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Göttingen taz | Osloß im Landkreis Gifhorn: Das Dorf liegt an der Aller und
knapp zehn Kilometer nordwestlich von Wolfsburg, hat rund 2.000 Einwohner,
im Gemeinderat verfügt die SPD über eine Zweidrittelmehrheit. Es gibt eine
Grundschule und einen Kindergarten, die Freiwillige Feuerwehr und einen
Sportverein – viel mehr los ist hier sonst nicht. Ein Hort des Verbrechens
sei der Ort jedenfalls nicht, sagt der sozialdemokratische Bürgermeister
Axel Passeier: „Hier ist es ziemlich ruhig. Natürlich kommt mal ein Kürbis
oder ein Blumentopf weg, aber mehr nicht.“
Und auch Christoph Nowak, Sprecher der Polizeiinspektion Gifhorn, erklärt:
„Osloß ist nun wirklich kein Brennpunkt für erhöhte Kriminalität.“
Tatsächlich taucht Osloß beispielsweise bei gemeldeten Wohnungseinbrüchen
oder Körperverletzungen im Presseportal der Polizei in diesem Jahr
überhaupt noch nicht als Tatort auf. Im Vorjahr gab es dem Portal zufolge
zwei Einbrüche, eine Körperverletzung im Rahmen eines Paarstreits, einmal
schoss ein Mann mit einer Schreckschusswaffe in die Luft.
Scheinbar ganz anderer Ansicht, was die Sicherheit in Osloß angeht, sind
die anonymen Verfasser und Verteiler von Flugblättern und Plakaten, die zur
Bildung von [1][Bürgerwehren] aufrufen. Die Flyer mit der groß gesetzten
Überschrift „Oslosser Bürger gehen Patrouille“ klebten in den vergangenen
Tagen an Laternenmasten, Mülleimern und einigen öffentlichen Gebäuden wie
dem Feuerwehrhaus. Die Adressaten des Appells, also wohl die Einwohner,
sollen Streife gehen, Auffälligkeiten melden und für Ordnung sorgen.
Statt eines Impressums oder Absenders ist auf den Flugblättern der
Telegram-Kanal #Sicherer.Ort.Osloss angegeben. Wer ihn aufrufen will,
landet allerdings im Nichts.
## Alles friedlich im Dorf
„Was soll das?“, fragt sich Bürgermeister Passeier. Hätte er einen
Ansprechpartner, könnte er auf diesen zugehen und mit diesem über die
Beweggründe für den Bürgerwehr-Aufruf sprechen. „Aber so?“ Gleichwohl
äußert Passeier eine Vermutung: Die unbekannten Flugblattschreiber wollten
wohl diffuse Ängste schüren, eventuell auch im Zusammenhang mit den etwa 50
im Dorf lebenden Geflüchteten. Dabei gebe es keinerlei nennenswerte
Probleme mit der Integration.
Die Publizistin und Politikwissenschaftlerin Nina Bust-Bartels, die selbst
ein Buch über Bürgerwehren geschrieben hat, kann ebenfalls nur Vermutungen
anstellen, wer hinter den Flugblättern steckt. „Ich könnte mir vorstellen,
dass es eine rechtsextreme Gruppierung war, die mit diesem Flyer gezielt
Unsicherheit verbreiten wollte“, sagte sie dem NDR.
Diese Rechten würden sich aber nicht selbst als Verfasser outen: „Es hat
natürlich eine viel größere Legitimation, wenn scheinbar normale
Bürgerinnen und Bürger dazu aufrufen, eine Bürgerwehr zu gründen.“
Bürgerwehren werden gezielt von [2][rechtsextremen Akteuren] genutzt, sagt
Bust-Bartels. Rechtsextreme würden auf diese Weise das Gewaltmonopol des
Staates infrage stellen und ein Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung
befördern.
Direkt nach dem Auftauchen der Flyer hat Bürgermeister Passeier die Polizei
eingeschaltet, die nun gegen Unbekannt ermittelt. Auch der Staatsschutz sei
mittlerweile involviert, so Polizeisprecher Nowak. Er betont, dass allein
der Aufruf in den Flyern und Plakaten noch keine Straftaten darstellt. Es
komme darauf an, ob und wie diese Ankündigung umgesetzt werde.
Rechtlich darf eine Nachbarschaftswache oder Bürgerwehr zwar „auf Streife
gehen“ und die Umgebung beobachten – mehr allerdings auch nicht. Als privat
organisierter Gruppe stehen ihr keine Sonderrechte zu, sondern lediglich
die auch jedem anderen Bürger zustehenden Befugnisse. Das heißt: Wer eine
Straftat beobachtet, darf dem Opfer Nothilfe leisten und ihm helfen, sich
gegen Täter zu verteidigen. Zudem gestattet das „Jedermann“-Festnahmerecht
es, eine andere Person unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne
richterliche Anordnung vorläufig festzuhalten.
22 Oct 2024
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