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Berlin taz | Es ist eine Kampfansage innerhalb der AfD – und zwar mitten im
Wahlkampf: Am Sonntag, noch während in Thüringen die für die [1][extrem
rechte Partei wichtigen Kommunalwahlen liefen], wurde aus Parteikreisen
relativ breit gestreut, dass der Landesverband NRW beschlossen hat,
Matthias Helferich aus der Partei auszuschließen – mit sofortigem Entzug
der Mitgliedsrechte.
Der Bundestagsabgeordnete ist selbst Beisitzer im Vorstand der AfD
Nordrhein-Westfalen und durfte dem erfolgreichen Antrag seines
Parteiausschlussverfahrens beiwohnen. Überrascht haben dürfte ihn das
weniger. Helferich ist schon länger umstritten und durchaus skandalerprobt.
Er wurde trotz Bundestagsmandat 2021 nicht Teil der AfD-Fraktion, weil
Äußerungen von ihm bekannt geworden waren, in denen er sich unter anderem
selbst als das [2][„freundliche Gesicht des NS“] bezeichnet und sich
positiv auf den berüchtigten NS-Richter Roland Freisler bezogen hat, der
Teilnehmer der Wannsee-Konferenz war und in der Nazizeit viele politische
Todesurteile ausgesprochen hat.
Helferich blieb in den letzten Jahren dennoch umtriebig, ist gut vernetzt
mit dem Kopf der Völkischen, Björn Höcke, und dem rechtsextremen Ideologen
Götz Kubitschek sowie dem identitär-aktivistischen Vorfeld der AfD und der
Jungen Alternative. Gründe, gegen Helferich vorzugehen, hätte es
entsprechend schon lange gegeben, wenn die inhaltliche Abgrenzung denn
ernst gemeint wäre.
Der Zeitpunkt der Ordnungsmaßnahmen ist aber eher taktisch zu verstehen und
als Versuch, die Vorherrschaft des Höcke-Lagers auf dem Ende Juni
anstehenden Bundesparteitag in Essen anzugreifen. Dessen
völkisch-nationalistisches Lager dominiert die Partei seit längerem,
Helferich sollte ihm offenbar mit einer Kandidatur zu Einfluss in einem
neuen Vorstand verhelfen.
## „Raus mit die Viecher“
Nicht zuletzt der Erfolg des Verfassungsschutzes gegen die AfD vor dem
Oberverwaltungsgericht in Münster sowie nicht abreißende Skandale um die
Spitzenkandidaten für die Europawahl, [3][Maximilian Krah] und [4][Petr
Bystron], sowie sinkende Umfragewerte sorgen allerdings für Verstimmungen.
Die veränderte Ausgangslage verschafft Unzufriedenen mehr Beinfreiheit –
also denjenigen, die weniger offen radikal auftreten wollen, wie etwa der
Landeschef aus NRW, Martin Vincentz.
Dessen Landesvorstand begründete sein Vorgehen gegen Helferich entsprechend
damit, dass man dessen „Abwege“ nicht mehr hinnehmen wolle: „Er und sein
Gebaren schaden seit geraumer Zeit der Partei“ und stünde im „krassen
Gegensatz“ zu „unseren Grundsätzen“. Einer der Anlässe für das Vorgehen
seien diverse jüngste Äußerungen von Helferich, in denen klar geworden sei,
dass er auch deutsche Staatsbürger abschieben wolle, hieß es. Der taz
liegen etwa Screenshots davon vor, wie Helferich auf Instagram einen
Rückspiegel-Anhänger mit dem Slogan „Raus mit die Viecher“ mit „Super.
#Remigration“ kommentierte.
Aus Parteikreisen hieß es, auch unter Bezugnahme auf das [5][Urteil vor dem
Oberverwaltungsgericht Münster], man akzeptiere „keine biologistische Sicht
auf das Staatsvolk“. Über den Ausschluss entscheiden nun die
Parteigerichte. Bereits einmal ist ein [6][Versuch gescheitert, Helferich
auszuschließen]. In NRW hofft man unterdessen auch auf Rückendeckung aus
anderen Landesverbänden – ob die gegeben ist, bleibt allerdings abzuwarten.
