# taz.de -- Feministische Frauenbands der 70er: Diese verdammte Blockflöte

> Sie sind laut. Ende der 1970er Jahre singen junge Frauen über Sex und
> gegen die Norm an. Das klingt noch heute inspirierend und radikal.
Dass junge Frauen in der Öffentlichkeit selbstverständlich und
selbstbewusst, aber auch ironisch über den Geschlechtsverkehr reden und
singen, ist Ende der 1970er Jahre neu. Andrea Bartl, die Sängerin der
Wiener Punkband Plastix, fragt in deren Lied „Geschlechtsverkehr“ ihr
Gegenüber: „Von wo kommen die Leut’ her?“ Sie hat auch gleich eine
überraschende Antwort parat: „Vom Geschlechtsverkehr mit dir!“ Nun gilt es
zu klären, warum die Erzählerin Geschlechtsverkehr haben will: „I bin so
leer. Drum wü I Geschlechtsverkehr mit dir.“

So weit, so gut, das Motiv ist nachvollziehbar. Dann jedoch wendet sich das
Blatt: „I wü nimma mehr den Geschlechtsverkehr mit dir.“ Dass die
Ich-Erzählerin eben noch wollte, nun aber nicht mehr, hat absehbare Folgen:
„Du wunderst di sehr, dass ned gfragt wirst von mir.“ Das ewige Drama der
Menschen: Mal will die eine, der andere aber nicht. Dann wieder ist es
umgekehrt. Das ist auch das Fazit des Refrains: „Der Geschlechtsverkehr,
der haut mi hin und her.“

Um das Jahr 1980 herum sprechen die Sängerinnen von Punkbands aus, was
„man“ nicht laut sagen darf. Viele Konservative wollen nun wieder die Werte
der 1950er installieren. Liebe soll es nur zwischen Männern und Frauen
geben, am besten, sie heiraten vorher. Männer arbeiten. Frauen sollen
Kinder erziehen, das Haus sauber halten und kochen.

Annette Benjamin, die Sängerin der Punkband Hans-A-Plast aus Hannover,
trägt radikal kurzgeschnittene Haare. Sie leiht 1978 einer Ich-Erzählerin
ihre Stimme, die einem „Lederhosentyp“ ihre Liebe erklärt, allerdings in
einem ironischen Tonfall. So entfaltet die Tatsache, dass eine Frau einen
Mann zum Objekt der Begierde erklärt, noch mehr Wirkung: „Ey, ey, ey, du
bist so süß! Ah, komm, lass mich dich berühr’n. Zieh’ doch mal deine
Lederklamotten aus!“

## Zornige in Leder

Das herrschende Geschlechterverhältnis wird in Punksongs wie diesen ohne
jede Rechtfertigung oder Erklärung auf den Kopf gestellt. Dass es sich um
eine sexuelle Befreiung handelt, zeigt sich daran, dass sich die Frauen
nicht nur in Liedern das Recht herausnehmen, zu schlafen, mit wem sie
wollen. Kerstin Eitner verbringt im Jahr 1979 viel Zeit in der Marktstube,
einer Eckkneipe im Hamburger Karolinenviertel.

Als sie wenig später in einem Buchbeitrag auf die Marktstube zurückblickt,
spielen Beziehungen zu Männern eine entscheidende Rolle: „Nur dort konnte
es passieren, dass ich jemanden auflas (das war nicht neu) und am nächsten
Morgen (und das war neu) tatsächlich meinem Gefühl entsprechend hinauswarf
– wunderbar. Das hatte ich mir vorher nie zugetraut.“ Später beginnt sie
eine Affäre mit einem der „jungen Zornigen in schwarzer Lederkluft“, den
sie mit nach Hause nimmt.

