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Die brasilianische Schwimmerin Ana Carolina Vieira (22) wurde von ihrem
Verband nach Hause geschickt, weil sie während der Olympischen Sommerspiele
in Paris zusammen mit ihrem Freund eigenmächtig das Quartier verließ,
[1][um den Eiffelturm zu besichtigen]. Eine Verwarnung wegen des Vorfalls
soll sie mit strammen Widerworten gekontert haben.
Das wirft die Frage auf, wie anachronistisch Kasernendisziplin für
erwachsene Menschen anmutet, die ja auch im Wettkampf vor Millionenpublikum
eigenständige Entscheidungen treffen müssen. Wie verträgt sich das mit
dieser Schullandheim-Atmosphäre, von der auch ehemalige Nationalspieler
heute gern berichten: Wie sie sich damals mit Bettlaken abgeseilt haben,
und über den Zaun der Sportschule türmten, um in der nahen Dorfkneipe einen
draufzumachen.
Pförtner bestochen oder mit gespikter Bockwurst betäubt, trotzdem immer
stockvoll erwischt, der „Du-du-du“-Finger des jeweiligen Bundes-Sepps, die
Bild-Zeitung am nächsten Morgen, blabla, man kennt diese Geschichten ganzer
Generationen von Helmuts, Katsches und Marios zur Genüge. Komischerweise
kommt denen beim Erzählen der launigen Anekdoten nie in den Sinn, wie
erniedrigend, entmündigend und letztlich auch kontraproduktiv eine solche
Behandlung für sie war.
Zum Glück sind diese Zeiten weitgehend vorbei. „Brot und Spiele“ heißt es
nicht nur für die Zuschauer, sondern mittlerweile auch für die Sportler,
die in einer milliardenschweren Unterhaltungsindustrie Verantwortung auf
ihren Positionen tragen. Sie sind nichts anderes als hochqualifizierte
Führungskräfte, was auch für Vieira und alle anderen Athleten bei Olympia
gilt.
Diese mit Respekt zu behandeln und bei Laune zu halten ist schlicht State
of the Menschenführung. Ob Obstschalen im Büro, Freizeitangebote oder
Duschen, flache Hierarchien oder Mitspracherecht: Leistung braucht
Vertrauen und eine intakte Seele. Mobbing, militärisches Geschrei und
Käfighaltung, überhaupt jede Form von freudloser Lustfeindlichkeit schadet
dem Resultat. Was uns fast umbringt, macht uns nicht gut.
## Unterhaltungsangebote und Maßnahmen gegen Lagerkoller
Zu einer zeitgemäßen Behandlung von Sportlerinnen gehören entsprechend
Unterhaltungsangebote und auch Maßnahmen zur Vermeidung eines Lagerkollers,
wie Familientage mit Gspusi, Mama, Kindern. Selbst im Trainingslager gibt
es Grillabende und Fahrradausflüge. Und es gibt auch die Erlaubnis für ein
Bierchen dann und wann, das können mündige Sportler schließlich selbst
entscheiden.
Was man in Paris der japanischen Turnerin Shoko Miyata (19) offenbar nicht
zutraute, die von ihrem Turnverband heimgeschickt wurde, nachdem man sie
beim Rauchen und Trinken erwischt hatte. In einem artverwandten Fall ist
man mit uns 13-Jährigen bei der Konfirmandenfreizeit weitaus gnädiger
verfahren.
Früher gab es beim Fußball sogar die Maßgabe: Kein Wasser trinken! Man
durfte allenfalls die Schleimhäute befeuchten und sollte jeden Schluck
Wasser sofort wieder ausspucken. Ob medizinischer Quatsch oder toxische
Männlichkeit – pseudohartmachender Schwachsinn war in sämtlichen Sportarten
verbreitet. Heute trinken spanische Profis in der Trainingspause vor der
Siesta ein Glas Rotwein zu Mittag, was ihre asketischeren Kollegen aus
Deutschland allerdings nach wie vor irritiert.
Doch auch wenn der aktuelle Wissensstand davon ausgeht, dass es das
medizinisch „gesunde Maß“ an Alkohol, dieses eine Glas, das „gut fürs Herz“
sein soll, gar nicht gibt, [2][sondern jede Kleinstmenge im Prinzip
schädlich] ist, gilt es abzuwägen. Der therapeutische Wert eines kleinen
Biers am Abend, das Entspannung, Genuss und Selbstbestimmung bedeutet, ist
bei einer gesunden Sportlerin sicher höher einzuschätzen als der
körperliche Schaden.
Der bei einer Eiffelturmbesichtigung erst recht nicht erkennbar ist. Was
der Fick soll das, möchte man die brasilianischen Schwimmfunktionäre
fragen. Kein Wunder, dass Vieira da ausgerastet ist und ihnen vermutlich
nahegelegt hat, ihre Schwimmbrillen im Spind mal gründlich nachzuzählen.
Es bleiben auch so noch genug Regeln übrig: Das ganz große Triumphgelage
bitte immer erst nach dem Finale und direkt vor der Sommerpause. Alkohol
ist nämlich besonders Gift für eine rasche Regeneration. Denn nach dem
Spiel ist vor dem Spiel.
1 Aug 2024
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