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taz: Herr Nápoli, vergangene Woche hat Argentiniens Präsident Javier Milei
[1][das sogenannte Rigi-System in Kraft gesetzt. Es soll Großinvestitionen
fördern]. Von den Steuer-, Zoll- und Wechselkursvorteilen profitieren der
Bergbau und die Ausbeutung von Schieferöl- und Gasvorkommen. Sind denn für
diese Branchen überhaupt Anreize nötig?
Andrés Nápoli: Es gibt einen Konsens in der politischen Klasse, dass
Argentinien nur durch den Export von Rohstoffen gerettet werden kann. Der
soll die notwendigen Dollar für das Wirtschaftswachstum generieren, den
heimischen Markt erweitern und die Integration Argentiniens in den
Weltmarkt stärken. Das Rigi-System treibt dies auf die Spitze.
taz: Spitze auch in Sachen Umwelt- und Klimaschädigung?
Nápoli: Ja. Nun müssen keine Umweltverträglichkeitsstudien mehr erstellt
werden, die Bundesjustiz kann alle neuen Schutzbestimmungen der Provinzen
für nichtig erklären. Viel schlimmer ist jedoch, dass den Konzernen für 30
Jahre garantiert wird, auf die erforderlichen Ressourcen zugreifen zu
dürfen – was beim Bergbau vor allem enorme Mengen Wasser sind. Wie kann
eine Provinz das tun, in der das Wasser ohnehin knapp ist?
taz: Milei hat bereits das Umweltministerium aufgelöst und die Mittel für
die Umweltpolitik um rund 65 Prozent gekürzt. Die Umwelt ist nun ein
Anhängsel des Sekretariats für Tourismus und Sport. Was ist von der Umwelt-
und Klimaschutzpolitik noch übrig geblieben?
Nápoli: Das Ziel der Regierung ist es, alle Staatsausgaben zu kürzen, die
Umweltpolitik wird nur als Kostenfaktor betrachtet. Im Staatshaushalt sind
keine Mittel dafür vorgesehen: Es gibt also einfach keine Umwelt- und
Klimaschutzpolitik mehr. Aber es gibt internationale Verpflichtungen.
Argentinien hat 1992 das Rio-Abkommen und 2015 das Pariser Klimaabkommen
unterzeichnet. Und es gibt ein nationales Klimagesetz, das ein
Klimakabinett vorsieht, dem Ressorts wie Energie, Landwirtschaft und
Industrie bis spätestens kommenden März ihre Emissionsreduktionsziele
vorlegen müssen. Was aus all dem wird, ist derzeit allerdings völlig
unklar.
taz: Können Umwelt und Klima in einem Land geschützt werden, in dem die
Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt?
Nápoli: Es geht nicht anders: Seit über 20 Jahren haben alle Regierungen
ein exportorientiertes Wirtschaftsmodell gefördert. Das hat in Argentinien
keine Wertschöpfungskette geschaffen, sondern zu 65 Prozent Armut geführt.
Allerdings ist es heute nicht mehr möglich zu exportieren, ohne bestimmte
Umweltstandards einzuhalten. Man kann keinen wichtigen Markt erschließen
und teils sogar juristisch haftbar gemacht werden, wenn man sich nicht an
die internationalen Vereinbarungen hält.
taz: Gibt es Widerstand gegen Mileis weitere Demontage des Staates?
Nápoli: Es gibt eine starke Zivilgesellschaft. Versammlungen und Komitees
auf regionaler Ebene und starke Nichtregierungsorganisationen auf
nationaler Ebene haben Einfluss und beispielsweise wichtige Gerichtsurteile
erstritten – wie [2][kürzlich in Catamarca in Sachen Lithiumabbau] oder
beim [3][Widerstand in Jujuy gegen den Wasserverbrauch ebenfalls beim
Lithiumabbau].
taz: Argentinien hat durchaus strenge Schutzgesetze beschlossen, etwa
[4][das Waldschutzgesetz und das Gletscherschutzgesetz]. Was ist mit denen?
Nápoli: Diese Gesetze wurden von der Zivilgesellschaft erkämpft. Wald- und
Gletscherschutz waren kein Politikbereich. Erst durch diese Gesetze wurde
der Schutz überhaupt zu einer staatlichen Aufgabe, deren Umsetzung nun
eingefordert werden kann. Das Problem in Argentinien ist, dass zwar der
Nationalstaat solche Gesetze erlassen kann, aber die Provinzen für deren
Umsetzung und Einhaltung verantwortlich sind.
taz: Trotz des Waldgesetzes gibt es immer wieder Berichte über
[5][zweifelhaft genehmigte oder schlichtweg illegale Abholzungen]. 2025
tritt die EU-Richtlinie zu entwaldungsfreien Lieferketten in Kraft. Kann
sie helfen, solche Abholzungen zu verhindern?
Nápoli: Ja, sie ist ein gutes Instrument. Sie hat Milei zum Einlenken
gebracht. Denn eigentlich wollte er alle Schutzbestimmungen aus dem
Waldschutzgesetz außer Kraft setzen. Er ist aber nicht umgeschwenkt, weil
er plötzlich den Waldschutz entdeckt hat, sondern weil der Zugang zu einem
wichtigen Absatzmarkt versperrt gewesen wäre.
taz: In Europa besteht eine große [6][Nachfrage nach Kupfer, Lithium und
seltenen Erden für den Übergang zur Elektromobilität], über die Argentinien
verfügt. Könnte diese Nachfrage auf nachhaltige Weise gedeckt werden?
Nápoli: Es gibt keinerlei Rückkopplung, bei der Argentinien beispielsweise
Rohstoffe für die Energiewende in Europa liefert und zugleich die
Energiewende in Argentinien vorangebracht würde. Es geht immer nur um
Investitionen, mittels derer die Rohstoffe auf dem europäischen Markt
landen. Und dort geht es vor allem um den Austausch von
Luxusverbrennerautos durch Luxuselektroautos. Argentinien ist nicht dazu
verpflichtet, diese Nachfrage zu befriedigen, und sollte das auch nicht
tun.
28 Aug 2024
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