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Heutzutage würde man Babe Ruth, der eigentlich die Vornamen Georg Hermann
Ehrhardt trug, ein „Feierbiest“ nennen. Er ließ keine Party aus. Die
Baseball-Legende mit deutschen Wurzeln war dem Alkohol ebenso zugetan wie
dem Glücksspiel. Das Mondgesicht, wie er bisweilen genannt wurde, stopfte
üppige Menüs in sich hinein, sein Lebenshunger war so legendär wie sein
Spiel. Logisch, dass er die Zugfahrt nach Hot Springs zum Frühjahrstraining
seiner Boston Red Sox nutzte, um hier und da ein bisschen mit seinen Fans
zu plaudern. Darunter waren etliche Soldaten aus dem Militärcamp Devens.
Die USA waren in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Überall im Land lief die
Mobilmachung. Auch im Camp Funston in Kansas waren Tausende Soldaten
zusammengekommen. Sie wurden vorbereitet auf ihren Einsatz in den
europäischen Schützengräben. In Camp Funston nahm jene Pandemie ihren Lauf,
[1][die als Spanische Grippe in die Geschichte eingehen und bis zu 50
Millionen Menschen dahinraffen sollte]. Soldaten waren es, die das Virus
nach Europa und von dort in einer noch gefährlicheren Variante zurück nach
Amerika trugen.
Ruth lebte ein Leben, in dem soziale Distanz keine Rolle spielte. Im Rahmen
des Frühjahrstrainings 1918 mischte er sich unters Volk, so auch bei einem
Testspiel in Camp Pike in Little Rock/Arkansas, wo er anscheinend zum
ersten Mal seine überragenden Fähigkeiten als Hitter zeigte. Gleich fünf
Mal drosch er den Ball über den Zaun.
Man muss dazusagen, dass Babe Ruth ursprünglich ein Pitcher, also ein
Ballwerfer war. Doch weil ein Dutzend seiner Mitspieler eingezogen wurde,
war er an anderer Stelle gefordert. Normalerweise treffen Pitcher den Ball
mit dem Schläger nicht so gut, doch Babe Ruth war anders. Er wollte, was
damals ungewöhnlich war, den Ball mit voller Wucht treffen und über die
Begrenzungen der Stadien befördern. Er wurde zum Homerun-King, zum
Game-Changer im Baseball.
## Verharmlosung der spanischen Grippe
Das Virus verbreitete sich rasend, auch Spieler der Boston Red Sox waren
betroffen. Aber man tat das Risiko ab, sprach von einer normalen Grippe.
Auch Babe Ruth wurde angesteckt. Am 20. Mai 1918, nach einem Strandausflug,
wurde Ruth schwer krank. Sein Fieber stieg über 40 Grad. Der
Mannschaftsarzt der Boston Red Sox, Oliver Barney, pinselte seinen Rachen
mit Silbernitrat aus und übertrieb es wohl ein wenig, das Riesenbaby musste
mit Verätzungen ins Massachusetts General Hospital eingeliefert werden.
Böse Zungen behaupteten, Ruth liege auf dem Sterbebett. Aber der damals
23-Jährige erholte sich und zeigte in den kommenden Wochen seine
Spezialität, den Homerun, ein ums andere Mal. So komisch das klingen mag,
aber der Krieg und die Grippe forcierten eine Karriere, die das
Arme-Leute-Kind aus Baltimore [2][direkt in die Baseball-Hall-of-Fame
führte.]
Die erste Welle der Spanischen Grippe war noch überschaubar, die Symptome
nicht so furchterregend, doch das änderte sich, als das Virus über den
Sommer 1918 mutierte und als diesmal äußerst tödliche Mikrobe eine zweite
Runde drehte. Die neue Welle, die im September die USA erreichte, schuf zum
Teil apokalyptische Zustände an der US-Ostküste. Trotzdem kamen zu den
beiden letzten Spielen der World Series immer noch Tausende Fans.
Bei Spiel 5 des Endspiels gegen die Chicago Cubs strömten 24.694 Fans in
den 35.000 Zuschauer fassenden Fenway Park, in Spiel 6 noch 15.238. Boston
siegte. Babe Ruth spielte sodann, um nicht eingezogen zu werden, für das
Werksteam einer Stahlfabrik in Lebanon, Pennsylvania, machte in der Folge
einen Abstecher nach Baltimore – und erkrankte dort wohl ein zweites Mal an
der Spanischen Grippe. Auch diese Infektion überstand „der Koloss“.
12 May 2020
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