# taz.de -- Die Wahrheit: 20.000 Meilen unter dem Meer

> Weit, weit unten, da regnet es nicht: Deep Sea Mining ist gerade so was
> von hip. Wir gehen dem mal auf den Grund.

Glück auf, der Steiger schwimmt“, grüßt uns ein bizarres Tiefseewesen mit
fluoreszierendem Leuchtorgan am Grubenhelm. Es erinnert ein wenig an Franz
Müntefering, guckt aber freundlicher. „Glück ab, der Schwimmer steigt“,
funken wir zurück und winken mit der Heckflosse unseres Unterseebootes.

Wir befinden uns auf Schleichfahrt durch die unergründlichen Weiten des
Pazifiks. Aus dem Abgrund eines Tiefseegrabens erhebt sich ein gewaltiger
Schlot. Doch was zunächst aussieht wie ein „Schwarzer Raucher“ – eine
Quelle am Meeresgrund, die Wolken mineralhaltiges Wassers speit –, entpuppt
sich bei näherem Hinsehen als gemauerter Malakoffturm einer Zechenanlage.
Daneben steht – etliche Kilometer unter der Meeresoberfläche – eine
Pommesbude. Auch die Schnellgastronomie ist auf keiner Karte des
Tiefseegebietes „Hadopelagial Wattenscheid II“ verzeichnet, sogar auf
Google findet sich lediglich eine Rezension.

Neben der Pommesbude erhebt sich die Schachtanlage von „Prosper Nemo“, dem
einzigen deutschen Unterseebergwerk. Bislang war die Buddelei streng
geheim, aber nachdem Norwegen in arktischen Gewässern offen nach Kobalt,
Kokain oder Kalamari schürft, quengelte der Bundesverband der Deutschen
Industrie (BDI) im Kanzleramt herum, bis Bundeskapitän Olaf die
neunschwänzige Katze aus dem Sack ließ.

„Machen wir längst! Doppelwumms am Meeresgrund mit Bazooka und Aloha“,
orakelte der letzte Tentakel der deutschen Sozialdemokratie und zog eine
Schatzkarte aus dem Buddelschiff der Tiefsee-Explorer. Wo das Kreuz gemalt
ist, wachsen am Meeresgrund gesunde Mangan-Knollen und andere Wurzelgemüse
aus Nickel, Titan und Lithium, die der verschnupften deutschen Wirtschaft
auf die Beine helfen sollen.

## Lizenz für tief untenrum

Bereits 2006 hatte die Bundesregierung die Bergbaulizenz für tief untenrum
in der Clarion-Clipperton-Bruchzone zusammen mit einer Einliegerwohnung in
Atlantis und dem Original-Yellow-Submarine der Beatles erworben. Damals
wusste das Kabinett einfach nicht, wohin mit all dem Geld, das in die
Steuerkasse sprudelte, und entschied sich für Versenken.

Doch jetzt ist Deep Sea Mining hip und außerdem wirtschaftlich wie
ökologisch absolut vertretbar. Wenn auf dem Festland Russe und Chinese
feixend auf den Rohstoff-Kavernen hocken, muss der Wilde Westen eben in der
Tiefsee Einzug halten.

Die Schürfrechte wurden bei tumben Tümmlern für eine Handvoll Korallen
abgefischt, im Gegenzug drehten Piratennester wie Tonga und Tortuga
Landratten wertlose Claims an, auf denen nicht mal Miesmuscheln wachsen.

Wir passieren eine Schleuse zum Werksgelände der „Prosper Nemo“ und werden
von einem sozialdemokratischen Kiemenmenschen begrüßt. „Hömma, kumma,
woll!“, radebrecht das lebende Fossil, das sich als „Betriebsführer
Schwielowski“ vorstellt. An Land sind solche urtümlichen Malocher längst
ausgestorben. Mit ihren mächtigen Scheren knacken Arbeiter die Luke unseres
U-Boots auf. Auf der knochentrockenen Scholle des Kapitalismus werden sie
erbarmungslos ausgebeutet, weil ihre Arbeitskraft noch immer als
Delikatesse gilt. Doch im unterseeischen Habitat blüht das aquatische
Proletariat. Wir sehen riesige Schwärme, sogar eine vollzählige
Arbeiterklasse zieht majestätisch an uns vorbei.

