# taz.de -- Verschärfte Asyldebatte in Polen: Premier Tusk verliert die Geduld

> Polen eskaliert bewusst die Asyl- und Migrationsdebatte vor dem kommenden
> EU-Gipfel. Statt nationaler Alleingänge setzt Tusk auf EU-Lösungen.
Warschau taz | Polens liberalkonservativer Premier Donald Tusk wollte Ende
vergangener Woche urplötzlich und medienwirksam [1][das Asylrecht in Polen]
aufheben – „zeitlich und territorial“ – und sorgte für heftige Kritik.
Nicht nur die Koalitionspartner seiner Bürgerkoalition (KO), die
christdemokratische „Polska 2050“ und die gemäßigte Linke, fühlten sich
überrumpelt. Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland warfen ihm
vor, die Menschenrechte verletzen, zahlreiche internationale Verträge und
sogar die Verfassung Polen brechen zu wollen.

Doch am Dienstag, als alle Minister sich zur Kabinettssitzung trafen und
die „Polnische Migrationsstrategie für die Jahre 2025 bis 2030“ auf der
Agenda stand, blieb die Öffentlichkeit außen vor. Das Wort führte dort
nicht Tusk, sondern der für die neue Strategien zuständige Minister.

In Polen wie im Ausland spekulierten politische Beobachter, warum Tusk
jetzt die große Gefahr beschwor, die [2][für Polen von „illegalen
Geflüchteten“ an der belarussischen Grenze ausgeht.] Und warum sich Tusk
als großer Retter inszenierte: einerseits vor dem russischen Präsidenten
Putin und dem belarusischen Präsidenten Lukaschenko, die Geflüchtete aus
Afghanistan oder Somalia auf die Belarus-Route locken und über die Grenze
zu den EU-Staaten Polen, Litauen, Lettland und Estland treiben. Und
andererseits vor der EU, die mit dem bereits verabschiedeten Migrationspakt
für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Geflüchteten sorgen will.
Zahlen und Umfragen legen eigentlich nahe: Die Lage an der Ostgrenze
beruhigt sich.

## Tusk will Widersacher mit eigenen Waffen schlagen

[3][Tusk greift seit dem Wahlsieg seiner Dreierkoalition] vor einem Jahr
gerne auf Schlagworte zurück, wie man sie zuvor vor allem vom
rechtspopulistischen Parteichef der Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław
Kaczyński, kannte. Insbesondere dann, wenn er seinen politischen
Widersacher mit dessen eigenen Waffen schlagen kann. Das ist ihm am
Wochenende gelungen: denn am Samstag fand nicht nur der KO-Parteitag statt,
sondern auch der lange vorbereitete Vereinigungsparteitag der PiS mit der
rechtsextremen Kleinpartei „Souveränes Polen“. Unter „normalen Bedingungen“
hätten die Medien vor allem über die Opposition berichtet.

Mit seinen populistischen Asyl-Slogans manövrierte Tusk seine politischen
Widersacher ins mediale Abseits. Mehr als ein paar dürre Meldungen
erschienen nicht zu Kaczyński & Co. Aber auch außenpolitisch wollte Tusk
mit viel Wirbel auf die Lage an der Nato- und EU-Ostfront aufmerksam
machen. Seit Tagen wettern er und die polnischen Abgeordneten der
Europäischen Volkspartei (EVP) gegen die Kontrollen an den deutschen
Grenzen.

Statt [4][die Binnengrenzen des Schengenraums] zu kontrollieren und damit
die Freizügigkeit der EU-Bürger einzuschränken, sollten die Deutschen
lieber mithelfen, die EU-Außengrenzen zu schützen. Ganz uneigennützig ist
diese Kritik nicht, schickt Deutschland doch tueller Geflüchtete, die über
Polen ins Land kommen, wieder nach Polen zurück, wo sie dann als
Asylbewerber registriert werden müssen. Durch diese Eskalation – wenn die
Deutschen die Schengen-Regeln brechen, setzen wir eben das Asylverfahren
aus – versucht Tusk das Problem auf EU-Ebene zu hieven. Das könnte
gelingen, soll doch beim EU-Gipfel in ein paar Tagen das Migrationsthema
auf der Agenda stehen.

## Öffentlicher Debatte vorgreifen

Mit der Ausarbeitung der polnischen Migrations- und Asyl-Strategie
beauftragte Tusk vor knapp einem Jahr den Migrationsforscher Maciej
Duszczyk von der Universität Warschau. Nach seinem Zeitplan sollte jetzt
die Phase der Beratungen beginnen. Tusk wollte der öffentlichen Debatte
wohl vorgreifen und griff sich eine der möglichen Maßnahmen im hybriden
Krieg an Polens Ostgrenze heraus: die zeitlich und territorial beschränkte
Aufhebung des Asylrechts, wie sie vor wenigen Monaten bereits das finnische
Parlament beschlossen hat. Weder die EU-Kommission noch das Europäische
Parlament haben bislang reagiert. Initiator war die rechtsextreme Partei
„Die Finnen“.

Sollten Polen und weitere Staaten dem Beispiel Finnlands folgen, wird es
das Schengen-System und die Freizügigkeit der EU-Bürger nicht mehr lange
geben. Das weiß Tusk natürlich.

15 Oct 2024

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## AUTOREN
Gabriele Lesser
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