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Ein abgelegenes Dorf in Georgien. Etero (Eka Chavleishvili) betreibt hier
einen kleinen Laden. Mit ihrem einfachen, aber unabhängigen Leben ist sie
zufrieden, auch wenn die alleinstehende Endvierzigerin von den anderen
Frauen im Ort dafür immer wieder herablassend behandelt wird. Bis sie sich
plötzlich in einen verheirateten Mann verliebt und herauszufinden beginnt,
welche Bedürfnisse bei aller Freiheit noch in ihr schlummern. Elene
Naveriani ist nonbinäre Regisseur*in, deren dritter Spielfilm „Amsel im
Brombeerstrauch“ erzählt skurril und bedacht von einer selbstbestimmten
Frau und ihrer Suche nach Glück in einer Gesellschaft, die das nicht
duldet.
wochentaz: Elene Naveriani, Sie sind 1985 in Georgien geboren, leben seit
vielen Jahren in der Schweiz. Wie hat sich Ihr Blick auf die alte Heimat
verändert?
Elene Naveriani: Ich bin vor mehr als 15 Jahren ausgewandert und verbringe
mittlerweile die Hälfte des Jahres in der Schweiz, die andere Hälfte in
Tbilisi. 2008 eskalierte in Georgien der Konflikt mit Russland zum
sogenannten Kaukasuskrieg, ich wollte nur noch weg. Ich wurde an der
Hochschule für Kunst und Design in Genf angenommen, habe zunächst Kritische
Theorie studiert, dann Film und mir dort ein neues Leben aufgebaut. Die
Situation mit Russland ist noch immer sehr angespannt, wir verfolgen alle
mit großer Sorge, was in der Ukraine passiert. Die Jahre im Ausland haben
eine gewisse Distanz geschaffen, und dadurch ändert sich auch meine
Perspektive auf das Land. Dinge, die mir früher nie aufgefallen sind, sehe
ich jetzt sehr viel klarer und weiter, weil ich nun nicht mehr selbst darin
gefangen bin. Aber meine Wurzeln sind dort, wenn ich in Georgien bin,
empfinde ich viel Liebe, aber auch Schmerz.
Ihre Filme handeln oft von Außenseitern, entziehen sich auch formal
Konventionen. In Ihrer Bildsprache haben Sie ein starkes Augenmerk auf
Details und Gesten, wie jemand geht, auf einem Stuhl sitzt oder eine
Zigarette raucht. Es wirkt fast wie aus der Zeit gefallen.
Das hat viel mit den Filmen zu tun, die ich als Kind gesehen habe und die
mich unbewusst geprägt haben. Später entdeckte ich das US-amerikanische
Undergroundkino. Barbara Hammer war extrem wirkmächtig, auch [1][Kenneth
Anger]. In ihrer Art Filme zu machen finde ich mich wieder, persönlich und
politisch und queer. Auch der italienische Realismus der Nachkriegsjahre
ist sehr wichtig für mich, ich sehe darin viel von dem Georgien, in dem ich
in den 1990ern aufgewachsen in. Diese Geschichten, aber auch diese Formen
des Kinos, hatten großen Einfluss.
Wie haben Sie Ihre unkonventionelle Protagonistin gefunden?
Der Film basiert auf Tamta Melashwilis Roman „Amsel Amsel Brombeerbusch“
aus dem Jahr 2021. Die Protagonistin darin, Etero, ist eine instinktive
Feministin, sie ist der Punk des Dorfs, gegen alle Widerstände. Das hat
mich gleich an ihr fasziniert. Aber der Roman besteht aus einem Monolog,
ihrem inneren Konflikt, ihren Gedanken, über sich und andere. Die Figur und
der Hintergrund der Geschichte existierten also bereits, aber waren in der
Form filmisch schwer darstellbar. Wir wollten den sozialen Kontext und in
ihren Alltag in eine Handlung einbetten, aber nicht auserzählen, und so
minimal wie möglich darstellen. Mit der Hauptdarstellerin Eka Chavleishvili
hatte ich bereits bei meinem Debütfilm „Wet Sands“ gearbeitet, wo sie einen
kleinen Part hatte. Wir denken und fühlen sehr ähnlich. Ekas ganze Art hat
mich inspiriert, ich hatte sie schon beim Schreiben im Kopf. Vor dem Dreh
haben wir uns ein Jahr lang vorbereitet und vor allem darüber geredet, wie
sie sich bewegt, was sie tut, warum sie in diesem Umfeld so selbstbewusst
und stark sein muss. Und wie wir ihre komplexe Persönlichkeit und die
Widersprüche ihres unabhängigen Lebens im Dorf darstellen.
Beide Filme zeugen in ihrer Haltung und ihrem formalen Fokus von einer
großen Selbstsicherheit als Regisseurin. Woher kommt diese?
Mein politisches und mein persönliches Leben waren schon immer eng
verbunden. In Georgien aufzuwachsen hat mir eine gewisse Widerstandskraft
gegeben. Ich musste vieles hinterfragen und dekonstruieren, gegen vieles
aufbegehren, weil ich für mich keinen Platz in dieser Gesellschaft sah. Ich
musste mir ein Selbstbewusstsein aufbauen, um zu überleben. Das trifft auch
auf das Filmemachen zu, es ist ein Akt der Selbstermächtigung. Das war
lange nicht im Bereich des Möglichen, vor allem als Frau in Georgien, die
Branche dort ist noch immer sehr männerdominiert. Also habe ich mit Malerei
begonnen, aber das war mir schnell zu einsam. Ich tausche mich gerne aus,
arbeite lieber mit anderen zusammen als allein. Für mich ist Filmemachen
als Team die Möglichkeit, die ideale Gesellschaft im Kleinen zu erschaffen,
in der ich selbst gerne leben würde, mit den Menschen und Geschichten, die
mir etwas bedeuten.
Inwieweit hat die Malerei Sie als Filmemacherin beeinflusst?
Ganz sicherlich in der Art, wie ich Einstellungen komponiere. Aber im Kino
interessieren mich vor allem Gesten, weil sie so viel ausdrücken. Jeder
Körper trägt eine Vergangenheit mit sich. Ich will im Bild etwas
festhalten, das mehr ist als nur eine Bewegung. Und das gelingt mir im Film
besser als in einem Gemälde.
Es gibt eine neue Generation georgischer Filmemacher*innen wie [2][Dea
Kulumbegashvili „mit „Beginning“] und [3][Alexandre Koberidze mit „Was
sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“]. Zufall, oder was verändert sich
gerade?
Nicht nur das Alter eint uns, sondern auch die Tatsache, dass wir etwa zur
selben Zeit Georgien verlassen haben. Dea ging nach New York, Alexandre
nach Berlin. Ich wünschte, wir hätten mehr Kontakt. Vor Ort gibt es noch
viele weitere interessante Regisseur*innen, vor allem auch im
Dokumentarfilmbereich. Ich glaube, es ist das Ergebnis einer langen
Entwicklung, eines Aufbruchs, der auch andere kreative Bereiche in Georgien
betrifft, in der Kunst, in der Musik und anderswo. Dort erblühten lange
widerständige Bewegungen im Verborgenen. Und die verschaffen sich jetzt
deutlich Gehör.
19 Apr 2024
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