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Dresden taz | Mag das äußere Erscheinungsbild Lothar Königs mit Vollbart
und wehendem Haar auch an Bhagwan oder einen Guru erinnert haben, sein
Wesen entsprach überhaupt nicht dem Klischee eines Lehrmeisters und
Besserwissers. Der Pfarrer wirkte vielmehr wie die lebendige Illustration
des Wortes aus dem Matthäusevangelium „Der Größte unter euch soll euer
Diener sein“. Was nicht im Widerspruch zu einem deutlichen charismatischen
Profil steht, zu „Fronteinsätzen“ gegen Ungerechtigkeit und rechten Pöbel.
[1][Seit Montag lebt Lothar König nur noch als Denkmal fort.] Das teilte
das wohl bekannteste seiner vier Kinder mit, die Thüringer
Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, selbst schon zu einer
antifaschistischen Institution gereift. Nur 70 Lebensjahre waren ihm
vergönnt, seit 2019 befand er sich formal im Ruhestand.
[2][Es sah nie so aus, als könne er jemals in einen solchen Ruhezustand
gelangen.] Der Eingangsvergleich mit spiritistischen Idolen ist nicht ganz
abwegig, denn sie wurden in jener 68er-Aufbruchsära verehrt, die auch den
pubertierenden Lothar prägten. Wenn man ihn später in der evangelischen
Jungen Gemeinde am Jenaer Holzmarkt besuchte, umwehte einen scheinbar
unverändert dieses Flair von Flower-Power, leidenschaftlicher Ahnung von
der Besserungsfähigkeit des Menschen und eine Mischung aus Jenseitigkeit
und diesseitiger Genussfreude. Meistens qualmte aus dem Haardickicht ein
Stängel, und der „Herr Pfarrer“ konnte sich auch ganz kumpelhaft
zurücklehnen.
Fast 30 Jahre ab 1990 war König der schulterklopfende König dieser Jungen
Gemeinde. Was allein kaum überregionale Nachrufe auslösen würde, hätte er
nicht darüber hinaus von sich reden gemacht, ohne sich inszenieren zu
wollen. In Nordhausen im Südharz in der Schule schon, wo Renitenz und
Sympathien für den „Prager Frühling“ zum Zwangsabschluss nach zehn Jahren
führten. Abitur wurde ihm verwehrt.
Lothar König wurde Diakon und studierte ab 1977 evangelische Theologie in
Erfurt und Jena. Seit 1986 baute er als Pfarrer eine Junge Gemeinde in
Merseburg auf. Die Staatssicherheit versuchte vergeblich, ihn zu zermürben
und aus dem Amt zu drängen. Dennoch hätte er sich 1989 eine reformierte und
demokratisierte DDR gewünscht.
Nach dem schon während des SED-Regimes praktizierten Prinzip der offenen
Jugendarbeit und in christlicher Empathie versuchte er nach 1990 in Jena
Punks, Linke und die wachsende rechte Szene friedlich zusammenzubringen.
Neonazis aber verletzten Tochter Katharina schon 1993. Vater Lothar trug
lebenslang eine Kopfnarbe, die ihm 1997 ein Burschenschafter beigebracht
hatte. Ein Wendepunkt weg von der Akzeptanz zum Kampf gegen die reaktionäre
und zunehmend faschistische Szene.
Die Jenaer Polizei aber durchsuchte 1996 die Junge Gemeinde, um Pfarrer
König Drogenhandel nachzuweisen. Auch ein Signal für spätere Verfolgungen
von Amts wegen. Der Hauptfeind steht immer links. Es war nicht mehr die
SED, die den unbequemen Pfarrer kaltstellen wollte. Der Jenaer
Oberbürgermeister Peter Röhlinger (FDP) beispielsweise forderte damals den
Landesbischof auf, König zu versetzen.
Der aber fuhr unbeirrt 2007 mit dem legendären „Lauti“, einem fossilen
VW-Bus mit Lautsprecheranlage, nach Heiligendamm zu Protesten gegen den
G8-Gipfel, begleitet von jugendlichen Engagierten. Gewaltlos und
deeskalierend. So wie am 19. Februar 2011 nach Dresden, wo die Proteste
gegen den Nazi-Missbrauch des Dresdner Gedenkens an die Zerstörung 1945 in
Straßenschlachten ausuferten.
[3][Der Versuch, König daraufhin linksextremistische Tendenzen zu
unterstellen und ihn wegen schweren Landfriedensbruchs anzuklagen,] geriet
zu einem peinlichen Kapitel für die sächsische Justiz. 2014 wurde der
[4][Prozess nach Fehlern, Falschaussagen und ergebnislosen Videobeweisen
gegen Zahlung einer Geldauflage] eingestellt. Verteidiger war damals der
legendäre taz-Anwalt Johnny Eisenberg. Dem sensiblen Lothar König ging das
Verfahren nahe. Als wirklichen Freispruch empfand er die Einigung nicht.
„Mir geht es dreckig“, raunte er damals.
Das hinderte ihn nicht, auch weiterhin gegen die AfD und für den Schutz von
Geflüchteten durch Kirchenasyl auf- und einzutreten. Was zur Folge hatte,
dass Morddrohungen gegen ihn und Tochter Katharina nicht abrissen.
„Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört
das Himmelreich“, heißt es in den Seligpreisungen des Matthäusevangeliums.
Doch das himmlische Establishment sollte sich in Acht nehmen. Wenn einer
wie Lothar König kommt, entdeckt er auch dort bestimmt verbesserungswürdige
Schieflagen.
22 Oct 2024
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