgendwo weit außerhalb, sondern gleich am Rio de la Plata, mitten im
wohlhabenden Viertel Nuñez im Norden von Buenos Aires.
Die Urbanisierung genau dieses Teils der Stadt ist eines der
Lieblingsprojekte von Rodríguez Larreta. Das Gelände gehört der Stadt, und
der Quadratmeter Wohnraum kostet hier mehr als viermal so viel wie in der
Comuna 8. „Der Paradigmenwechsel zur Errichtung des Olympiaparks vollzog
sich, als Larreta entschied, auf dem Gelände des Cenards Luxuswohnungen zu
bauen“, sagt Ernesto Rodríguez III. Er ist überzeugt, dass die Jugendspiele
nichts weiter sind als ein Vorwand für ein enormes Immobilienprojekt. Die
Werthein-Gruppe, also die Firma des NOK-Präsidenten und argentinischen
IOC-Mitglieds, war übrigens laut eigener Website in der Vergangenheit an
Immobilienprojekten in Nuñez beteiligt.
Die Schließung des Cenard, die OK-Präsident Gerardo Werthein bereits im
Herbst 2016 befürwortete, ist mittlerweile besiegelt. Einen Termin für den
Auszug aus den historischen Stätten in den neuen Olympiapark im Süden der
Stadt gibt es laut Alejandro Lifschitz nicht: „Das hängt auch nicht von den
Organisatoren der Jugendspiele ab, das ist eine Entscheidung des
Sportministeriums.“
Gerardo Werthein mag sich übrigens mit den Jugendspielen nicht
zufriedengeben. Bereits im letzten Jahr erklärte er sie mehrfach zu einer
Art Generalprobe für eine erneute Bewerbung von Buenos Aires für die
Olympischen Sommerspiele 2032.
22 Apr 2018
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