# taz.de -- Methoden der Klimaschutzverhinderer: Es ist Gegeneskalation

> Junge WählerInnen haben offenbar Angst vor den Grünen. Dahinter steckt
> eine wirksame Kampagne, die den fossilen Status Quo aufrechterhalten
> will.
Nach Ablehnung, Häme und mehreren Unterformen von Hass sind wir nun also
bei Angst angelangt. Eine seriös wirkende [1][Studie ergab] kurz vor den
Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, dass Jungwählerinnen und
Jungwähler tatsächlich Angst vor den Grünen hätten – zu 25 Prozent im
Westen und zu satten 30 Prozent im Osten. Die Gefühlswerte setzten sich
dann bei den Wahlen in nie gesehene AfD-Anteile in der Jung- und
Erstwählerschaft um.

Angst vor den Grünen – dieser Partei, die seit dem
[2][Heizungsgesetz-Desaster] wie ein erschrockenes Reh aus der Hecke
schaut, und deren Hauptsorge es auch vorher schon war, jemand könnte
denken, sie wolle ihm zu nahe treten: Ich war mittelmäßig fassungslos. Doch
Vincent August, Soziologe und derzeit Gastprofessor an der Humboldt-Uni in
Berlin, mag das nicht abwegig finden, sondern folgerichtig: „Es ist
gelungen, die Gegenseite als Gefahr zu framen“, sagt er trocken. „Das ist
ein Klassiker der Konfliktforschung.“

Framen – von Englisch frame für Rahmen – ist der Vorgang, wenn etwas
sprachlich mit neuer Bedeutung aufgeladen wird. Vincent August forscht an
„ökologischen Konflikten“, sprich daran, wie es kam, dass der Klimaschutz
und alle, die sich darum bemühen, so ausdrücklich in Verschiss geraten
konnten.

Vergangenes Jahr nannten wir unsere taz-Serie über die Leute, die sich dem
Klimaschutz in den Weg stellen, [3][„Klimasabotage“]. Damit waren wir nah
dran am Forschungsfeld namens „climate obstruction“, von dem ich damals
freilich noch nichts wusste: die Beschreibung der Klimaschutzverhinderer
sowie ihrer Methoden. Während in den USA dabei klassische Klimaleugnung
noch ganz gut funktioniert, setzen die einschlägigen Verdächtigen in
Deutschland eher auf Verhinderung im kleinteilig-komplexen Raum, wo die
Öffentlichkeit nicht mehr so präsent ist, erklärt August.

## Effektive Erzählmuster

Für öffentlichkeitswirksame Kampagnen werden dann Erzählmuster genutzt, für
die in deutschen Köpfen schon alles vorbereitet, der Boden bestellt ist:
Planwirtschaft/Sozialismus, Terrorismus ([4][„Klima-RAF“]) oder auch – beim
erwähnten Heizungsgesetz im vergangenen Jahr – die klassische Sozialkritik:
Jeder Immobilieneigentümer der Republik verwandelte sich plötzlich in die
mittellose Ost-Rentnerin, die nur die bescheidene Laube ihr eigen nennt, in
der sie sitzt.

„Gegeneskalation“ nennt August diese Rhetoriken und Mechaniken: Während die
Klimakrise eskaliert und mit ihr die Forderungen von Wissenschaft und
AktivistInnen lauter und dringlicher wurden, hat die fossile Front eben
nicht geschlafen. „Gegeneskalation ist für weite Teile der Politik derzeit
kostengünstiger als der Klimaschutz“, fasst August sein Argument zusammen.
Oder anders: Klimaschutz ist für die Parteien anstrengender, als sich alte
Anti-Grün-Spruchtäfelchen umzuhängen, die fast jeder wiedererkennt – und
Wiedererkennung ist auch in der Politik immer schön.

Um zu verstehen, was und wer da auf die Parteien einwirkt, reicht es
mutmaßlich jedoch nicht, prominente fossile Akteure so oft wie möglich beim
Namen zu nennen: die Gesamtmetall-Außenstelle INSM, den FDP-Abgeordneten
Frank Schäffler und so weiter. Die Kampagneros und Kampagneras sitzen auch
in den bundesdeutschen Großinstitutionen. Bei Gewerkschaften (looking at
you, IG BCE) und Industrieverbänden bekennt man sich ganz oben gern zu was
Gutem und Wahrem, lässt die Fachabteilung dann aber ihr Verhinderungswerk
fortsetzen.

Und womöglich gehört zum Verständnis der Gegeneskalation auch eine tägliche
Selbsterinnerung: Es ist offenkundig sehr leicht, Ressentiments gegen jede
Änderung eines eingeübten Lebensstils zu schüren. Bis hin zur Angst.

7 Sep 2024

## LINKS
[1] https://www.generation-thinking.de/post/jugenwahlstudie-2024
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/heizung-gesetz-streit-habeck-koalition-1.5927181
[3] /Schwerpunkt-Klimasabotage/!t5919498
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/dobrindt-klima-raf-100.html
## AUTOREN
Ulrike Winkelmann
## TAGS
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Kolumne Ernsthaft?
Bündnis 90/Die Grünen
Schwerpunkt Klimawandel
FDP
Schwerpunkt Klimasabotage
Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
GNS
klimataz
Schwerpunkt Klimawandel
Politische Bildung
Wahlen in Ostdeutschland 2024
BSW
Schwerpunkt Klimasabotage
Schwerpunkt Klimasabotage
Schwerpunkt Klimasabotage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Öl-Konzern muss CO₂-Ausstoß nicht senken: Shell hat recht
Shell ist nicht an das Pariser Klimaabkommen gebunden, urteilte ein Gericht
– zu Recht. Denn für die Einhaltung müssen die Regierungen sorgen.
Politische Teilhabe von Jugendlichen: Mehr Zauberspielplatz wagen
The Kids are alt-right: In Thüringen haben junge Wählende zu 38 Prozent die
extrem rechte AfD gewählt. Könnte mehr politische Teilhabe helfen?
Mögliche AfD-Regierung in Thüringen: Dann sollen sie doch
Die Forderungen von AfD und BSW sind realitätsfremd. Statt sich vor ihren
Karren spannen zu lassen, sollten die Demokraten sie lieber regieren
lassen.
BSW-Verbände in Sachsen-Anhalt und NRW: Mit und doch ohne Wagenknecht
Das BSW hat zwei neue Landesverbände. Doch in Sachsen-Anhalt und NRW steht
die Partei vor unterschiedlichen Voraussetzungen.
Kampagne gegen umstrittenen Gas-Verband: Austrittswelle aus Lobbyvereinigung
Kritiker:innen werfen dem Verband „Zukunft Gas“ vor, gegen die
Wärmewende zu arbeiten. Dutzende Stadtwerke kündigen ihre Mitgliedschaft.
Fossile Politik: Die Erdgas-Connection
Seit der Wiedervereinigung hat Deutschland den Import von klimaschädlichem
Erdgas verdoppelt. Ein Blick auf die Machenschaften der Lobbys.
Klimaschädliche Subventionen: Das Geld liegt auf der Straße
Die Ampelkoalition wollte klimaschädliche Subventionen eigentlich abbauen.
Insbesondere im Verkehrssektor gibt es viel Potenzial. Doch die FDP bremst.