Einen Teenager besingt auch die Düsseldorfer Punkband Östro 430. „Sechzehn“
heißt das Stück, so alt ist der Junge, um den es geht. Die Erzählerin fragt
sich, was es bedeutet, dass sie den gierigen Blicken dieses Jungen mehr als
nur etwas abgewinnen kann: „Sonst bin ich immer nur die Coole. Jetzt fühl’
ich mich wie’n Idiot. So wie deine große Schwester und es geht mir gar
nicht gut.“

Die jungen Punkfrauen genießen ihre sexuelle Autonomie, während sich manche
Männer der Szene gern als asexuell präsentieren. Kerstin Eitner hält fest,
dass „die schönen Kühlen“, die an den Wänden der Marktstube lehnen, sich
weder für Liebe noch für Sex zu interessieren scheinen: „Liebe hatte keine
Konjunktur, Sex schien Nebensache zu sein, no future und no fun wurden hoch
gehandelt.“

Das aber ist eine Fassade, hinter der sich Wünsche verbergen, die nicht
ausgesprochen werden: „In der sentimentaleren Phase des Suffs hielt mancher
nicht mit und gestand seine Sehnsucht nach Liebe, aber die meisten hatten
sich fest im Griff.“

## Ernst genommen werden

Während junge Frauen nun über Sex singen und selbst entscheiden, mit wem
sie ihn haben, flüchten sich Männer in die Attitüde, über sexuellen Dingen
zu stehen. Immerhin ist auch das eine Absage an das tradierte Bild des
sexuell allzeit willigen Manns.

Geschlechtliche Unbestimmbarkeit ist im Punk schon sprachlich angelegt:
„Punk“ als Bezeichnung für eine Person hat kein Geschlecht. Ein Punk ist
ein Punk ist ein Punk. Das heißt aber nicht, dass Frauen nicht auch in der
Neuen Welle darum kämpfen müssten, ernst genommen zu werden.

Östro 430 sind von Anfang an als Frauenband konzipiert. Der Name der 1979
gegründeten Combo bezieht sich auf das Hormon Östrogen. Die Zahl 430 ist
der Nahverkehrscode für Düsseldorf Innenstadt. Marita Welling und Bettina
Flörchinger lernen sich beim Medizinstudium kennen, Monika Kellermann und
Martina Weith bei einem Konzert von Nina Hagen, die später in einer
Jugendsendung des ORF auf einer Couch sitzend demonstrieren wird, wie man
als Frau am besten onaniert.

## Ein Probenraum im Keller

Bettina Flörchinger zieht 1977 von Wuppertal nach Düsseldorf. Damals ist
sie mit Marita Welling in der Frauengruppe des Asta an der Universität
aktiv. Dort halten es die beiden aber nicht lange aus: „Da haben wir von
einer Organisation ein Abrisshaus zur Verfügung gestellt bekommen. Marita
und ich machten den Vorschlag, im Keller des Hauses einen Proberaum für
eine Frauenband einzurichten. Da haben die anderen Frauen sich vor Lachen
ausgeschüttet und haben gesagt: Eine Frauenband, wie soll das denn gehen?“

Marita Welling trifft im Ratinger Hof, der Z[1][entrale der Düsseldorfer
Punkszene,] auf [2][Martina Weith] und Monika Kellermann. Kellermann will
eine Frauenband gründen. Und weil Marita und Bettina auch schon über eine
Frauenband nachgedacht haben, nimmt Marita ihre Freundin Bettina bei
nächster Gelegenheit mit in den Ratinger Hof. „Bis dahin hatte ich kaum
Kontakt zu Punk, aber das gefiel mir gut“, sagt Bettina.

„Da musste ich nicht ständig über den Kommunismus und Karl Marx diskutieren
oder über die Frage, ob es den Klitoris-Orgasmus gibt oder nicht. Wir
konnten machen, was wir wollten, und das bedeutete auch, dass wir eine
Frauenband machen konnten. Wir wollten uns nicht aufgrund irgendwelcher
Vorurteile den Schneid abkaufen lassen.“

## Noch nicht mal eine Alibifrau

Der Proberaum von Östro 430 befindet sich im Bunker unterm Kirchplatz in
Düsseldorf. Nebenan probt die Punkband Der KFC. Den eigenen Proberaum
teilen sie sich mit der Band VD. „Wir waren dort die einzigen Frauen, die
hatten noch nicht mal eine Alibifrau in ihren Bands“, sagt Bettina. „Wir
haben mit anderen Bands das Equipment geteilt“, ergänzt Martina, die
Sängerin von Östro 430.