Die Verständigung mit dem Betriebsführer gestaltet sich allerdings
schwierig. Immer wieder stülpt der sozialdemokratische Kiemenmensch den
Saugrüssel aus, um uns seiner Gewerkschaft einzuverleiben, erst als wir ihm
ein paar neoliberale Heringe in den Schlund werfen, lässt er von uns ab.

Schließlich führt uns Schwielowski watschelnd in die Mine. Mit dem Aufzug
geht es etliche Stockwerke hinab, wir passieren die Höllenkreise eins bis
neun, eine Tiefgarage für Nazi-Ufos und den Freistaat Agartha, bis wir im
letzten Untergeschoss anlanden.

## Sohle mit Soul

Mittlerweile befinden wir uns 20.000 Meilen unter dem Meer, doch hier auf
der tiefsten Sohle sieht es aus wie in einer Kleingartenkolonie des
versunkenen Ruhrpotts. Westfalia-Herne- und Rot-Weiss-Essen-Fahnen wehen
über selbstgezimmerten Hütten, darunter wird Skat gekloppt und lecker Pils
getrunken. Die Herren tragen Schiebermütze und Feinripp, die Damen
Kittelschürze zur ondulierten Wasserwelle, Kinder fahren mit Topfschnitt
auf Bonanzarädern herum. Doch sogar die ausgewachsenen Exemplare der
Stollenbewohner reichen uns bloß bis zur Hüfte. Das sind also die
sagenumwobenen „kleinen Leute“, von deren Wohlfahrt in politischen Märchen
so viel fabuliert wird. Wir winken den Winzlingen zu und ernten
vielstimmiges „Glück auf!“

Beim Marx- und Engelshai! Auch das sind alles Genossinnen und Genossen!
Wenn in dieser unterseeischen Arbeitersiedlung am nächsten Sonntag Wahlen
wären, würde Olaf der Aussichtslose (SPD) mühelos die absolute Mehrheit
ernten.

In diesem Moment ploppt eine Eikapsel an der Stollendecke auf. Heraus
schlüpft ein Bündel servierfertiger Sozialdemokraten mit Elbseglern auf
ergrauten Seitenscheiteln. „Moin“, blubbern die blutjungen Fossile und
treten noch blind in die Partei ein.

Aus einem anderen Gelege schälen sich tausende von beinahe durchsichtigen
DGB-Referentinnen mit frechen Brillen und betriebsbereiten Doppelnamen.
Sie halten eine Urabstimmung ab und suchen Schutz unter dem Schirm der
Gewerkschaft, den der Kiemenmensch ausfährt.

„Hier wird kein Rohstoff gewonnen, sondern ein gigantisches Wählerreservoir
für die Sozialdemokratie herangezüchtet“, schließen wir messerscharf, da
wir erkennen, wie rastlose Aktentaschenkrebse mit Eppler-Bärten die Brut in
Transportkisten verpacken. Sie sind mit den Namen von Wahlkreisen versehen,
in denen die Kanzlerpartei zuletzt besonders schlecht abgeschnitten hat. Es
sind wirklich sehr viele Kisten. Kiemenmensch Schwielowski lächelt
entschuldigend, jedenfalls bewegt er seine Mundwerkzeuge, dann stülpt er
seinen Saugrüssel aus.

An einem Strand der Emscher erwachen wir aus tiefer Ohnmacht. Aus unseren
Aufnahmegeräten tropft Salzwasser, für die finsteren Machenschaften des
Kanzleramts im Deutschen Ressourcen-Forschungsgebiet am anderen Ende der
Welt können wir keinerlei Beweise vorlegen.

Niedergeschlagen fragen wir einen alten Angler nach dem Rückweg in die
Zivilisation, doch er kennt bloß den Weg nach Bottrop. Entschuldigend
lächelt er uns an, jedenfalls bewegt er seine Mundwerkzeuge. Es ist längst
zu spät. Bei der kommenden Bundestagswahl hat Friedrich Merz nicht den
Hauch einer Chance.

2 Nov 2024

## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Die Wahrheit
Tiefseebergbau
Jacques-Yves Cousteau
Olaf Scholz
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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Osten
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