|
Voller Begeisterung stürzten sich die Baseballfans in Japan am Sonntag auf
Extrablätter der großen Tageszeitungen, die den Wechsel von Shohei Ohtani
von den Los Angeles Angels [1][zu den Los Angeles Dodgers] verkündeten.
„10-Jahres-Vertrag für 700 Millionen Dollar“, titelte die Yomiuri Shimbun.
Kein Sportler erhielt jemals einen so hoch dotierten Vertrag, nicht einmal
Lionel Messi bei Inter Miami in der US-Fußballliga.
Dabei ist Ohtani vorerst nur halb einsatzfähig: Nach einer Operation am
Ellenbogen des Wurfarms im September kann er 2024 nur schlagen und erst ab
2025 wieder werfen. Allerdings erhält er jährlich „nur“ 2 Millionen Dollar
auf die Hand, der Rest fließt in Raten von 68 Millionen Dollar jeweils am
1. Juli der Jahre 2034 bis 2043. Damit verschafft sich sein neuer Klub mehr
Flexibilität in seinen Gehaltszahlungen. Der 29-jährige Japaner verdient
jedoch nebenher noch einige Millionen Dollar durch mehrere Werbeverträge.
Fans und Kommentatoren halten die Rekordsumme für gerechtfertigt. Denn seit
seiner Ankunft in den USA 2018 – zuvor spielte er fünf Jahre lang für die
Hokkaido Nippon Hamsters – definierte der Japaner den modernen Baseball neu
und stieg zur Ikone seines Sports auf. [2][Niemand reicht an seine
Leistungen als Starting Pitcher (Werfer) und Power Batter (Schlagmann)
heran.] Weil er sowohl beim Werfen als auch Schlagen mit einem Home Run
punkten kann, wird er in den USA oft mit dem legendären Spieler Babe Ruth
(1895–1948) verglichen, aber auch mit Megastar Joe DiMaggio (1914–1999).
Nebenbei ist Ohtani zu einem der am besten vermarktbaren Sportler geworden,
der weltweit die Ticketverkäufe, die TV-Einschaltquoten und die
Sponsoring-Einnahmen ankurbelt. Das brachte ihm den Spitznamen „Shotime“
ein, ein englisches Wortspiel mit seinem Vornamen. „Ich kann zu 100 Prozent
sagen, dass Sie, die Dodgers und ich das gleiche Ziel verfolgen – die World
Series auf die Straßen von Los Angeles zu bringen“, teilte Ohtani in einem
vom Club veröffentlichten Statement mit.
## Verlangen nach „nationalem Spiel“
Japanische Unternehmen dürften sich nun darum reißen, Werbeflächen im
Dodger Stadium zu buchen, denn die Spiele mit Ohtani werden live in Japan
übertragen. [3][Dort ist Baseball seit über einem Jahrhundert
Nationalsport.] Von Anfang an diente das Spiel den Japanern dazu, sich mit
den USA zu messen. Schon 1896 besiegte erstmals eine Mannschaft der
Tokioter Oberschule Ichiko ein US-amerikanisches Team aus Yokohama.
Dieser Ehrgeiz geht auf den Kanagawa-Vertrag mit den USA von 1854 zurück,
der in Japan als „unfair“ empfunden wurde. In dieser Zeit des erwachenden
Nationalismus entstand das kollektive Verlangen nach einem „nationalen
Spiel“. Baseball symbolisierte jene Werte, die Japans Staat damals feierte
– Ordnung, Harmonie, Durchhaltevermögen und Selbstkontrolle.
Dennoch dachten viele Amerikaner damals, dass die Japaner zu klein und
schwach seien für das US-Nationalspiel, das nationale Eigenschaften wie
Mut, Vertrauen, Kampfbereitschaft und Virilität verkörpere, so schrieb der
Unternehmer Albert G. Spalding 1911. Die damalige Geringschätzung
überdauerte die Zeit. Als der Starspieler Ichiro Suzuki als erster
japanischer Feldspieler 2000 in die US-Topliga ging, mokierten sich die
US-Medien über seine „kleine“ Statur, als ob er im wahrsten Wortsinn nicht
auf Augenhöhe mit den USA spielte.
Solche chauvinistischen Kritiker brachte erst Ohtani mit seinen
athletischen Leistungen zum Schweigen. „Er kann einen Home Run über 150
Meter schlagen und einen Ball mit 165 Kilometer pro Stunde werfen“, erklärt
Robert Whiting, ein US-Experte für Baseball in Japan. Auch mit seiner
Statur von 1,93 Meter und 95 Kilogramm erfüllt Ohtani eher US-amerikanische
Gardemaße. Die einzige Kritik gilt seiner Marotte, in der Öffentlichkeit
nicht Englisch zu sprechen, sondern sich dolmetschen zu lassen. „Mein Spiel
auf dem Feld ist meine Art der Kommunikation mit den Fans“, rechtfertigt er
sich.
12 Dec 2023
## LINKS
|