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Für Sigmund Freud waren Versprechen und Verschreiben keine einfachen
Fehlleistungen, sondern Ausdruck jener „Psychopathologie des
Alltagslebens“, der er sich 1904 in einem Buch widmete. Da Freud so
ziemlich jedes Geschehen auf eine Ursache in tieferen seelischen Schichten
zurückführte, ähneln seine Erklärungen der Rechtfertigung eines
Handwerkers, der nur einen Hammer hat und deshalb jedes Problem als Nagel
betrachtet. Statt im Vor-, Un- oder Unterbewussten zu gründen, können die
Fehler ja schlicht auf Schusseligkeit oder Unkenntnis beruhen.
Zwar kann ein geübter Psychoanalytiker bei der folgenden Kontaktanzeige in
den Westfälischen Nachrichten allerlei herauslesen: „Für eine flüchtige
Bekanntschaft völlig ungeeignet, suche ich auf diesem Wege das passende
Pondon.“ Bei Fremdwörtern aber liegt es nahe, Unbildung zu vermuten; warum
sollte es anders sein als bei deutschen.
Nur fällt es bei diesen nicht sofort auf, wenn die Leute von „Sippenhaft“
schreiben, aber „Sippenhaftung“ meinen, oder fremdsprachige Sendungen als
„fremdsprachliche“ bezeichnen; während man es bei jenen gleich merkt, wenn
sogar Journalisten ihre Branche arglos als „Journaille“ titulieren.
Vielleicht hat Freud manchmal doch recht.
## Mit Beifall hadern
Dass Wörter im Lauf der Zeit ihre Bedeutung verändern, ist eine Binse und
„muss in Wahrheit niemandem appelliert werden“ (taz). Stattdessen darf
applaudiert werden: „Beeindruckt von den Leistungen der Teilnehmer haderte
das Publikum nicht mit Beifall“, berichtet die Lausitzer Rundschau, während
die Rheinische Post die „kurzweilige Inhaftierung“ einer Bloggerin hadert,
pardon: meldet. Aus Südkorea hingegen appelliert die taz: „Seit einigen
Jahren werden viele Journalisten als ,Giraegi' verbrämt – dem koreanischen
Äquivalent zum ,Lügenpresse’-Vorwurf.“ Noch schöner verbrämen kann ZDFinfo:
„War Nero wirklich blutrünstig und machtbesessen? Oder verklärten antike
Chronisten posthum seine Biografie?“
Die Urheber solcher Fehlgriffe müssen nicht als Deppen verklärt werden,
wiewohl ihr „Eigenstellungsmerkmal“ (taz) sprachliches Unvermögen zu sein
scheint. Stattdessen seien sie als Komiker verklärt, die „für alle
eingeschweißten Fans“ (abendkurier.de) des unfreiwillig Lächerlichen etwas
parat haben. Unfreiwillig heißt allerdings zugleich freiwillig, weil die
Fehler aus einer selbstverschuldeten Lücke im Sprachschatz resultieren: Ob
es um die „Stammbesatzung eines Theaters“ oder den „Sohn eines Milch- und
Käsebauers“ geht beziehungsweise „der Lebensmittellieferservice Amazon
Fresh deutschen Firmen das Onlinegeschäft strittig macht“ (immer: taz), der
Grund liegt an der Oberfläche statt in psychischen Abgründen: Es ist
schlichte Unkenntnis des richtigen Wortes oder der Grammatik.
Mal geht es haarscharf daneben, dann gibt es „systemgetreue Sportgerichte“
und „staatsgetriebene Unternehmen“ (taz); mal schießt man weit vorbei:
„Adeligen war es verwehrt, Bürgerliche zu heiraten. Und das Gesindel auf
ihrem Hof durfte auch nicht heiraten.“ (Süddeutsche Zeitung) Tja! Da zeigt
der Journalist aus der Mittelschicht, wofür er die Welt unter sich hält.
Liegt Doktor Freud also doch nicht ganz falsch?
## Behütetes Geheimnis
Das richtige Wort ist für manche, die mit Sprache ihr Geld verdienen, „ein
gut behütetes Geheimnis“ (3sat). Glücklicherweise ahnt man, was gemeint
ist, wenn „ein prickelnder Solokünstler“ (taz) oder eine „längst gestandene
Lyrikerin“ (Literarisches Zentrum Göttingen) vorgestellt werden; „die
verstockten Aspekte eines Vaters“ (taz) lassen sich ebenso dekodieren wie
die sensationelle Beobachtungen, die das Schachmagazin Karl in einem
Schachcafé gemacht hat: „Gerade letztens schauten zwei oberarmfreie
Muskelpakete in Damenbegleitung vorbei.“
Denen geht es gut, anderen weniger prickelnden Leuten ergeht es schlecht.
Zum Gegenstand der Berichterstattung geworden, werden sie als solcher
behandelt: „Die Polizei habe die Demonstranten am Donnerstag provoziert und
zerschlagen“, meldet die taz; 3sat hingegen berichtet über bosnische
Stierkämpfe, „die die zersplitterte Landbevölkerung wieder einten“. Ein
Journalist des Göttinger Tageblatts hat sich „mit einer aufgelösten
Bewohnerin unterhalten“, und im Literatur Spiegel grübelt ein Rezensent, ob
„die in der Zusammenfassung runtergebrochenen Charaktere irgendwie
übereifrig klingen und überladen“.
Nein, am Ende ist es wohl doch nix mit Freud, denn diese Sprache ist
letztlich das Abbild einer Warenwelt, in der selbst Menschen verdinglicht
werden. Da kann ein Seelenklempner noch so viel herumdoktern, die Ursache
liegt außerhalb der Psyche.
Bevor nun ein kritischer Leser dieser Glosse seinen runtergebrochenen
Charakter übereifrig klingen lässt, sodass der Autor zersplittert, sei
eines zugestanden: Egal, ob richtig oder falsch, was zählt, ist, „mit der
halben Welt verständig“ (taz) zu sein!
18 Oct 2017
## AUTOREN
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