|
Vergangene Woche war der türkische [1][Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu] in
Berlin. Er traf sich mit Außenminister Maas. Es fand wenig Beachtung in den
deutschen Medien, wohl auch deshalb, weil es so harmonisch und versöhnlich
zuging. Die Außenminister schwärmten: „sehr gut“ (Çavuşoğlu),
„konstruktiver Dialog“ (Maas). Mit einer frohen Botschaft beglückte der
türkische Außenminister das deutsche Volk der Schnäppchenjäger. Er wolle,
dass „unsere Freunde“ ihren Urlaub in der Türkei in Sicherheit verbringen.
„Jede Person, die ein Tourist zu Gesicht bekommt, wird bis Ende Mai geimpft
sein.“
Angesichts des [2][Bankrotts der türkischen Staatsfinanzen und der
schwindelerregenden Abwertung der türkischen Lira] tut jeder Cent, der
durch Tourismus ins Land kommt, gut. Zumal der Kumpel des türkischen
Präsidenten Erdoğan, Putin, wegen der Coronapandemie den Russen die Flüge
in die Türkei gestrichen hat. Ausgenommen natürlich die russischen
Ingenieure, die am Bau des Atomkraftwerks Akkuyu arbeiten.
Man braucht nicht auf den Sommer zu warten. Schon heute ist die Türkei ein
Urlaubsparadies, wo Touristen – Corona hin, Corona her – Narrenfreiheit
genießen. Angesichts hoher Inzidenzzahlen herrscht in der Türkei seit dem
29. April ein harter Lockdown mit Ausgangssperre. Nur zum nächstgelegenen
Supermarkt darf man gehen.
## Verhaftete Bürger in Badehosen
Die Kinder, die im Park spielen, haben mittlerweile gelernt, wie man sich
aus dem Staub macht, wenn die Polizeisirenen ertönen. Weil sie nicht zu den
Grundnahrungsmitteln gehören, ist der Verkauf von alkoholischen Getränken,
Tampons und Schreibwarenartikeln in den Supermärkten verboten. Und zur
Abschreckung verbreiten die Zeitungen Bilder von Bürgern in Badehosen, die
von der Polizei gefasst wurden, weil sie illegal im Meer geschwommen waren.
Doch Touristen berührt dies nicht. Sie sind ausdrücklich von der Regelung
ausgenommen. Sie können sich im Hotel volllaufen lassen, am Strand sonnen
und schwimmen, wie es ihnen beliebt.
Das „Zertifikationsprogramm sicherer Tourismus“ weckt bei mir Assoziationen
zu der historisch gewachsenen innigen Kooperation der beiden Staaten. Z. B.
bei der Mülltrennung. Der Plastikmüll, den wir hier säuberlich trennen,
wird in die Türkei exportiert. Nachdem China den Plastikmüll nicht mehr
nimmt, ist die Türkei Hauptimporteur der EU. 14 Millionen Tonnen im Jahr
2019. Nahe Adana, in der landwirtschaftlich fruchtbaren Çukurova-Ebene,
türmt sich der Müll einfach am Straßenrand oder wird illegal verbrannt –
mit Dioxin- und Schwermetall-Ausstoß.
Alexander Gauland wollte ja die damalige [3][Integrationsbeauftragte Aydan
Özoğuz,] eine Deutsche, in „Anatolien entsorgen“. Doch Hand aufs Herz.
Schon heute entsorgt die EU Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei,
dank des Flüchtlingsdeals von 2016. Die „illegale Migration“ sei seit 2016
um 92 Prozent zurückgegangen, berichtete stolz Çavuşoğlu.
## Effiziente Kooperationen
Man sollte negative Momente im deutsch-türkischen Verhältnis nicht
überbetonen. Die Zeiten, als Merkel als „Nazi“ beschimpft wurde und
Erdoğans Lieblingszeitung sie mit Hakenkreuz in SS-Uniform abbildete. Oder
die toten Opfer rassistischer Anschläge in Deutschland.
Man sollte auf die effizienten Kooperationen hinweisen. Zum Beispiel die
deutsch-türkische Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg. Den Völkermord an
den Armeniern, den Deutschland klammheimlich duldete. Panzerlieferungen aus
NVA-Beständen, die in den kurdischen Gebieten zum Einsatz gekommen sind.
Ich erinnere mich auch gern an den SPD-Bundesfinanzminister Hans Matthöfer,
der die Militärjunta 1980 mit Finanzspritzen beglückte und den Putsch einen
„heilsamen Schock“ nannte.
Doch zurück zur Gegenwart. Außenminister Çavuşoğlu zitierte die
Bundeskanzlerin im FAZ-Interview, um auf die rosige Zukunft der
deutsch-türkischen Beziehungen hinzuweisen: „Wir schaffen das.“ Im Netz
kursiert eine leicht manipulierte Werbung des türkischen
Tourismusministeriums. Ein wunderbarer, unberührter Sandstrand, spielende
Kinder, paradiesisch: „Turkey unlimited. Now available without Turks.“
11 May 2021
## LINKS
|