## Helferich tut gelangweilt
Helferich selbst kommentierte beim WDR, dass er davon ausgehe, dass der
Vorstand in NRW seine Kandidatur für den Bundesvorstand verhindern wolle:
„Man weiß sich nicht anders zu helfen, als mich kaltzustellen“, ihn
langweile das Vorgehen. Tatsächlich kann Helferich nicht kandidieren,
solange ihm die Mitgliedsrechte entzogen sind.
Beistand bekam Helferich vor allem aus dem Osten: Dort blieb die
Kampfansage aus NRW nicht unbeantwortet: „Martin Vincentz zündet unsere
Partei an“, schrieb das Thüringer AfD-Vorstandsmitglied Daniel Haseloff.
Helferich sei „Hoffnungsfigur auf schwierigem West-Gebiet“. Der drohende
Ausschluss sei „Zersetzung von Innen, Beseitigung von Konkurrenz. Wir
müssen das stoppen“, forderte er.
Auch der Schnellroda-Ideologe Benedikt Kaiser sprang Helferich bei:
„Meuthen ist zurück. Er heißt jetzt Vincentz. Solidarität mit Helferich.“
Jörg Meuthen war vor seinem Parteiaustritt ein Gegenspieler des völkischen
Flügels. Helferich sei die Hoffnung der „grundsätzlichen Rechten“ für den
Bundesparteitag, so Kaiser. Er solle ausgeschaltet werden, so dass
Meuthenianer keine wirkmächtigen Gegenspieler bekommen können. „Wer die
Partei mitten im Superwahljahr anzündet, hat jedwede (letzte) Legitimität
verspielt“, schrieb er.
Der Bundesvorstand positionierte sich auf taz-Nachfrage zunächst nicht zum
Ausschlussverfahren. Dass Vincentz sich mit Alice Weidel und Tino Chrupalla
abgestimmt hat, ist aber wahrscheinlich, gerade am Samstag sind sie noch
zusammen im Europawahlkampf in Marl aufgetreten.
## Chrupalla schimpft auf Le Pen und Meloni
Tags zuvor hatte unterdessen Chrupalla selbst auf dem Landesparteitag in
Sachen mit [7][radikalen Ansagen in Richtung von Marine Le Pen und Giorgia
Meloni] für Aufsehen gesorgt. Die AfD war wegen der nicht abreißenden
Skandale um Maximilian Krah Ende letzter Woche aus der Fraktion Identität
und Demokratie ausgeschlossen worden – vor allem, nachdem dieser die
Verbrechen der SS verharmlost hatte.
Chrupalla hatte den sofortigen Ausschluss der AfD-Delegation in Brüssel
wiederum im sächsischen Glauchau wütend beantwortet: „Melonisierung wird es
mit uns nicht geben“, schimpfte Chrupalla ganz ungeniert in Richtung der
europäischen Partnerparteien, nachdem die AfD ausgebootet wurde. Seine
Partei werde sich nicht verbiegen, um für andere ansehnlicher zu werden.
Klingt nicht gerade wie eine Abkehr vom Radikalkurs der AfD. Höcke und
Kubitschek forderten unterdessen eine Zusammenarbeit mit offen
rechtsextremen Parteien im Europaparlament, wie sie auch Krah immer
befürwortet hatte. Höcke forderte etwa „die Bildung einer schlagkräftigen
kleinen Fraktion mit alternativen Kräften“ und kein „neuerliches Anbiedern
an Partner, die offenkundig nicht in der Lage sind, Europa neu zu denken
und lieber in alten Abhängigkeiten bleiben wollen“. Die gemeinsame Klammer
von Chrupalla, Krah und Kubitschek bleibt dabei die offene Nähe zum
Aggressor im Ukrainekrieg, dem Kreml und Wladimir Putin.
27 May 2024
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