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Kelsie Whitmore ist 23 Jahre alt und eine historische Person. Im April
unterschrieb sie nämlich einen Vertrag als Profibaseballspielerin, sogar
als Pitcherin. Das ist ein Beruf, den es eigentlich nicht gibt. Für Frauen
ist gemeinhin Softball reserviert. Baseball is a men’s world.
Whitmore spielt für die Staten Island FerryHawks, ein Team der Atlantic
League. Die ist unabhängig von den alles dominierenden Major Leagues (MLB),
aber via Partnerschaftsvertrag sind Atlantic League und MLB sehr wohl
verbandelt. Zu den vielen Gründen, warum diese Kooperation sinnvoll ist,
gehört auch, dass in der Atlantic League immer wieder Neues ausprobiert
wird.
Whitmore ist Pitcherin, auch wenn sie in ihren ersten Spielen als
Feldspielerin eingewechselt wurde. Männer, heißt es, werfen härter, 160
oder 170 km/h sind durchaus üblich, und so etwas schafft Whitmore nicht.
Sie will es aber auch nicht. Bei den FerryHawks wird sie von dem
Pitching-Coach Nelson Figueroa betreut. Der frühere MLB-Profi galt mit
seinen 1,80 Metern und 83 Kilogramm immer als zu klein und zu leicht, und
den Ball warf er bestenfalls 140 km/h schnell.
Das heißt: Figueroa ist der ideale Trainer für Whitmore. „Ich habe Kelsie
gesagt, dass sie auf keinen Fall in der Lage sein wird, mittlere 90er zu
werfen, um die Leute wegzupusten“, sagt Figueroa. „90er“ heißt 90
Meilen/Stunde, also über 150 km/h. Aber von Geschwindigkeitsmessungen hält
er nichts. Er will vielmehr, dass Whitmore variabel, mit gutem Spin wirft:
Die Batter, die auf den hart geworfenen Pitch warten, sollen sich
gefälligst selbst schaden, weil sie zu aggressiv sind und weil ihr Timing
nicht funktioniert.
## Eine große Tradition von Frauen im Baseball
Bei den FerryHawks geht man also nicht davon aus, eine Frau verpflichtet zu
haben, die irgendwann spielt wie die Männer, sondern das Experiment ist
viel interessanter: Dieser Sport könnte besser werden, wenn Frauen
dazukommen, die Baseball spielen, wie Frauen es machten, wenn sie denn nie
hinausgedrängt worden wären.
Kelsie Whitmore wollte schon als Sechsjährige nur Baseball spielen. Ihr
Vater unterstützte sie dabei. Scott Whitmore sagte der Sports Illustrated:
„Ich habe nicht die Richtung vorgegeben. Das war sie selbst.“ Auf dem
College aber wurde kein Frauen-Baseball angeboten, Whitmore musste zum
ungeliebten Softball wechseln, wo von unten geworfen wird und der Ball
größer ist. Spielerin des Jahres 2021 in der Big West Conference wurde sie.
Whitmore ist nicht die erste Frau, die [1][ins Profibaseball drängt] und
sie ist auch aktuell nicht die einzige. Ihre Freundin Luisa Gauci will ihr
folgen, sie drückt ihr die Daumen, aber sie kennt das Profigeschäft: Setzt
sich Whitmore nicht durch, sinken auch ihre Chancen. Aber: „Ich bin eine
Feldspielerin“, sagt sie und fragt: „Warum vergleicht man eine Pitcherin
mit einer Infielderin?“
Fachlich hat Gauci recht, aber dass es ihr nutzen wird, ist damit nicht
gesagt. Als der Baseball in Amerika begann, war es keine Seltenheit, dass
Mädchen und Frauen mitspielten. Lizzy Arlington wurde in der Minor Atlantic
League bei den Reading Coal Heavers in Pennsylvania zum Star eines
Profimännerteams. Als sie da hinausgedrängt wurde, bildeten sich reine
Frauenteams. Auch prominente Feministinnen ihrer Zeit waren hier aktiv,
etwa Charlotte Perkins Gilman und Crystal Eastman.
Eine der besten Baseballspielerinnen war nach der Jahrhundertwende Alta
Weiss aus Ragersville, Ohio, für die ihr Vater mangels ihr zugänglicher
Mannschaften extra ein semiprofessionelles „Weiss All-Star“-Team
zusammenstellte, das über die Lande zog. Das Magazin Time schätzte 1935,
dass etwa zwei Millionen Amerikanerinnen in 60.000 Teams Baseball spielten.
Während des Zweiten Weltkriegs, als der Männerspielbetrieb ruhte, entstand
eine reine Frauenprofiliga, der der Hollywoodfilm [2][„A League of Their
Own“ („Eine Klasse für sich“)] 1992 ein Denkmal setzte – mit Madonna und
Tom Hanks in den Hauptrollen. Diese Liga, anders als im Film dargestellt,
existierte noch bis in die 1950er Jahre.
Nun also fordert Kelsie Whitmore das männliche Baseball-Establishment
heraus, und ihre Chancen stehen nicht schlecht. „Ich werde Fehler machen,
ich werde auch einmal versagen“, äußert sie realistisch. „Das gehört dazu.
Mein größtes Ziel war es, hierherzukommen, um mich weiterzuentwickeln und
so viel zu lernen, dass ich die beste Version meiner selbst werde.“
8 May 2022
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