„Aber wie das so ist: Typen können nicht anders als Frauen gegenüber
klugzuscheißen. Das Vorurteil hing immer im Raum: Die kriegen’s eh nicht
hin. Da haben wir gesagt: Und wenn wir hier drei Stunden brauchen, um
rauszufinden, warum der Amp keinen Ton sagt … keiner wäre auf die Idee
gekommen, rüber zum KFC zu gehen und zu fragen.“

Östro 430 kommen ohne Gitarre aus, stattdessen musizieren sie mit E-Piano
und Saxofon. Sie finden keine Gitarristin, die ihre musikalischen Vorlieben
teilt. „Entweder hattest du diese Joan-Baez-Nummer, Abenteuer am
Lagerfeuer, oder die Frauen wussten nicht, wie man die Gitarre hält“, sagt
Martina.

Dass das kein spezifisches Problem der Düsseldorferinnen ist, sondern eins
der musikalischen Sozialisation von Mädchen, macht Brigitte Rohkohl in
ihrem Buch „Rock Frauen“ deutlich, das 1979 erscheint: „Gitarre, Bass und
Schlagzeug sind die wichtigsten Instrumente in der Rock-Musik; Flöte,
Violine, Klavier die traditionellen Mädcheninstrumente. Diese verdammte
Blockflöte! Symbol gefesselter musikalischer Kreativität und individueller
Ausdruckskraft – sie müsste für Mädchen verboten werden! Sie zwingt zum
artigen Musizieren. Der Körper wird ausgeschaltet, die untere Partie spielt
überhaupt nicht mit. Anmutiges Wiegen des Köpfchens – immer schön leise und
zart, dass nur kein Ton daneben geht, sonst klingt sie unrein. Begrenzter
Umfang, zwei Oktaven – nicht gerade sehr dynamisch. Sinnbild des
eingeschränkten Aktionsradius kleiner Mädchen.“

## Klavier, Blockflöte, Akkordeon

Kleenex aus Zürich sind eine der ersten Punkbands im deutschsprachigen
Raum. Auch diese jungen Frauen wurden auf traditionelle Weise musikalisch
sozialisiert: Klavier, Blockflöte, Akkordeon. Ihr Lied „Nice“, das 1978
entsteht, handelt von Pudeln: „Sie denken, was du denkst. Sie sagen, was du
sagst. Rosarot, das mögen sie. Hellblau, das tragen sie.“

Hellblau sind die Kleider, die man männlichen, rosarot die Kleider, die man
weiblichen Pudeln, aber auch Kleinkindern anzieht. Die wenigen Babys, die
weder eindeutig das eine noch das andere sind, werden schnell nach der
Geburt operiert, damit man sie nachher hellblau oder rosarot anziehen kann.
Gesellschaftliche Normalität – „sie denken, was du denkst“ – wird zuerst
durch festgefügte Geschlechterrollen hergestellt.

Wer 1979 als Punk durch die Gegend läuft, provoziert. Martina Weith sagt:
„Ja, das hat Spaß gemacht: Provozieren macht in dem Alter doch super Spaß.
Ich bin jemand, der schnell aus der Haut fahren kann. Ich hab da so ein
Potenzial. Woher diese Wut kommt, weiß ich genau, das sind Sachen aus
meiner Kindheit. Andere Leute machen Kampfsport, wir haben eine Band
gehabt.“

