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Hamburg taz | Ins Hamburger Rathaus kommt man durch schwere hohe Türen. Die
Rathausdiele ist ein großer Raum mit viel Stein, ausladenden
Treppenaufgängen und einem kleinen Springbrunnen. Es hallt und plätschert.
Jedes Jahr zeigt die [1][Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur
Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen] hier eine Ausstellung, immer um
den Holocaustgedenktag am 27. Januar. Dieses Jahr geht es um „Rechte Gewalt
in Hamburg von 1945 bis heute“. Zum ersten Mal beschäftigt sich die
Ausstellung auch mit der Gegenwart.
„Der Ort war schon wichtig – ins Herz der Stadt“, sagt Alyn Beßmann-Šišić
von der Stiftung. Sie hat die Ausstellung kuratiert, mit ihrem Kollegen
Lennart Onken und in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Andreas Speit,
[2][der auch für die taz arbeitet].
„Die Ausstellung beginnt mit den Menschen, die in Hamburg ermordet worden
sind“, sagt Speit. Es sind fünf Namen – [3][Nguyen Ngoc Châu und Đo Anh
Lân], Mehmet Kaymakçı, [4][Ramazan Avcı] und [5][Süleyman Taşköprü] – mit
fünf Geschichten. Es sei wichtig, nicht nur über Täter zu sprechen, sagt
der Rechtsextremismusexperte.
## Der jüngste Fall ist keine vier Monate alt
Ihre Geschichten finden sich auf Aufstellern, die um die Säulen der
Rathausdiele herum angeordnet sind. Besucher:innen können sich so durch
den Raum lesen, Jahrzehnt für Jahrzehnt, zur Geschichte rechtsextrem
motivierter Gewalt seit 1945 – zu den Opfern und den Tätern.
Der jüngste Fall ist keine vier Monate alt. Eine knappe Notiz beschreibt,
wie am 23. Oktober 2023 rund 40 Jugendliche in Hamburg-Harburg randaliert
sowie rechtsextreme und antisemitische Parolen gesprüht haben. Einem
Lokalsender sagte einer der Jugendlichen: „Ich wünsche mir Adolf Hitler
zurück. Vergast die Juden!“
„Wir konnten für die Ausstellung nicht systematisch forschen, sondern haben
angefangen in Presseartikeln und Antifa-Archiven zu suchen und geguckt, was
zusammenkommt“, sagt Alyn Beßmann-Šišić.
Am Ende hätten sie rund 500 Fälle rechter Gewalt in Hamburg gesammelt, von
denen einige in der Ausstellung dokumentiert sind. Auch wenn die drei
Kurator:innen sich schon lange mit dem Thema auseinandersetzen, sei man
über die Anzahl erschrocken gewesen, sagt Beßmann-Šišić. „Als wir
angefangen haben, war uns nicht klar, was uns entgegenschlagen würde.“
Zum Hamburger Selbstverständnis gehöre, dass man weltoffen und liberal ist,
sagt Andreas Speit. „Aber die Geschichte zeigt, dass es hier sehr früh
eine militante rechtsextreme Szene gab“.
Im Jahr 2019 prägte der Zeit-Redakteur Christian Bangels für die 1990er
nachträglich die Bezeichnung „Baseballschläger-Jahre“. Der Begriff wird
seither oft synonym für das Jahrzehnt in den ostdeutschen Bundesländern
verwendet. Überhaupt denken wohl viele beim Stichwort rechte Gewalt zuerst
an die 1990er, im Osten.
„Die Baseballschläger-Jahre fanden in Hamburg in den 80ern statt“, sagt
Speit, „nur eben nicht im kollektiven Gedächtnis.“ Die Ausstellung erzählt
von diesem Jahrzehnt, in dem es nahezu täglich Angriffe, besonders auf
Migrant:innen gegeben hat. „Vieles ist unter dem Thema ‚Jugendgewalt‘
verbucht worden“, sagt Speit. Es gebe eine Fülle von rechts motivierten
Taten, „wenn man erst mal genau hinschaut“, sagt Beßmann-Šišić.
## Drastischer Anstieg schon vor dem 7. Oktober
Im vergangenen Herbst ergab eine kleine Anfrage der Hamburger
Linksfraktion, dass rechte Straf- und Gewalttaten im dritten Quartal 2023
im Vergleich zum Vorjahr deutlich häufiger geworden sind – schon vor dem 7.
Oktober, dem Massaker der Hamas, nach dem antisemitische Straftaten
drastisch zunahmen.
Nur einen Tag nach der Eröffnung am 19. Januar war „bis heute“ plötzlich
sehr nah: Nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt demonstrierten
180.000 Menschen unter dem Motto „Hamburg steht auf“ gegen
Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke.
Wie die Kurator:innen auf die aktuellen Proteste gegen die AfD blicken?
„Erfreut“, sagt Andreas Speit. Allerdings sei es wichtig, rechte Gewalt
immer im Kontext zu betrachten. „Rassismus in der Mitte der Gesellschaft
ist immer Beschleuniger für rechtsextreme Gewalttäter.“ Daher müssten
Ressentiments und Rassismus der ganzen Gesellschaft in den Blick genommen
werden. „Wir müssen über uns selber nachdenken“, sagt Speit.
10 Feb 2024
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