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Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kyjiws Bürgermeister Vitali Klitschko
und Präsident Wolodimir Selenski sich nicht grün sind. Im letzten Herbst
hatte sich Klitschko auf die Seite von Walerij Saluschnyj, dem
Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, gestellt, als der im
Economist von einer Pattsituation im Krieg gesprochen und sich [1][damit
Ärger mit Selenski eingehandelt hatte]. Und in den letzten Tagen hat sich
Klitschko schützend vor kritische Investigativjournalisten gestellt, die
zunehmend staatliche Repressionen fürchten.
Doch auch am Bürgermeister Vitali Klitschko scheiden sich die Geister.
Dabei geht es allerdings um gänzlich andere Themen. „Ich liebe ihn“, sagt
eine Frau, die sich als Sportlehrerin vorstellt, zu zwei anderen, mit denen
sie im Kyjiwer Außenbezirk Obolon auf den Bus wartet. „Klitschko baut
Brücken, Straßen, verschönert Grünanlagen. Er hat sich sogar gegen die
Erhöhung der kommunalen Gebühren ausgesprochen. Er kann nichts dafür, dass
die trotzdem erhöht wurden.“ Und gerade für die Belange des Schulsports
habe er immer ein offenes Ohr.
## Korruption und Kriegswirtschaft
„Ach, das mit dem Bauen ist so eine Sache“, entgegnet ihre
Gesprächspartnerin. „Klitschko lässt doch viel zu viel bauen. Bei meiner
Tante im Stadtzentrum haben sie gerade die Straße gepflastert. Letztes Jahr
auch. Würde mich nicht wundern, wenn sie das nächstes Jahr wieder machen.“
So verschleudere man staatliche Gelder an Bauunternehmen, klagt sie. „Das
nennt man Korruption.“
Und überhaupt. Er habe doch versprochen, neue U-Bahn-Stationen zu bauen.
„Tatsächlich aber mussten gerade sechs Stationen geschlossen werden, weil
schon Wasser von der Decke tropfte. Der Mann mag ein guter Boxer gewesen
sein, aber als Bürgermeister sollte man Verwaltungserfahrung haben.
Klitschko hat doch von all dem keine Ahnung.“
„Klitschko macht nur Dinge, die prestigeträchtig sind“, wirft Rentnerin
Nadja, die dritte Frau, ein. Natürlich seien Sportgeräte in den Parks gut.
Aber um das Loch in der Straße vor ihrem Hause habe sich monatelang niemand
gekümmert. Nur ein Warnschild habe man aufgestellt. „Wir in den
Außenbezirken sind eben nicht so wichtig für unseren Bürgermeister“, meint
Nadja. „Und überhaupt“, ergänzt sie noch, „es kann doch nicht sein, dass
Klitschko so viele Straßen baut und Parks verschönert. Wir haben Krieg.
[2][Mit dem Geld sollte man lieber Drohnen für die Front kaufen].“
## Persönliche Finanzhilfe vom Bürgermeister
„Ich mag ihn“, sagt nun wieder die Sportlehrerin. „Als meine Mutter schwer
krank war, habe ich ein persönliches Gespräch bei ihm bekommen. Ich habe
Klitschko um Hilfe für die Operation gebeten. Er hat mir auch finanzielle
Unterstützung zugesagt. Ehrlich gesagt habe ich gedacht, das sagt er nur,
um Eindruck zu schinden. Bei dem Gespräch war nämlich auch ein Journalist
dabei. Aber nein, zwei Tage später hat mich Klitschkos Mitarbeiter
angerufen und wir haben tatsächlich Geld bekommen. Mir gefallen Männer, die
Wort halten.“
Sorgenvoll blickt Nadja auf einige Bäume auf der anderen Straßenseite. „Es
gibt viel weniger Raben in der Stadt als früher“, sinniert sie. „Und wissen
Sie, warum? Weil die vom Grünflächenamt einfach wahllos Bäume fällen. Und
je weniger Bäume es gibt, desto weniger Vögel gibt es auch.“
Sie habe sich darüber telefonisch im Büro von Vitali Klitschko beschweren
wollen. Doch dort habe man sie nur abgewimmelt und gesagt, der
Bürgermeister sei nicht für die Bäume zuständig. Sie solle sich besser an
das Grünflächenamt wenden. „Aber ich kann mich doch nicht an genau
diejenigen wenden, über die ich mich beschweren will“, schimpft sie.
„Entscheidend ist doch, dass die wichtigen Dinge funktionieren: Die Busse
fahren, [3][die Heizung läuft in meiner Wohnung]. Strom haben wir auch. Die
Regale in den Geschäften sind voll. Was wollen wir mehr?“, resümiert die
Sportlehrerin, bevor sie alle drei in den gelben Trolleybus einsteigen.
21 Jan 2024
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