„Das war eine Sache, die Punk einem ermöglichte“, bestätigt Bettina
Flörchinger. „Dass man auch als Frau in der Öffentlichkeit Dampf ablassen
konnte. Wir konnten uns so schlecht benehmen, wie wir wollten, wir konnten
saufen, so viel wir wollten. Oder, um ein Extrembeispiel zu nennen, mal
jemandem ein Bierglas an den Kopf werfen. Jungs anmachen, wenn uns der Sinn
danach stand.“ Östro 430 kultivieren ihr Punkimage mit Humor und singen:
„Weiber wie wir, Randale und Bier!“

## Erste Jeans mit elf

„Meine Eltern sahen mich zwar auch gerne im Röckchen, und meine erste Jeans
hab ich mit elf gekriegt“, erzählt Martina Weith. „Aber ich habe von meinen
Eltern nie gehört: ‚Ein Mädchen kann das nicht.‘ Mein Vater hat mir zum
Beispiel früh beigebracht, wie man sein Fahrrad selber flickt. Meine Mutter
war schon emanzipiert, soweit das damals möglich war.“

Bei Bettina ging es traditionell zu. „Mein Vater war sehr katholisch und
hatte strenge Vorstellungen davon, was ein Mädchen tun darf und was es
nicht tun darf“, sagt Bettina. „Ich bin einen Tag nach meinem Abitur von zu
Hause ausgezogen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich bin mit
meinem Freund zusammengezogen, und als er sich von mir getrennt hat, war
die erste Frage meines Vaters: ‚Ja was machst du denn jetzt? Du bist ja
jetzt keine Jungfrau mehr.‘ Das war sein Hauptproblem.“

Die jungen Frauen wollen selbstbestimmt leben. Bettina Flörchinger sagt:
„Wir waren in dem Alter, wo man das alles mal austesten muss. Für mich war
das die große Freiheit. Da wir die Pille hatten, hatte man natürlich, wenn
es nicht gut lief in einer Beziehung, auch die Möglichkeit zu sagen:
Verzieh dich. Der Nächste bitte. Kucken wir mal, wie es mit dem läuft.“

So zu leben, ist das eine, darüber zu singen das andere. „Das war ein
Tabuthema“, meint Bettina. „Das sind alles Sachen, die gesagt werden
müssen“, sagt Martina. Wer das aber tut, wird im bundesdeutschen Radio im
Jahr 1980 nicht gespielt.

## Erfolg im Frauenbuchladen

In den Frauenbuchläden ist das erste Album von Östro 430 dagegen ein Hit.
„Eben weil wir so einzigartig waren und weil wir diese Wörter in den Mund
genommen haben“, sagt Martina. „Aber die Erfahrungen, die wir in diesen
Cliquen gemacht haben, nee! Es machte in Düsseldorf ein Frauencafé auf. Da
gab es nur Tee und Kuchen. Ich dachte nur, was ist denn das für ein
komischer Laden? Mit Spitzendeckchen, also allen Klischees, von denen sich
Frauen eigentlich freimachen wollten. Da haben wir ein bisschen lauter
gefragt: Wieso habt ihr denn kein Bier? Dann haben wir Lokalverbot
gekriegt.“

Das Frauenbild der Frauenbewegung der 1970er ähnelt dem überkommenen
patriarchalischen Frauenbild: Frauen stricken, sind leise und trinken Tee.

Östro 430 lösen sich auf, als Bettina Flörchinger mit ihrem praktischen
Jahr als Ärztin beginnt. Sie wird Gynäkologin, was Anfang der 1980er Jahre
für Frauen nicht einfach ist. „Ich bekam Absagen, in denen es hieß: 'Haben
Sie schon mal darüber nachgedacht, Anästhesistin oder Kinderärztin zu
werden?“, erzählt Bettina. „Einer meiner Chefärzte sagte seiner Tochter,
die Medizin studierte: ‚Gynäkologie ist kein Fachgebiet für eine Frau.‘ Das
sei zu hart für Frauen.“

Das sind die frühen 1980er Jahre: Frauen sollen keine Bands gründen und
nicht als Gynäkologinnen arbeiten. Für sie sind das Spiel auf der
Blockflöte und die Arbeit als Anästhesistin vorgesehen.

12 Mar 2023

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## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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