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Von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über die
US-amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris bis zur [1][finnischen
Ministerpräsidentin Sanna Marin]: Allzu schlecht endete das letzte
Jahrzehnt für weibliche Repräsentation in der Politik nicht. Für
Filmemacherin Carolin Genreith Anlass zur Frage, warum sie sich selbst noch
nie politisch engagierte. Eine mögliche Antwort mag sein: Weil bislang die
Identifikationsfiguren fehlten.
In „Junge Politikerinnen – Yes She Can“ rückt sie daher besonders spannende
ins Zentrum: Laura Isabelle Marisken, Aminata Touré, Gyde Jensen und Terry
Reintke sind die Protagonistinnen des Films. Es ist eine „Mutmach“-Doku,
die es ausdrücklich auf female empowerment abgesehen hat. Sie setzt auf
inspirierende Beispiele statt auf die Analyse der Strukturen, die sie erst
notwendig machen. Dafür betont sie das Persönliche und das Emotionale
stärker als konkrete politische Inhalte, die auf den Amtsantritt der vier
porträtierten Frauen folgten. Die Biografie ist der Erfolg, der hier von
Interesse ist.
Wahrscheinlich auch, um die erwartbar großen Unterschiede zwischen den vier
Politikerinnen gegenüber den Gemeinsamkeiten nicht zu sehr hervorzuheben:
Laura Isabelle Marisken etwa ist als parteilose Bürgermeisterin von
Heringsdorf auf dem konservativen Usedom lokalpolitisch aktiv, nachdem sie
ihren Kontrahenten der CDU ausstach – ganz ohne Ortskenntnisse.
Die Doku zeigt die aus Berlin stammende Juristin vor allem in
repräsentativer Funktion, auf wie aus der Zeit gefallenen Veranstaltungen,
Bodypainting-Wettbewerben und Strandkorb-WM, zwischen Würstchenwärmer und
Sektempfang im Partyzelt. [2][Aminata Touré] hingegen ist bei ihrer Wahl
zur jüngsten und außerdem ersten Schwarzen Vizepräsidentin des Kieler
Landtags, beim Podcasten, und auf dem Parteitag der Grünen zu sehen:
kosmopolitisch, selbstbewusst, zukunftsweisend.
Ähnlich groß sind die Gräben zwischen der grünen EU-Abgeordneten Terry
Reintke, die in Brüssel beim Kampf mit den Nachwehen des Brexit begleitet
wird, und Gyde Jensen, die als Liberale bereits zwei Wochen nach Geburt
ihres Kindes den Menschenrechtsausschuss im Parlament leitet, weil es für
Bundestagsabgeordnete keine Elternzeit gibt. Während Reintke selbst bei
einigen Parteikolleg*innen aneckt, wenn sie im Parlament über
Erfahrungen mit Sexismus spricht, betont Jensen zwar, dass Parität nicht
von allein komme – lehnt ein entsprechendes Gesetz, also eine Frauenquote,
aber ab.
Gemeinsam sind den Frauen das häufige Alleinsein unter Männern und die
Erfahrungen, die das mit sich bringt. Von unangemessenen Kommentaren zu
ihrem Aussehen und dem Gefühl, unterschätzt zu werden, berichten sie alle
binnen knapp eineinhalb Stunden in der Doku.
Über bereits weit bekannte Erkenntnisse geht der Film nur selten hinaus.
Die Gespräche bleiben oft zu sehr an der Oberfläche, um schon Bekanntes mit
Leben zu füllen und zusätzliche Brisanz verleihen zu können. Für Porträts,
die sich ausdrücklich für das Persönliche interessieren, bleibt die
Stimmung erstaunlich nüchtern.
Mehrere Höhepunkte, zu denen eine Traktorfahrt gehört, während der
Christian Lindner mit paternalistischem Auftreten unfreiwillig die Antwort
darauf gibt, weshalb Frauen in der Politik weiter unterrepräsentiert sind,
machen den Film dennoch sehenswert. Und historische Momente, wie ein
EU-Parlament, das sich auf Reintkes Initiative hin nach der Abstimmung über
den Brexit-Vertrag erhebt und [3][fast einstimmig „Auld Lang Syne“ singt,]
sind dann eben doch ein starkes Argument für politisches Engagement – egal
ob in Brüssel, Berlin, Kiel oder auf Usedom.
31 Mar 2021
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