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Vom Notkader ist in diesen Tagen vermehrt die Rede, weil Julian Nagelsmann
für die beiden Länderspiele gegen Bosnien und Herzegowina und die
Niederlande sieben Spieler ersetzen muss. Vor einem Jahr, als der
Bundestrainer [1][am 14. Oktober 2023 seinen Einstand gab], übernahm er
eine Mannschaft, die unabhängig von der Zahl der Spieler, die zur Verfügung
standen, als Notkader betrachtet wurde. Die Angst vor einer weiteren
Blamage ging um – und das auch noch bei der Heim-EM.
Jüngste Berichte aus der Mannschaftskabine zeugen von einer völlig anderen
Gefühlswelt. Allen Ausfällen zum Trotz lautet die Botschaft von Nagelsmann
an seine Spieler: „Die Gegner müssen wieder Angst vor uns haben.“ Siege
müssten eine Selbstverständlichkeit sein, damit man in zwei Jahren
Weltmeister werde. Die Bild-Zeitung zitierte mal wieder aus einer
„Geheim-Ansprache“.
Vor einem Jahr wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, es war nur noch Arbeit
auf Sicht angesagt. Wegen der unsicheren Lage wollten sich sowohl der DFB
als auch der junge Vereinstrainer Nagelsmann nicht länger als ein
Dreivierteljahr bis nach der EM aneinander binden. Die nun einjährige
Amtszeit weist also schon auf den unerwarteten Erfolg von Nagelsmann hin.
Seine Bilanz ist eindrücklich.
Das erste Lob, das Nagelsmann für sein Team nach den ersten beiden Partien
gegen die USA und Mexiko übrig hatte, war wohlwollend auf deren steile
Lernkurve gemünzt. Kurz darauf, als nach mangelhaften Auftritten gegen die
Türkei und Österreich alle Kurven nach unten zeigten, war das Wohlwollen
der deutschen Medien und Fans gegenüber dem neuen Trainer schon wieder
aufgebraucht.
## Kapriziöse Einfälle
Die steile Lernkurve von Julian Nagelsmann sollte nun zum Schlüssel des
Erfolgs werden. Fiel er anfangs noch, wie von nicht wenigen befürchtet, mit
kapriziösen Einfällen auf, den Stürmer Kai Havertz etwa auf die
Außenverteidigerposition zu versetzen, verzichtete er recht schnell auf
vermeintliche taktische Geniekniffe und verwandelte sich binnen kürzester
Zeit zum Oberpragmatiker. Wiederberufung [2][des Stabilitätsankers Toni
Kroos], klare Rollenzuweisungen, einfache Ansagen, eine Schwerpunktsetzung
auf Teambuilding und Mentalitätsstärkung zeitigten schnell die ersten
positiven Ergebnisse.
Der 37-Jährige, der sich mit großem Eifer in täglicher Kleinarbeit den Ruf
als Fachmann des taktischen Feinschliffs erarbeitet hatte, zeigte, dass er
auch mit wenigen Handgriffen und Trainingseinheiten ein in Not geratenes
Team in die Spur bringen kann. Diese Wandlungsfähigkeit haben Nagelsmann
nicht viele zugetraut.
In den nächsten Monaten wird er sich ein weiteres Mal neu erfinden müssen.
Nach dem Wegfall [3][von Stützen wie Manuel Neuer,] İlkay Gündoğan,
Thomas Müller und Toni Kroos sind größere Umbau- und Aufbauarbeiten bis zu
WM 2026 angesagt. Statt Not- und Stabilisierungsmaßnahmen sind andere
Herangehensweisen gefragt, die weitere Perspektiven öffnen.
Aber die Ausgangslage ist ungleich komfortabler. Nagelsmann hat sich einen
großen Kreditrahmen erarbeitet. Die so gut überstandene Not hat das Team
auf besondere Weise zusammengeschweißt. Von diesem Geist kann und will
Nagelsmann zehren. Die vielen Ausfälle zwingen ihn nun zu größerer
Blutauffrischung als ihm lieb ist. Das könnte eine glückliche Fügung sein.
Angesichts so vieler Ausfälle wird es ihm eh niemand verübeln, sollte es
gegen Bosnien und Herzegowina und die Niederlande holprigere Auftritte
geben. Und im besten Fall tun sich wieder neue Perspektiven auf.
11 Oct 2024
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