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Kairo taz | Als bei Nour Hana aus Gaza-Stadt die Wehen einsetzten, machte
sie sich auf den Weg ins Krankenhaus. „Ich fuhr zusammen mit meiner Mutter
auf einem Pferdekarren los. Es war nachts, wir hatten Angst. Ich schloss
die Augen, denn ich wollte all die zerstörten Gebäude um uns herum nicht
sehen. Streunende Hunde griffen uns an“, erinnert Nour Hana sich. Ihr
Bruder und ihr Mann waren zuvor bei einem israelischen Luftangriff ums
Leben gekommen.
„Ich konnte die ganze Zeit an nichts anderes denken als an die Kinder, die
ich zu Hause zurücklassen musste“, erinnert sie sich an jene Nacht zurück.
Denn die israelische Armee hatten gerade gewarnt, dass ein Ort in der Nähe
der Schule, in der sie mit ihren Kindern untergebracht war, evakuiert
werden müsse, weil sie dort angreifen wollte.
Hanas Odyssee in das Krankenhaus ist kein Einzelfall. „Viele Frauen gebären
auf dem Weg zur Klinik, weil es so kompliziert ist, sich von einem Ort zum
anderen zu bewegen. Manche [1][bringen ihre Babys] in Zelten oder auf der
Straße zur Welt“, berichtet Nour Beydoun, die vom jordanischen Amman aus
die Hilfsorganisation Care in Fragen berät, die Frauen in Notsituationen im
Gazastreifen betreffen. Manche schlügen aus diesem Grund schon vor der
Geburt ihre Zelte vor den Krankenhäusern auf, berichtet sie im Gespräch mit
der taz.
## Wenige Krankenhäuser, völlig überlastet
Eine Geburt ist normalerweise ein freudiges Ereignis. Die Familie und die
Eltern kommen zusammen, machen Fotos vom Neugeborenen. Zu Hause wurde alles
sauber gemacht, um der Mutter und dem Baby eine sichere Umgebung zu
gewährleisten. Ganz anders im Gazastreifen, wo aktuell schätzungsweise
50.000 Frauen schwanger sind. Gab es vor dem Krieg noch 35 größere und
kleinere Krankenhäuser, stehen jetzt nur noch 16 vollkommen überlastete
Kliniken zu Verfügung.
Der [2][Albtraum endet nicht mit dem Weg ins Krankenhaus]. „Es mangelt an
allem in den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern: an Medizin,
Maschinen, aber auch an spezialisiertem Personal“, zählt Beydoun auf.
Auch Narkosemittel fehlten. „Das führt dazu, dass manche Kaiserschnitte
ohne Narkose durchgeführt werden müssen“, sagt sie.
Dazu komme, dass viele Geburten von Komplikationen begleitet seien. „Wir
haben im Gazastreifen durchschnittlich 180 Geburten pro Tag. 15 Prozent
davon gehen mit Komplikationen einher, die zusätzliche medizinische
Unterstützung brauchen. Die medizinischen Teams vor Ort schätzen, dass sich
die Zahl der Fehl- und Totgeburten seit dem 7. Oktober verfünffacht hat“,
versucht Beydoun die Dimension zu erklären.
## Schlecht ernährte Mütter, entwicklungsverzögerte Babys
Oft sei der Grund dafür, dass die werdenden Mütter unterernährt seien. „Der
Ernährungsstatus vieler der Frauen ist unglaublich schlecht. Sie haben
nicht genug Nährstoffe wie Eisen, Calcium und Zink.“ Das könne zu Fehl- und
Totgeburten, auch zu untergewichtigen Neugeborenen und zu Verzögerungen bei
deren Entwicklung führen.
Das bestätigt auch Joanne Perry von Ärzte ohne Grenzen, die in den letzten
Wochen mitgeholfen hat, in dem zuvor [3][von der israelischen Armee
vollkommen zerstörten Nasser-Krankenhaus] in Chan Junis wieder einen
Kreißsaal aufzubauen. Dort entbinden jetzt wieder bis zu 30 Frauen am Tag.
„In unserem neuen Kreißsaal erleben wir zahlreiche Frühgeburten und sehen
viele untergewichtige Neugeborene“, berichtet sie per Sprachnachricht.
Die Kommunikation nach Chan Yunis ist schwierig, und sie hat neben ihrer
Arbeit nur wenig Zeit. Viele der Mütter seien anämisch, hätten also zu
wenig rote Blutkörperchen oder zu wenig roten Blutfarbstoff. Das sei ein
direktes Ergebnis ihrer Lebensbedingungen im Krieg und ihrer mangelhaften
Ernährung, führt sie weiter aus.
## Unsicherheit als ständiger Begleiter
Doch selbst wenn unter der Geburt alles gut läuft und Mutter und Kind
wohlauf sind, bleibt die Angst, was geschieht, wenn die Mütter mit ihren
Neugeboren meist schon nach zwei bis drei Stunden die Klinik wieder
verlassen müssen, um anderen Platz zu machen. Die Unsicherheit im Kreißsaal
wird dann quasi ersetzt durch die Unsicherheit des Lebens im Krieg.
„Wenn man die Explosionen in der Nähe hört, haben die Mütter der
Neugeborenen sofort alles Mögliche im Kopf: Es könnte mehr Angriffe geben.
Ihr Baby oder sie selbst könnten zu Schaden kommen. Der Familie könnte
etwas zustoßen, ihr Haus könnte jederzeit zum Ziel werden“, berichtete Alaa
Balur der Nachrichtenagentur Reuters von ihren eigenen Ängsten, kurz
nachdem sie ein Baby zur Welt gebracht hatte.
## Leben in Zelten und immer in Angst
Wer in ein Haus zurückkehren kann, hat noch Glück. „Die Mehrheit der
Bevölkerung lebt heute in Zelten, nachdem 70 Prozent der Gebäude im
Gazastreifen zerstört oder beschädigt sind“, sagt Joanne Perry von Ärzte
ohne Grenzen. Die meisten Mütter gehen zurück in ihre Zelte und schlafen
mit ihren Neugeborenen auf der Erde – [4][eine Umgebung, die weder steril
noch sicher ist]. Hinzu kommt immer die Angst, dass ihre Gegend zur
Kampfzone erklärt wird und sie von einem Moment zum nächsten ihr Zelt
verlassen müssen.
Aber in all der Not gibt es auch glückliche Momente. Nachdem der Kreißsaal
im Nasser-Krankenhaus wieder aufgebaut war, kam das erste Baby durch einen
Kaiserschnitt zur Welt. „Den Mitarbeitern kamen die Tränen“, erzählt Perry.
Das Neugeborene war ein Symbol, dass sie es geschafft haben, den Kreißsaal
wieder funktionstüchtig zu machen. „Neben all dieser Zerstörung, die wir
erleben“, sagt Perry, „war das der Beweis, dass das Leben weitergeht.“
14 Jun 2024
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